Der PlanerInnentag 2016 trug den Titel (Raum)Planung und jetzt (erst recht) – Kann die Raumplanung gesellschaftspolitische Aufgaben lösen?
AkteurInnen aus den Bereichen der Raumplanung, Architektur, Politik, Verwaltung und Wirtschaft trafen in Leoben aufeinander, um sich der Frage der Raumplanung und ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz zu widmen.
Der Raumplaner und Fachpublizist Reinhard Seiß führte durch das Programm, das neben Vorträgen auch Diskussionen in themenorientierten Arbeitsgruppen und Präsentationen der Ergebnisse im Plenum umfasste. In dem Vortragsblock wurde unter anderem die Stadtentwicklung des Stadtteils Rieselfeld in Freiburg im Breisgau (D) vorgestellt, Partizipation als Bestandteil der Planung sowie Leerstand als gesellschaftliche Herausforderung diskutiert. Im Zentrum der Gespräche und Diskussionen stand die Frage der Zusammenarbeit und Begegnung unterschiedlicher AkteurInnen in Raumplanungsprozessen.
Die Region Obersteiermark Ost ist von raumplanerischen Herausforderungen wie Bevölkerungsrückgang und Schrumpfung betroffen, wobei der Austragungsort der Veranstaltung, die Stadt Leoben, im Gegensatz dazu sogar einen geringen Bevölkerungszuwachs aufweist – eine Entwicklung, die Leobens Bürgermeister Kurt Wallner in seinem Eröffnungsstatement betonte.
Partizipation – Freiburg-Rieselfeld
Klaus Siegl, ehem. Leiter der Projektgruppe Rieselfeld, stellte in seinem Vortrag den Freiburger Stadtteil Rieselfeld mit ca. 10.000 BewohnerInnen als Positivbeispiel vor. Der seit 1994 gewachsene Stadtteil weist eine kleinparzellige, heterogene Struktur mit Nutzungsmischung auf, wobei bei der Planung und Realisierung auch auf ökologische Gesichtspunkte, eine gute öffentliche und private Infrastruktur, öffentliche und gemeinsam genutzte private Grünflächen sowie eine kinderfreundliche und barrierefreie Planung Wert gelegt wurde. Der partizipative Planungs- und Realisierungsprozess wurde unter anderem von einem BürgerInnenbeirat und der Projektgruppe Rieselfeld begleitet. Siegl präsentierte Rieselfeld auf vielen Ebenen als ein Best-Practice-Beispiel, das sich im flexiblen Rahmen einer „lernenden Planung“ positiv entwickeln konnte. Ist das Rieselfeld auch im Hinblick auf soziale Gesichtspunkte ein Vorzeigeprojekt? „[Es soll] nicht verschwiegen werden, dass diese positive Entwicklung mit zu den jetzt deutlich ansteigenden Miet- und Kaufpreisen [...] im Rieselfeld beigetragen hat“, gesteht Riegl. Ernüchternd sind bei dem Projekt auch jene Zahlen, die – neben anderen Parametern – als Indikatoren sozialer Durchmischung verstanden werden können: War das Ziel bei Projektbeginn noch 50% sozialer Mietwohnungsbau, so liegt dieser aktuell nur mehr bei 5%, während der Prozentsatz des Wohnungs- und Hauseigentums (anfangs 20-25%) auf aktuell 70% angestiegen ist. Die Gründe für diese Entwicklungen sind vielfältig, liegen unter anderem aber an den Änderungen der staatlichen Wohnbauförderung durch die Landesregierung Baden-Württemberg. Die Folgen einer „positiven Entwicklung“ und „Aufwertung“ einer vormaligen Brache bedeuten oftmals die Verdrängung von sozial schlechter gestellten Personen in Folge des Herausfallens von Wohnungen aus der Mietpreis- und Sozialbindung. Auch im Zusammenhang sozialer Nachhaltigkeit kann aus Projekten wie dem Stadtteil Freiburg-Rieselfeld gelernt werden – wenn auch nicht immer im Sinne eines Best-Practice-Modells.
