04/11/2021

MINUS – Lazarettgasse 5-9
 
Städtebauliches Gutachten hebelt Bebauungsplanpflicht aus!

Welche Interessen vertreten die dafür verantwortlichen Planungsämter?

Jüngstes Beispiel: Das den offiziellen Zielsetzungen der Stadt Graz widersprechende Prozedere rund um die Entwicklung und zukünftige Verbauung der Grundstücke Lazarettgasse 5-9 in 8020 Graz-Gries.

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Kommentar von Elisabeth Kabelis-Lechner

04/11/2021

Bestand Lazarettgasse 5-9, Blick nach Nord-Osten – ganz links: Lazarettgasse 1-3

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Bestand mit typischen Gebäudehöhen in der Lazarettgasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Lazarettgasse 5, Blick vom Hof zur Straße: Der Neubau wird gleich hoch wie das Bestandsgebäude Lazarettgasse 1-3, rechts im Bild.

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Lazarettgasse 5, Blick vom Hof zum angrenzenden Eck-Hochhaus, Lazarettgasse 1-3

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Städtebauliches Gutachten hebelt Bebauungsplanpflicht aus! Welche Interessen vertreten die dafür verantwortlichen Planungsämter? Jüngstes Beispiel: Das den offiziellen Zielsetzungen der Stadt Graz widersprechende Prozedere rund um die Entwicklung und zukünftige Verbauung der Grundstücke Lazarettgasse 5-9 in Graz-Gries.

Die drei Grundstücke an der stark befahrenen Lazarettgasse liegen in einem Bereich, wo laut Flächenwidmungsplan ein Bebauungsplan erforderlich ist. Als ich im Mai 2021 von der Gruppe Unverwechselbares Graz auf ein zukünftiges Bauprojekt  L 5-9  in der Lazarettgasse angesprochen wurde, erkundigte ich mich beim Stadtplanungsamt darüber, wann der erforderliche Bebauungsplan präsentiert werde. Die Leiterin des zuständigen Referates gab mir diese Rückmeldung:
„Für die Liegenschaften Lazarettgasse 5-9 läuft gerade ein Architekturwettbewerb nach dem 'Grazer Modell', ich bin nicht Teil der Jury und habe daher keinen Einblick zum aktuellen Verfahrensstand. Die Stadtplanung legt zwar im Deckplan 1 zum 4.0 Flächenwidmungsplan fest, ob eine Liegenschaft bzw. ein Geviert mit einer Bebauungsplanpflicht belegt wird oder nicht. Jedoch entscheiden die Juristen der Bau- und Anlagenbehörde, ob der Tatbestand eines Lückenschlusses gegeben ist und ob auf die Erstellung eines Bebauungsplans verzichtet werden kann. Im gegenständlichen Fall wird zur Qualitätssicherung ein anonymer Architekturwettbewerb durchgeführt, die städtebaulichen Rahmenbedingungen wurden als Grundlagen in das Verfahren eingebracht. (..)“

Nun liegt das Ergebnis des Architekturwettbewerbes vor. An der Investorengruppe L 5-9, der Ausloberin dieses Architekturwettbewerbes, ist auch die Firma Pongratz mit 20% beteiligt. Pongratz hat bereits einige Anlegerprojekte in der näheren Umgebung mit demselben Architekturbüro umgesetzt, das hier als Sieger hervorgegangen ist. Drei davon gehören zu den von mir erst kürzlich kritisch beleuchteten Anleger-Wohnanlagen ohne Spielplätze, siehe GAT-Kommentar MINUS – Wohnanlagen ohne Spielplätze (1) siehe unten.
Bei allen Projekten wurde mit vielversprechenden Schaubildern geworben, die gebaute Realität sieht jedoch immer traurig aus. Spannend wird, ob die Investoren die versprochenen Qualitäten des Siegerprojekts dieses Wettbewerbes umsetzen werden und damit auch die durch das Wettbewerbsverfahren intendierte Sicherstellung der Qualität erreicht werden wird.

Um mit dem Autor Wolf Haas zu sprechen, könnte man nach Studium der Auslobungsunterlagen sagen: 
Jetzt ist schon wieder was passiert! Es ist nämlich wieder einmal passiert, dass eine auslobende Investorengruppe, die volle Ausnutzung der Höchstdichte zur Bedingung im Wettbewerb machte:
Im Auslobungstext liest sich das so: „Die max. Geschossanzahl sowie Baugrenz- und Fluchtlinien gem. städtebaulich-raumplanerischen Gutachten der Stadt Graz sind einzuhalten. Die Ausnutzung der max. möglichen Bruttogeschossfläche in diesem Rahmen ist möglich." Ziel der Ausloberin ist daher deren Ausnutzung. No na net! Der Gewinn muss ja von Anfang an maximiert werden.
Möglich wird das durch ein äußerst karges Gutachten der Stadtplanung, in dem keine speziellen und situationsbezogenen Aussagen, die Dichte betreffend, getroffen werden. Es wird lediglich der Dichterahmen laut Flächenwidmungsplan angeführt und Baugrenzlinien vorgegeben, die danach aussehen, als ob sie einem Vorkonzept der Investoren folgen würden. Es fehlt eine gründliche städtebauliche Analyse mit Berechnung der Bestandsdichten. Diese hätte nämlich u.a. ergeben, dass in diesem Bereich der Blockranderbauung grundstücksübergreifend beurteilt – und nur das hat städtebaulich Sinn – die Dichten bereits ausgeschöpft bzw. überschritten sind. Es hätte daher die Aufgabe eines, alle Problemfaktoren berücksichtigenden, raumplanerischen Gutachtens, das das Interesse des Gemeinwohls und nicht nur das der Investoren sicherstellt, sein müssen, die maximal erlaubte Dichte einzuschränken.

