09/11/2021

Kolumne
Wolkenschaufler_52

Ein weiteres Vorzeigeprojekt

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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09/11/2021

Foto: Mraček

Ein weiteres Vorzeigeprojekt

Anlässlich dieses Versuchs erinnere ich mich an Harry Rowohlts Untertitel der Kolumne, die er über Jahre für Die Zeit schrieb: Meinungen eines Bären von sehr geringem Verstand. Rowohlt hatte seine Artikel nach dem Pooh-Bären benannt, dem er eine etwas kindliche Auffassungsgabe attestierte, während es inhaltlich jeweils um mehr oder weniger Weltbewegendes ging. Sagen wir, ich gebe mich diesmal als solcher Bär.

Wovon ich glaube, es inzwischen einigermaßen verstanden zu haben ist, dass man für gespartes Geld so gut wie keine Zinsen von der Bank bekommt, dass auf einem Sparbuch deponierte Penunse inflationsbedingt schlicht an Wert verliert und das Sparen kein Geschäftsmodell sein kann. Ich erinnere mich an ein Radiointerview mit Finanzminister Blümel, der sinngemäß empfahl, sich als Altersvorsorge rechtzeitig um Immobilieneigentum zu kümmern, alles andere sei in dieser Zeit wenig aussichtsreich. Kurz – nein, das Folgende abkürzend –: Mich kann der Minister damit nicht gemeint haben, weil eben zu wenig Kapital vorhanden ist, um es durch Investition in Immobilien zu erhalten, respektive damit Gewinn zu erzielen.

Immofirmen aber boomen, Baufirmen gehen pleite oder boomen, Anleger finden – ich weiß es, auch in Graz – zu Immofirmen und Anlegerobjekten. Investieren, bauen und verkaufen lautet offenbar das Gebot der Stunde. Sieht man sich in Graz um, fällt auf, dass man zum Entwerfen auch keine Architekten mehr braucht. Ich vermute nämlich, einst ist entworfen worden und seither werden nahezu formgleiche Schachtelhäuser nach Modulsystemen als Wohn- und Büroanlagen über den Stadtplan verteilt. Als Bär und Laie höre ich die engagierten Laien „Bauhaus“ sagen und mutmaße, sie meinen den Bau- und Werkzeugfachhandel. Wie mir schlichtem Zottel scheint, sind die wenigen Kriterien Investitionssummen, Bebauungsdichte und Bussinessmodell, um auf den Plan zu treten. Wieder erinnere ich mich an ein Statement des Bau …, ich bitte um Verzeihung, des Noch-Bürgermeisters, der anlässlich etwelcher geplanter Turmbauten zu Liebenau davon sprach, die Conrad-von-Hötzendorf-Straße zur „Bussiness-Straße“ auszu-ja!-bauen. Und ich fürchte, angesichts auch einer neuen Stadtregierung wird sich so bald an solcher Attitüde nicht wirklich etwas ändern, da sind sicher etliche genehmigte und zu genehmigende Vorhaben im Prozess. Die Noch-nicht-Stadtregierung avisiert eine Leerstanderhebung. Sollte sie wirklich ausgeführt werden, fürchte ich, wird die Konsequenz sein, dass erhoben worden ist. Von einer Überarbeitung des Flächenwidmungsplans war ebenfalls schon die Rede. Jahre werden ins Land, in die Stadt ziehen.

