Das (hiermit ausgerufene) Eichholzer-Erinnerungsjahr bezieht sich nicht nur auf Geburts- und Todestag, sondern auch auf die Vertreibung des jungen Architekten aus Österreich im März 1938, vor 75 Jahren. Es ist wieder (doch eigentlich: immer) hoch an der Zeit, den Blick auf diese Ausnahmepersönlichkeit zu richten.
Beginnend mit seiner Wiederentdeckung durch Dietrich Ecker in den späten 1970er-Jahren wurde Herbert Eichholzer im Grazer Kulturleben mittlerweile ein Fixplatz zugewiesen: als wichtigstem Vertreter der Architekturmoderne und aufgrund seiner Tätigkeit im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die Stadt Graz lobt sogar in zweijährigem Abstand den Herbert-Eichholzer-Architekturförderungspreis für StudentInnen aus.
Im Vordergrund steht dabei meist die Vorbildwirkung von Eichholzers Teilhabe an gesellschaftlichen Reformbestrebungen, sein politisches Engagement und sein leidenschaftliches Interesse für architektonische Innovationen. Hier sei allerdings kritisch angemerkt, dass der Architekt mitunter in klischeehafter Verkürzung als eine Art Feigenblatt eingesetzt wird, das sowohl die Absenz einer kritischen, fortschrittsorientierten Architekturmoderne in Graz als auch die unrühmliche Rolle und geringe Widerstandsbereitschaft vieler SteirerInnen in der NS-Zeit zumindest erträglicher machen soll.
Eine wirkliche Auseinandersetzung mit Eichholzers Werk findet tatsächlich kaum statt. Naheliegenderweise wird diesem auf der Website des DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) eine Seite gewidmet, aber auch im Architekturkontext wird er überregional gerne auf seine Widerstandsgeschichte reduziert: So wird er in der a_Schau im Az W (Architekturzentrum Wien), das sich als Österreichisches Architekturmuseum präsentiert, nicht in den Kanon der architekturhistorisch interessanten österreichischen Architekten aufgenommen, sondern nur namentlich in einer Liste der verfolgten und vertriebenen österreichischen ArchitektInnen angeführt. Dabei wäre eine intensivere Auseinandersetzung mit dem engagierten und weitsichtigen Architekten durchaus lohnenswert, etwa in Bezug auf dessen Ausnahmestellung innerhalb der auf die eigene (Wiener) Vergangenheit fokussierenden österreichischen Moderne, die sich durch Eichholzers viel zitierte Le Corbusier-Rezeption ergibt. Aber auch seine Suche nach adäquaten Lösungen für neue Bauaufgaben (Boardinghaus, Singlewohnhaus etc.) oder seine Beteiligung an der sowjetischen Bauinitiative von Ernst May wäre eine vertiefende Untersuchung wert.
Trotz der gestiegenen Anerkennung wurde nun – nahezu unbemerkt von der Grazer Öffentlichkeit (einzige mir bekannte Ausnahme: Graz-Wiki) – im vergangenen Jahr ein von Herbert Eichholzer errichtetes Haus am Ulrichsweg in Graz-Andritz abgerissen. Im Jahr davor war bereits das 1927 errichtete Verwaltungsgebäude des Grazer Wasserwerks in der Korösistraße zerstört worden, ein zwar künstlerisch weniger interessanter Bau, aber doch immerhin der noch als Student gemeinsam mit Eduard Bauer entworfene Erstlingsbau von Herbert Eichholzer. Nach bis zur Unkenntlichkeit durchgeführten Umgestaltungen zahlreicher seiner Bauten in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts (Petra Kickenweitz hat vor einiger Zeit auf GAT von einer besonders absurden „Modernisierung“ berichtet) sind damit auch noch in jüngster Zeit zwei seiner Häuser physisch aus dem öffentlichen Raum verschwunden.
Ein Foto aus der Zeit kurz nach Fertigstellung zeigt die beiden Würfelhäuser wie zwei in einer noch fast unverbauten Vorstadtlandschaft gelandete Ufos. 1932 begonnen und im Jahr darauf (genau vor 80 Jahren) fertig gestellt, ging der Entwurf für die kleinen, in Außenbau, Grundriss und Raumdisposition identischen Einfamilienhäuser für die Familien Pistor und Ferner aus der kurzen, aber äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit mit seinem Atelierpartner, dem Architekten Rudolf Nowotny, hervor. Erste Pläne für das Haus Pistor sind mit August 1932, knapp vor Eichholzers Abreise nach Moskau, datiert. Nach seiner Rückkehr nach Graz und Nowotnys überraschendem Tod im Jänner 1933 stellte Eichholzer die beiden Häuser schließlich alleine fertig.
Die Architekten erprobten die Standardisierung im Wohnbau: Der kompromisslose „weiße Würfel“, der spätestens seit der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung (1927) zu einem Symbol der Moderne geworden war, konnte hier quasi in Serie gehen. Einige formale Details gingen direkt auf Entwürfe von Eichholzers Vorbild Le Corbusier zurück, so die auffällige Plastizität der Betonstiege und die kleine quadratische Betonscheibe des Vordaches über dem Hauseingang.
Küche, Bad, Waschküche und Kellerraum waren im Untergeschoss untergebracht, Vorraum, WC, Diele und Wohnraum im Erdgeschoss und zwei Schlafzimmer im Obergeschoss. Im Hinblick auf die räumliche Trennung von zusammen gehörenden Funktionen (Bad – Schlafzimmer, Küche – Esszimmer), die sich aus der geringen Baufläche ergab, ist der Grundriss für die BewohnerInnen wohl eher unbefriedigend ausgefallen.
Einen nachdrücklichen Eindruck hat im konservativen Graz hingegen die signalhafte Wirkung des weißen Würfels mit Flachdach, Sichtbetonstiege und Rundfenstern hinterlassen. Anna Lülja Praun (geb. Simidoff), die damalige Lebensgefährtin und Mitarbeiterin Herbert Eichholzers, erinnerte sich später, dass Architekturstudenten von einem prominenten Hochbau-Professor zu den kleinen Häusern geführt wurden, um dort an einem abschreckenden Beispiel demonstriert zu bekommen, wie man es als Entwerfer gerade nicht machen sollte.
Zum Eichholzer-Erinnerungsjahr gibt es jedoch auch sehr gute Nachrichten: Am 10. Oktober wird eine von der Intro-Graz-Spection in Kooperation mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark veranstaltete Ausstellung eröffnet werden, ein Symposion soll den Inhalt vertiefen.
SEHR SCHADE
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