Raumplanung. Politik. Wirtschaft
Kurt Puchinger, Raumplaner und Koordinator des Schwerpunktbereichs 10 der EU-Donauraumstrategie ging in seinem Vortrag verstärkt auf die Beziehungen und Abhängigkeiten von Raumplanung, Politik und Wirtschaft ein. Bezugnehmend auf den Governance-Begriff des Stadtforschers und Soziologen Harmut Häußermann skizzierte er den Wandel hin zu neuen Macht- und Lenkungsstrukturen in der Politik. Puchinger beschrieb eine neue, projektförmige Politik, die wirtschaftlichen Zwängen unterworfen und auf Partnerschaften und Kooperationen (PPP-Projekte) angewiesen ist: „Die Realität einer globalen kapitalistischen Wirtschaft gibt die Regeln vor“. In der Raumplanung manifestiert sich dies in einem Wandel „von Planung zu Management“, „von Stadtplanung zu Stadtentwicklung“ und von „Raumplanung zu Regionalentwicklung“.
Trotz eines systemkritischen Einstiegs in die Thematik beendete Puchinger seinen Vortrag mit affirmativen Worten gegenüber den von ihm beschriebenen Prozessen und einem Bekenntnis zum Pragmatismus in Planungsfragen: In der aktuellen Übergangsphase sieht er ein Potenzial für die Raumplanung gewisse Prozesse zu lenken, sodass öffentliche Maßnahmen Einfluss auf private Investitionen nehmen – bzw. private Ziele innerhalb öffentlicher Planungsziele umgesetzt werden können. Die Antwort für die Raumplanung liegt laut Puchinger nicht in einer „Kultivierung des Widerspruchs zwischen öffentlichen und privaten Interessen“, sondern in einer Kooperation und Kompromissbereitschaft der unterschiedlichen AkteurInnen, in einer Formulierung „zielkonformer Angebote an die Menschen und die Welt der privaten Investoren“, denen eine Teilhabe am Planungsprozess eröffnet wird.
Partizipation – Gröden, Südtirol
Von Mitsprache und Kompromissbereitschaft im Planungsprozess sprach auch Virna Bussadori, Direktorin des Amts für Landesplanung in Südtirol und ECTP-CEU-Ehrenpräsidentin – wobei sie eine pro-aktive Beteiligung von BürgerInnen anhand des Masterplans Gröden skizzierte. Die Vision Masterplan Gröden ist eine Planung über Verwaltungsgrenzen hinaus und eine Reaktion auf zu starre und bereichsbezogene Raumplanungsinstrumente. Ausgehend von der Bildung von Arbeitsgruppen und der Veranstaltung von Foren wurden Maßnahmen und Ziele in Form eines Planes grafisch ausgearbeitet. Die Rolle der PlanerInnen beschrieb sie in jenen Prozessen als eine ergänzende, koordinative und vermittelnde – sie könne auch dazu beitragen, das Gefühl eines „Miteigentums“ der Beteiligten zu stärken bzw. eine Identifikation mit dem Planungsprozess und dem Ergebnis zu schaffen. Bussadoris Redebeitrag eröffnete neue Fragen und Perspektiven für die Raumplanung: Wie passt sich die Rolle der RaumplanerInnen an partizipative Planungsprozesse an und welche Position nehmen diese in diesen speziellen Verfahren ein? Welche raumplanerischen Instrumente eignen sich für eine Planung mit BürgerInnenbeteiligung?
Leerstand
Der Beitrag des Soziologen Rainer Rosegger (Scan – Agentur für Markt- und Gesellschaftsanalytik) befasst sich mit dem Thema Leerstand in steirischen Ortskernen und stellte Möglichkeiten vor, wie der Leerstands-Negativspirale entgegenzuwirken sei. Ein Verringern der Leerstände und eine damit einhergehende räumliche Verdichtung könne den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinde stärken. Als eine mögliche Strategie der Zentrumsbelebung sprach Rosegger von Impulsen in Ortzentren als eine Art „Akupunktur“, die „den Gesamtorganismus dynamisieren“ könne und Prozesse in Gang bringe, in die auch die Bevölkerung integriert werde. Im Rahmen unterschiedlicher Projekte wie beispielsweise dem Rostfest in Eisenerz, einer temporären Bespielung von Leerstand in Wildon und Leoben in Kooperation mit dem steirischen herbst oder die Verwirklichung eines kooperativen Geschäftsmodells in Form eines Gib und Nimm-Ladens in Wildon konnten nach Rosegger belebende Impulse in von Leerstand und Schrumpfung betroffenen Gemeinden gesetzt werden. Von Bedeutung für die Umsetzung solcher Projekte ist laut Rosegger die Bereitschaft leerstehende Objekte zu öffnen und alternativ zu nutzen, die Kooperation auf Kommunalebene und darüber hinaus sowie eine Vernetzung von AkteurInnen.