Anlass dieses Lamentos ist ein Zeitungsartikel im Regionalteil (Kleine Zeitung, 3. November 2021). Auf 700 Quadratmetern soll ein Gebäude mit 33 Wohnungen auf acht Geschossen errichtet werden. Entsprechend FläWi ist hier eine Baudichte von 2,0 festgesetzt. Das geplante Gebäude dagegen hätte eine Baudichte von 3,79. „Wie ist es möglich“, fragt eine Anrainerin, „ein Bauansuchen mit extrem hoher Dichteüberschreitung zu stellen und sogar eine Bauverhandlung abzuhalten?“
Nun sucht der Bär nach Erläuterungen im Internjet, das sich als solches erweist. Unser aller Suchmaschine schlägt „Bauverhandlungen – Stadtportal der Landeshauptstadt Graz“ vor, darunter der Zweizeiler „ … Theodor-Körner-Straße 37, Errichtung eines Wohngebäudes mit 33 Wohneinheiten und Büroflächen im Erdgeschoss, 03.11.2021 …“. Den Link geklickt, findet der Bär 32 weiterführende Einträge, keiner davon betrifft die Theodor-Körner-Straße 37.
In der Zeitung wird zwar die Hausnummer 35 genannt, es dürfte sich aber um dasselbe Projekt handeln. Mit der Frage um Überschreitung der Baudichte wandte sich Autor Bernd Hecke an Stadtplanungschef Bernhard Inninger. Der erklärt „ganz allgemein“, dass solche Überschreitung nicht nur möglich, sondern gängige Praxis sei, „wenn es um Lückenschlüsse bei Blockrandverbauung gehe“ (Hecke zitiert Inninger indirekt). Weiters dürfe er – siehe Suchversuch auf dem Stadtportal – zu dem konkreten Projekt keine Auskunft geben.

Warum eigentlich, fragt jetzt der Bär. Liegt hier kein öffentliches Interesse vor wie beispielsweise das der Anrainerin? Zur leidigen Dichteüberschreitung sagt Inninger noch auf die Anfrage des Redakteurs: „Aber wir stimmen Dichteüberschreitungen zu, wenn dadurch einheitliche Gebäudehöhen im Straßenraum und auch einheitliche Tiefen des Baukörpers entstehen. Das ist städtebaulich wünschenswert.“ Mir fällt hier das Zaha-Hadid-Haus anstelle des Kommod ein und der Neubau in der Leechgasse. Letzterer, versehentlich vor Jahren um ein Stockwerk zu hoch geraten, seither zwar Baustopp, aber was steht das steht. Wozu eigentlich ist ein Flächenwidmungsplan gut, über den man sich auf gewisse Kriterien geeinigt hat?
Im rezenten Artikel kommt schließlich noch der Bauherr des Projekts in der Theodor-Körner-Straße zu Wort und malträtiert den ohnehin geringen Verstand des Bären: „Das wird ein Vorzeigeprojekt, das durch die Altstadtkommission (sic.) einstimmig positiv beurteilt wird.“
Lese ich hier richtig, steht die Beurteilung der Altstadtsachverständigen-kommission noch aus, nachdem der Bauherr nicht mit „wurde“ sondern mit „wird“ zitiert wurde. Die Bauverhandlung, steht im Zeitungsartikel, soll am 3. November stattgefunden haben.
War die in der Planung nicht vorgesehene Wiese da schon gemäht?

Karin Tschavgova-Wondra

1. „Land unter“ passt super, bildhaft besser geht’s nicht
2. Ein Modulsystem wäre ein Quantensprung an Intelligentem und Besserem gegenüber dem, was hierorts jetzt fast ausnahmslos geplant wird – ist es aber nicht, vermutlich oder auch nicht in der geplanten Chose in der Theodor-Körner-Straße.
3. Einheitliche Gebäudehöhen im Straßenraum und einheitliche Tiefen der Baukörper als Grundlagen und sogar Prämissen einer heutigen, den äußerst komplexen Anforderungen genügenden Stadtplanung zu sehen, als städtebaulich wünschenswert, ist sträflich: sträflich oberflächlich, sträflich vorgestrig (1970er), sträflich einfältig und langweilig - ganz einfach sträflich dumm! Haben die Herrschaften und Damen im Grazer Stadtplanungsamt je eine Lektion „Stadtplanung“ gelernt oder sich mit Interesse und Verve eine solche Qualifikation im Selbststudium angeeignet?
4. In großen deutschen Kommunen wie Hamburg ect. findet man Informationen zur Bauvorhaben, Bebauungsplänen ect. selbstredend im Netz, am Portal der Stadt kundgetan und umfassend veröffentlicht. Aber die haben ja auch kein Amtsgeheimnis mehr wie wir aus der k-u.k. Zeit, sondern im Gegensatz zu uns so genannte Informationsfreiheitsgesetze, die für mehr Transparenz sorgen SOLLEN.

Do. 11/11/2021 11:26 Permalink
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