12/07/2021

Mobiles Graz

Ausstellung und Gesprächsrunde zu aktuellen Fragen rund um Verkehr und Stadtentwicklung

26.06.2021, 10:30 – 12:30
Club Hybrid
Herrgottwiesgasse 161
, 8020 Graz, Straßenbahnlinie 5, Haltestelle Lauzilgasse

Gäste
– Aglaée Degros (TU Graz, Institut für Städtebau)
– Martin Fellendorf (TU Graz, Institut für Straßen- und Verkehrswesen)
– Manfred Eber (Klubobmann/Gemeinderat KPÖ, i.V. Elke Kahr, Verkehrstadträtin)
– Judith Schwentner (Umweltstadträtin Graz, Die Grünen)
– Georg Topf (Gemeinderat Graz, ÖVP, i. V. Bürgermeister Siegfried Nagl)
– Kai Vöckler (HfG Offenbach, Designinstitut für Mobilität und Logistik)
Moderation: Fabian Wallmüller (Stoiser Wallmüller Architekten, Graz/Wien).

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12/07/2021

Club Hybrid, Herrgottwiesgasse 161
, 8020 – „offener Demonstrativbau“ von Heidi Pretterhofer und Michael Rieper

©: Jördis Tornquist

Wallmüller und Vöckler im Club Hybrid bei der Präsentation der Ausstellung. © Valentin Spiegel-Scheinost. Alle Plakate der Ausstellung "Mobiles Graz" sind weiter unten zu sehen.

Fiedler, Fellendorf, Bogensberger (v.l.) im Ausstellungsraum

©: Jördis Tornquist

Wallmüller, Degros, Vöckler, Schwentner, Fellendorf, Eber, Topf (v.l.) in der Gesprächsrunde. © Valentin Spiegel-Scheinost

©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten
©: HfG Offenbach/M, Stoiser Wallmüller Architekten

Die Ausstellung im Obergeschoß des „offenen Demonstrativbaus“ von Heidi Pretterhofer und Michael Rieper stellt die Ergebnisse einer Recherche von Studierenden der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach/M. unter der Leitung von Kai Vöckler dar. Unter Titeln wie Die Ineffizienz des Autos wird eine Zusammenschau allgemeiner Praktiken und Wirkungen des Verkehrssystems geboten, bevor in Zusammenarbeit mit Stoiser Wallmüller Architekten, Wien/Graz, die Kontextualisierung mit den Grazer Gegebenheiten stattfindet: Bevölkerung, Stadtentwicklung, Pendelströme, Stauzonen, Feinstaub- und Lärmbelastungen.
 Zur aktuellen Diskussion in Graz bezüglich Mini-Metro, S-Bahn-Erweiterung, Straßenbahnausbau und Schnellradwegen wird von Stoiser Wallmüller Architekten eine Grafik mit der Überlagerung aktueller Konzepte präsentiert. Sie basiert auf einer Zusammenstellung von fiedler.tornquist arch+urb, Graz. Dieser Plan könnte nun die Basis für weitere Diskussionen und Rechenmodelle für intermodale Lösungen im Raum Graz sein.
 Die Ausstellung kann bis auf weiteres im Club Hybrid (s. Link) besichtigt werden.

In der Gesprächsrunde präsentieren die Gäste ihre Einschätzung der Situation. Angesichts eines Anteils von 55% Autoverkehr im städtischen Modal Split sind sich alle politischen Vertreter*innen einig, dass es ein unterirdisches System für den öffentlichen Verkehr, sei es als U-Bahn oder S-Bahn, geben muss. Ziel ist auch, dass Intermodalität konsequent behandelt wird, und dass der Bund die Maßnahmen mitfinanzieren soll.

Auf die Frage, was die große Herausforderung zum Thema Mobilität in Graz ist und wohin es in der Zukunft gehen soll, sieht Georg Topf (ÖVP) die Ebene -1 und die Eindämmung des MIV (motorisierter Individualverkehr) sowie den Ausbau des Radverkehrs als die wichtigen Schritte. Für den Fußverkehr fehlen schlicht auch Gehsteige im Bestand.

