Konzentration und Bewegung: Rückzugsorte, Klassen mit Freiraum und eine Agora. Eine kleine Schule im steirischen Bad Blumau als Einladung zum freigeistigen Denken und Arbeiten.
Die Schulreform – ein Reizwort, vermutlich demnächst zum Unwort des Jahres verkommen. Dabei schreien alle Untersuchungs- und Umfrageergebnisse auf europäischer Vergleichsebene förmlich nach einer Änderung von Unterricht und Schule in Österreich. Aber anstatt endlich daraus Konsequenzen zu ziehen und mit Blick auf gelingende Vorbilder in anderen Ländern die Ärmel hochzukrempeln, lässt man zu, dass Parteien und Bünde jeden umfassenden Reformansatz blockieren, weil sie ihre ideologischen und arbeitsrechtlichen „Besitzstände“ gefährdet sehen.
Solange die flächendeckende Einführung einer Neuen Schule mit radikal anderen pädagogischen Konzepten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wird, bestimmen Stammklassen und Frontalunterricht den Schulbau. Jedes Jahr werden in Österreich Schulen neu gebaut, wird Bestand renoviert und erweitert – geplant nach Richtlinien, die neue pädagogisch-räumliche Konzepte ebenso vermissen lassen wie etwa die Weitsicht, für die naheliegende Einführung der Ganztagsschule gerüstet zu sein. Eine rare Ausnahme war 2011 der Ideenwettbewerb für den Bildungscampus auf dem Gelände des künftigen Wiener Hauptbahnhofs. Die Ausschreibung enthielt nicht viel mehr an Vorgaben als gewünschte Qualitäten und ein Größenlimit. Das siegreiche Projekt des Architekturbüros PPAG ist ein aufwendiges, liebevoll gestaltetes Arbeits- und Lebensumfeld, das zwar eine ideale Schule, aber kein Prototyp einer künftigen Schule werden könnte.
Was aber machen engagierte Architekten, die „Business as usual“ akzeptieren sollten – ein Raumprogramm mit Normklassengrößen und Mindestgangbreiten als Regelwerk, mit Schwerpunkt auf Sicherheits- und Hygienevorschriften und der Einhaltung des Kostenrahmens?
Im steirischen Bad Blumau steht eine neue Volksschule, die zeigt, wie es mit Ambition und großem Einsatz trotzdem gehen kann. Sie ist das Ergebnis eines geladenen Wettbewerbs, den die Grazer Architekten Feyferlik/Fritzer für sich entscheiden konnten. Die nüchternen Fakten: Fünf Stammklassen, ein Werkraum, ein Turnsaal, ein Raum für die Nachmittagsbetreuung. Darüber hinaus: Potenzial für vielfältige Inbesitznahme, für ein anderes, lustvolleres Lernen. Die Schule auf einem Plateau über dem Safenbach ist Teil einer Ortserweiterung östlich des Dorfkerns. Sportplätze und ein Tribünengebäude für den Fußballplatz, das die Architekten der Schule gegenüberstellten, ergänzen das neue kleine Schul- und Sportzentrum der Gemeinde.
Bei der Annäherung könnte man das Schulgebäude glatt übersehen. Der lang gezogene, straßenbegleitende Baukörper liegt flach in der Wiese, nur ein Geschoß hoch und von der Einmündung in den Zufahrtsweg her fast nicht zu sehen, weil der Schüttwall des teilweise eingegrabenen Turnsaals den südlichen Abschluss bildet. Kein mächtiges Dach krönt das Haus, kein Ehrfurcht einflößender Zugang mit Stufen oder Schwellen ist sein Entree. Ein schräg geneigter Vorbau, gepolstert und tapeziert mit der dunklen Folie, die auch für das flach geneigte Dach verwendet wurde und sich im schmalen Dachsaum des Vordachs fortsetzt. Darunter Massivholzfassaden und dort, wo keine Öffnungsflügel sind, große Glasflächen mit einfacher rahmenloser Verglasung. Dazu die Verkleidung der Außenwände an den Schmalseiten und an der langen Klassenfront mit vorvergrauten Brettern. Anstelle eines teuren Windfangs, dessen Türen zu Unterrichtsbeginn und –ende sowieso immer offen stünden, installierten die Architekten einen einfachen Industrievorhang aus reißfesten Gummistreifen, wie er in der Landwirtschaft verwendet wird.
Nein, diese Schule will kein Autorität ausstrahlendes Bauwerk sein, das sich von der Lebensrealität der Menschen im Ort abhebt. Sie hat Werkstattcharakter und unterscheidet sich vielleicht gar nicht vom Betrieb, im den Vater oder Mutter täglich zur Arbeit gehen. Betritt man die Schule, so wechseln Atmosphäre und Anmutung. Holz auf dem Boden, an den Wänden von Werkraum und Lehrerzimmern und an der Decke, die diesen straßenseitigen Bauteil überspannt, prägt den ersten Eindruck. In so viel Materialwärme fügt sich die lange Sichtbetonwand, die das Rückgrat der Klassen bildet, harmonisch ein. Zwischen den lose verteilten Raumgruppen auf der einen und dem Klassentrakt auf der anderen Seite spannen die Architekten über die gesamte Gebäudelänge einen weit mehr als hundert Quadratmeter großen Raum auf, der sich vom Flur über die Eingangshalle zur großzügigen Pausen- und Mehrzweckfläche aufweitet.
Es ist ein offener Bereich, der der Erkenntnis Rechnung trägt, dass Kinder Laufen, Springen und Toben brauchen, um dann wieder konzentriert und kreativ arbeiten zu können. Rampe, Sitzstufen und Bücherinseln gliedern diesen offenen Raum, eine tiefe Lesenische ist intimer Rückzugsraum auf zwei Ebenen. Jedes Detail ist sorgfältig geplant und erfüllt mehr als eine Funktion: die Verglasung vom Klassen- zum Pausenraum ist Durchblick und zugleich Sitzbank, die niedrigen Parapete der Klassen sind Sitz- und Arbeitsfläche, Ablage und Stauraum. Klassentrennwand und Fassade sind jeweils polygonal geknickt. Immer wieder, an vielen Stellen, brechen Feyferlik und Fritzer die Strenge der Orthogonalität, die für sie Symbol einer antiquierten Schulform mit Frontalunterricht ist. Ihre Klassen können über Verbindungstüren zusammengeschaltet werden, und jeder ist eine Freiluftklasse vorgelagert. Eine wind- und teils regengeschützte Terrasse, über Glas und ein breites Schiebeelement mit dem Innenraum verbunden, soll zum Unterricht im Grünen motivieren.
Man hofft, dass solche Freiräume nicht nur den physischen Aktionsraum vergrößern, sondern auch den geistigen Spielraum und Horizont – den der Lehrer und der Schüler. Das große Potenzial an vielfältigen Aneignungsmöglichkeiten dieser Schule kann nur dann ganz entfaltet werden, wenn ihre Nutzer es erkennen, schätzen und ausschöpfen. Wolfgang Feyferlik und Susi Fritzer animieren dazu mit ungewöhnlicher Gestaltung und kleinen unkonventionellen Details, die in vielen Gesprächen mit Betreibern und Nutzern ausgehandelt wurden. Was kann uns ein fröhlich-bewegter roter Industrievorhang als Windfang sagen? Lehrer, lasst Fantasie walten in euren Köpfen, auf dass euch ein lustvoller, abwechslungsreicher Unterricht gelingt. Eure Schule unterstützt euch dabei.
Der Artikel ist erstmalig am 15.09.2012 im Spectrum, Die Presse erschienen.