Ich habe dem Ersteller des städtebaulichen Gutachtens folgende Fragen (fett gedruckt) gestellt:
 
Wieso wurde trotz Bebauungsplanpflicht kein Bebauungsplan erstellt und somit eine Beteiligung der Bürger*innen ausgeschlossen?

Gutachter: "Das hat die Bau-und Anlagenbehörde so entschieden."

Aber das ist doch eine Angelegenheit des Stadtplanungsamtes. Das Gebiet ist städtebauliches Sanierungsgebiet (Lärm, Feinstaub, Mangel an öffentlichen Grünflächen), weitere zwei angrenzende Grundstücke sind noch ausbaufähig, ein Bebauungsplan über dieses gesamte Gebiet wäre mehr als sinnvoll gewesen.

Gutachter: "Der Antragsteller wollte ein städtebauliches Gutachten. Die Verordnung zum Flächenwidmungsplan erlaubt für Baulücken die Möglichkeit, anstatt eines Bebauungsplanes ein Einzelgutachten zu erstellen."

Wieso Baulücke, die drei Grundstücke sind ja verbaut?

Gutachter: "Der Antragsteller will einen Abbruch und neu bauen. Dann entsteht die Lücke. Das hat die Bau- und Anlagenbehörde so entschieden."
(Ergänzung dazu: Im raumplanerischen Gutachten liest sich das so: 
"Mit der Bau- und Anlagenbehörde wurde im Jahr 2019 festgelegt, dass die zukünftige Bebauungsmöglichkeit des Wettbewerbsgebiets gemäß Skizze Bebauungsgrundlagen (siehe Seite 11) der Schließung einer Baulücke entspricht. Ein Bebauungsplan ist für das Wettbewerbsgebiet in diesem Fall nicht notwendig.")

Warum haben Sie die Maximaldichte nicht reduziert und warum haben Sie keine verpflichtenden Festlegungen betreffend Geschoßhöhen für die EG-Zone gemacht und Wohnnutzung dezidiert ausgeschlossen? Damit könnte eine nutzungsoffene EG-Zone, die der Kerngebietswidmung  EG entspricht, nachhaltig garantiert. Möglicherweise kommt ja doch kein Kindergartenprojekt.

Gutachter: "ich sah keine Notwendigkeit. Es ist ausreichend, Wohnnutzung auszuschließen."

Es können dann bei Raumhöhe von 2,10 m auch nur Müllräume und Fahrradräume im EG angeordnet werden.

Gutachter: „Wieso soll das nicht möglich sein, das  ist ja keine Wohnnutzung“.

Das stellt sehr wohl eine Wohnnutzung und keine Kerngebietsnutzung dar.

Gutachter: "Hier wird ein fast versiegeltes Grundstück entsiegelt und damit eine wesentliche Verbesserung hergestellt“.

Darunter befindet sich aber eine Tiefgarage und das ist keine vollwertige Entsiegelung.

Man könnte natürlich auch die Sinnhaftigkeit einer Kindergartennutzung an dieser Stelle infrage stellen, man könnte die Geschoßanzahl hinterfragen, die sich nur an dem überhohen angrenzenden Bestandsgebäude orientiert und anführen, dass das Gutachten Infrastruktureinrichtungen lediglich anführte, aber nicht deren Kapazitäten überprüfte. (ÖV und Schulen haben kein Ausbaupotenzial.) Man könnte fragen, warum das Gutachten zwar anführt, dass es sich hier um eine städtische Wärmeinsel handelt, aber dennoch 7 Geschoße erlaubt.

Die Hauptkritik richtet sich jedoch an die gewählte Vorgangsweise der Stadtplanung und die nicht schlüssige Begründung dafür:
–  Wieso hält sich das Stadtplanungsamt nicht an die eigenen Zielsetzungen und dafür erforderlichen planerischen Instrumente?
–  Wieso wird in einem ähnlich gelagerten Anlassfall in der unmittelbaren Umgebung  –  der Antragsteller will ein altes Gebäude abbrechen  und neu bauen – korrekterweise ein Bebauungsplan über den gesamten Blockrand erstellt und warum hier nicht?
–  Wieso erzeugt diese hier gewählte Vorgangsweise, von einem verpflichtenden Bebauungsplan unter Verwendung des fragwürdigen Lückenschluss-Tricks abzugehen und damit die Bürger*innenbeteiligung auszuschließen, den Eindruck, dass hier eher dem Investor ein Gefallen getan wurde als den Interessen einer nachhaltigen Stadtentwicklung?

Der Leiter des Stadtplanungsamtes Graz hat vor kurzem bei einer Diskussion im Kunsthaus gesagt: „Viele Wohnbauprojekte verhalten sich parasitär ihrem Umfeld gegenüber".
Völlig richtige Feststellung, aber wo bleiben die stadtplanerischen Konsequenzen?

Elisabeth Kabelis-Lechner

Kritik an geplanter Resortverteilung!
Bau-und Anlagenbehörde und das Stadtplanungsamt müssen in Zukunft unter der selben politischen Zuständigkeit sein. Denn sonst wird die investorenfreundliche Praxis der Bau-und Anlagenbehörde bei Bebauungsplanpflicht ominöse und rechtlich äußerst zweifelhafte raumplanerische Einzelgutachten mit dem Argument es ist ja eh nur einLückenschluss weiter fortgesezt und somit das wertvolle Instrument der Bebauungsplanpflicht ausgehebelt und die Agenden der Stadtplanung enorm geschwächt.
Vielleicht sollte der zukünfitge Bau- und Raumordnungsausschuss prüfen, wie oft das in den letzten Jahren stattgefunden hat.

Do. 11/11/2021 2:26 Permalink
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