Manfred Eber (KPÖ) stellt fest, dass sanfte Mobilität das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs darstellt. Eine aktuelle Studie von Willi Hüsler im Auftrag des Verkehrsplanungsamts zum Ausbau des Schienenverkehrs wurde kürzlich vorgestellt. Taktverbesserung und die Leistbarkeit des ÖV (öffentlicher Verkehr) stehen im Vordergrund. Für die Realisierung des seit langem gewünschten Nahverkehrsknotenpunkts Gösting muss die Straßenbahn zügig dorthin gelegt werden. Erst dann macht es Sinn, mit der ÖBB weiter darüber zu verhandeln. Eine Mini-Metro, wie vom Grazer Bürgermeister propagiert, würde das im Gemeinderat beschlossene 10-jährige Straßenbahnausbauprogramm kannibalisieren.   

Judith Schwentner (die Grünen) sieht im enorm wachsenden Raum Graz das Grand Graz als eine „regionale Metropole“, in der die Stadtplanung und die Verkehrsplanung politisch gemeinsam arbeiten und das bereits vom Gemeinderat beschlossene Mobilitätskonzept 2020 umsetzten und weiterentwickeln sollten. Ein S-Bahn-Ring soll über den Osten der Stadt  bis zum Magna-Werk im Süden führen. Da das Radwegenetz im Umland ansatzweise bereits ausgebaut wird, muss es mit dem auch noch verbesserungswürdigen Netz in der Stadt verbunden werden. Die Ebene 0 ist gerecht zu verteilen, der MIV ist einzudämmen und der Grünraum sollte ausgebaut werden, damit sich die Menschen in der Stadt wohlfühlen.

Aglaée Degros meint, die Tendenz im MIV, die seit den 1960er Jahren vorherrscht, kann nicht so weitergehen, wenn man die CO2-Reduktion ernst nimmt. Die territoriale Gerechtigkeit mit diffuser Mobilität wäre richtig. U-Bahn / S-Bahn birgt die Gefahr einer punktuellen Stadtentwicklung wie in den 1960ern – die Grands Ensembles. In Bezug auf Graz: Man muss Städtebau und Mobilität gemeinsam denken. Man kann in Graz noch in der Stadt wohnen und nicht jeder muss eine Villa mit Pool haben. Die Proximität lässt sich auch anders organisieren. Das Ziel wäre es, zwar etwas unbequemer seinen Alltag zu leben, aber dafür mit mehr Lebensqualität. Die Verkehrsplanung ist der Hebel für die Stadtentwicklung. Es gibt noch innerstädtisches Potenzial, wie z.B. der alte Ostbahnhof, dort ist es sinnvoll, verdichtet zu bauen.

Martin Fellendorf betont, dass das Konzept Mini-Metro auf von der TU unabhängig erarbeiteten Rechenmodellen geprüft wurde. Der Raum Graz mit derzeit 600.000 Einwohner*innen reiht sich in viele mittelgroße Städte Europas ein, wie etwa Nürnberg oder Karlsruhe, wo es auch unterirdische Schienenverkehrssysteme gibt. Auch in Graz muss der MIV eingedämmt und die Ebene -1 erschlossen werden. Die Verschränkung zwischen Graz und Umland ist sehr stark: Es gibt im grenzüberschreitenden MIV 70% MIV-Einpendler, aber auch 30% MIV-Auspendler. Seit 2012 gab es 20% Zuwachs im MIV. Man muss die Sinnhaftigkeit des im Raum stehenden Ausbaus der A2 und A9 infragestellen. Die GKB (Graz-Köflach-Bahn) sowie S1, S3 und S5 stoßen an ihre Grenzen. Geeignete Anbindungen an die Koralmbahn sind ab 2026 nötig. Straßenbahn und MIV sollten nicht auf derselben Trasse fahren. Man soll Stadt und Land gemeinsam größer denken (Beispiel Hannover). Dazu soll man die Wirtschaftsbetriebe und die Industrie einbinden, um langfristig Verbesserungen zu erzielen. Das gelang bereits mit den Firmen Anton Paar und Knapp. Aus dem Publikum ergänzt dazu Markus Bogensberger, dass selbst die Industriellenvereinigung eine bessere Einbindung der Betriebe in die öffentliche Mobilitätsentwicklung fordert.  