Veränderung
Michael Lehofer, Psychologe und Ärztlicher Direktor der Landesnervenklinik Sigmund Freud brachte einen Beitrag aus einer der Raumplanung entfernten Disziplin ein: Er betrachtete die Person des Raumplaners/der Raumplanerin als Personifizierung von Veränderungsprozessen – Prozesse, die oftmals Ängste hervorrufen, da am Bestehenden festgehalten wird. Wie können RaumplanerInnen unter diesen Voraussetzungen AkteurInnen aus der Politik erfolgreich entgegentreten? Lehofer wies auf die Bedeutung von Bindungserfahrungen für das Ermöglichen von Veränderungen hin und schlug folgende Agitationstechnik vor: Das Gegenüber müsse als Subjekt behandelt und mit emotionalen Übermalungen beeinflusst werden – dies sei die Basis für erfolgreiche Gespräche und der erste Schritt zu einer Veränderungsbereitschaft.
Planung. Politik. Verwaltung
Im Anschluss an die Vorträge wurde das Thema der Selbst- und Fremdwahrnehmung und des Aufeinandertreffens von Personen aus Planung, Politik und Verwaltung in gemischten Arbeitsgruppen diskutiert. Welche wechselseitigen Erwartungen gibt es und was ist das Fundament für eine gute Zusammenarbeit? Die Ergebnisse wurden im Plenum präsentiert, wobei erneut Themen aufkamen, die sich bereits in den Vorträgen als essentiell herauskristallisiert hatten: So stand die Bedeutung von Kommunikation und Austausch von AkteurInnen in Raumplanungsprozessen auch im Mittelpunkt der Abschlussrunde. Andreas Lotz von der BFG Raumplanung, Landschaftsplanung und Geographie, Klaus Siegl, Rainer Rosegger und Michael Redik von der Abteilung 13 – Referat für Bau- und Raumordnung, Amt der Steiermärkischen Landesregierung diskutierten zum Abschluss des Tages. Von Klaus Siegl wurde das Thema der BürgerInnenbeiteiligung als wesentlich für die Zukunft der Planung attestiert. Michael Redig betonte die Rolle des Raumplaners/der Raumplanerin als GeneralistIn und BetreuerIn in einem Prozess, der als Ganzes gedacht werden müsse. Lotz unterstrich in seinen Abschlussworten, dass es wichtig sei Raumplanung und ihre Instrumente kritisch zu hinterfragen. Er betonte die Notwendigkeit, eine Vernetzungsplattform zu schaffen, wobei auch Rosegger auf die Bedeutung eines interdisziplinären gemeinsamen Arbeitens verwies. Es müsse – so der gemeinsame Tenor – regelmäßige Austauschmöglichkeiten geben um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen AkteurInnen in Raumplanungsprozessen zu verbessern, denn – so Lotz: „wir ziehen am selben Strang“.
Die TeilnehmerInnen im großen Gruppenbild sind
Herr Ning ZHANG - Direktor des zweiten Instituts des Planung- und Entwurfinstituts der Stadt Xuzhou
Herr Reinhard SEIß- Raumplaner und Fachpublizist, Wien
Herr Andreas LOTZ- Raumplaner, Innsbruck
Frau Andrea TESCHINEGG- Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung 13, Graz
Herr Wolfgang DOMIAN- Stadtamtsdirektor, Leoben
Herr Kurt WALLNER- Bürgermeister, Leoben
Herr Gerhard VITTINGHOFF- Raumplaner, Graz
Frau Xia CAO - Vizedirektorin des Planungsamtes der Stadt Xuzhou
Herr Ying GE - Hoher Stadtplaner des Servicezentrums für Planungstechnik Xuzhou
Herr Jun WANG - Direktor des Forschungsinstituts für Erkundung, Topographie und Kartographie Xuzhou
Herr Yong BI - Vizedirektor des Planungs- und Entwurfinstituts der Stadt Xuzhou
Herr Yong CHENG - Direktor des Servicezentrums für Planungstechnik Xuzhou
Herr Michael REDIK- Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung 13, Graz