Kai Vöckler weist darauf hin, dass es einerseits den politischen Willen benötigt und anderseits den gestalterischen Aspekt. Letzterer wird leider oft vergessen, ist aber für die Akzeptanz von Lösungen und für die Änderung des Mobilitätsverhaltens –  etwa beim Verzicht auf das Auto als privates Wohnzimmer – von großer Bedeutung. Verlässliche Fahrpläne, gute Taktung, Koordination von Daten, das alles ist im Regionalverbund erfahrungsgemäß am schwierigsten zu organisieren. Bürgerinitiativen, Bilder, Konzepte, das alles kann Push- und Pull-Effekte auslösen. Es braucht starke, integrierte Systeme, die auch private Anbieter einbinden.

Laut Wallmüller sollte das Thema im Wahlkampf konstruktiv, also im Dialog behandelt werden – mit dem Ziel, die beste Lösung für Graz zu erarbeiten. Nahverkehr muss im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung gedacht, der MIV reduziert werden. Die Verkehrsplanung soll mit der Stadtentwicklung gemeinsam „zur Chefsache“ gemacht werden, damit diese  wichtigen Aufgaben auch politisch umgesetzt werden können.

Kai Vöckler fordert zuletzt, die Menschen so zu adressieren, dass man das Angebot an fortschrittlicher, zukunftsweisender Mobilität in einer Weise gestaltet, dass sich die Menschen gerne als Teil dieser innovativen Gesellschaft verstehen. Die Bewegung von A nach B wird nicht nur eine Frage von Zeit und Kosten sein, sondern auch den persönlichen Komfort und die Wertschätzung der Benutzer*innen berücksichtigen. Hier stellen sich auch wichtige Gestaltungsfragen – etwa im Bereich der geteilten Mobilität, verfügbare Daten in praktisch verknüpften und ästhetisch ansprechenden Anwendungen zusammenzuführen, und in der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Positives Beispiel: der neue Amsterdamer Fahrrad- und Fußgänger*innentunnel, hell erleuchtet mit 20.000 handgemalten holländischen Fliesen an den Wänden. Gute Gestaltung schützt in gewissem Sinn auch vor Vandalismus. Die wichtige Rolle der Planer*innen ist jene als Vermittler zwischen verschiedenen öffentlichen Interessen und zukünftigen Benutzer*innen.  

Wortmeldungen aus dem Publikum sprechen die soziale Dimension an, etwa die Sicherheit der Kinder und Schüler*innen auf Schulwegen. Wolfgang Feyferlik ergänzt, dass in der Schweiz jeder Elternteil das Recht darauf hat, dass die Kinder gefahrlos in die Schule kommen. Johannes Fiedler formuliert zu der vom Moderator gestellten Frage nach konkreten städtebaulichen Maßnahmen die Forderung, dass der öffentlichen Raum in der gesamten Agglomeration an jedem Punkt sicher und für alle unter Beibehaltung der Menschenwürde nutzbar gestaltet sein muss. Dazu gehört auch, dass Straßen an jedem Punkt zu Fuß überquerbar sind. In der Folge gibt es nirgends mehr als eine Fahrspur pro Richtung. Jeder Punkt ist mit dem Auto erreichbar, aber es gibt keine Privilegierung des MIV. Von der Initiative MoVe-it wird ein funktionierendes Radwegenetz im Sinne der integrierten Mobilität gefordert. Michael Rieper spricht die Notwendigkeit an, nach der bisherigen Praxis der Raumordnung, die sich nach Planungsinteressen orientierte, nun zu einer Planung zu kommen, die Individualinteressen zugunsten des gemeinsamen Nutzens zurückstellt.

Der Club Hybrid ist abgesehen von den interessanten Bespielungen ein gelungener architektonischer Beitrag, und es ist zu hoffen, dass das Gebäude über seine gedachte Dauer noch länger an diesem Ort bestehen bleiben kann. Zu empfehlen ist auch die Kantine, täglich geöffnet von 10:00 – 22:00 Uhr.

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