"Mir wurde klar, daß der Wohnbau
ein Spiegel der Lebensgewohnheiten
der Menschen zu sein hat, daß wir,
ausgehend von diesem Leben,
von innen nach außen zu projektieren
haben und nicht von der äußeren
Form ausgehend nach innen."
(Margarete Schütte-Lihotzky, Architektin, 1897 - 2000)
Adolph Stiller und Otto Kapfinger haben dieses Motto dem Kapitel Sozialer Wohnbau ihrer gerade im Ringturm laufenden Ausstellung Fundamente der Demokratie. Architektur in Österreich – neu gesehen vorangestellt. In ihrer Einleitung tragen die Fundamente den Untertitel Architektur als soziales Organ.
Für mich setzte sich bei der Betrachtung der Beispiele, die die beiden Kuratoren aus den numehr 100 Jahren der Republik Österreich zum Wohnungsbau ausgewählt haben, eine Erfahrung fest, die ich mit den Jahren und mit der stets wachsenden Anzahl von Wohnungsbauten machte, die ich zu Hause und auf meinen Reisen kennenlernte.
Man sieht jedem Wohnbau – aus welcher Entstehungszeit auch immer – an, ob er einem sozialen und gesellschaftspolitischen Anspruch folgt oder aus nicht anderem (An-)trieb als Profitmaximierung heraus entstanden ist. Meine Behauptung mag kühn scheinen, aber es lässt sich für alle ausgewählten Beispiele des Sozialen Wohnens in der Ausstellung nachvollziehen, dass in ihnen ein Anspruch an ein gutes, gedeihliches Leben, an ein friedliches nachbarschaftliches Miteinander seinen baulichen Ausdruck findet.
Graz ist mit drei Beispielen, der momentan gehypten Terrassenhaussiedlung (1965-78), der weitgehend unbekannten Wohnanlage Kooperatives Wohnen (1977-80) in Raaba und der Wienerbergersiedlung überdurchschnittlich repräsentiert. Die Auswahl ist keine Frage des Geschmacks oder der persönlichen Vorliebe.
Nein, man sieht es einem Wohnbau eindeutig an, wozu er entsteht, wofür er steht. Jüngstes Beispiel (auf GAT zu sehen und nachzulesen): der Wettbewerb für das Wohnen an der Triesterstraße. Ins Gesicht geschrieben steht ihm Profitmaximierung, da mag noch so viel Bedeutung in die Jurybegründung hinein geschrieben werden. Money makes the world go round! Da wertet man sogar – ohne rot zu werden? – eines der Projekte mit einer absurden Argumentation ab, die ich Ihnen, werte Leser, nicht vorenthalten möchte: „Die städtebaulichen Vorteile werden durch eine sehr geringe Nutzfläche erkauft und insofern wurden nicht alle Vorgaben vollinhaltlich erfüllt.“
Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken?
Schauen Sie mit mir nach Berlin. Da erbt Michael Wolffsohn eine heruntergekommene Wohnsiedlung aus 1926, die Gartenstadt Atlantic, die sein Großvater, ein jüdischer Verleger, bei seiner Flucht zurücklassen musste, und die sein Vater nach dem Krieg mit Mühen und Aufwand wieder zurückforderte. 500 Wohnungen und 30 Gewerbebetriebe in Wedding, ein sozialer deutsch-türkischer Brennpunkt mit geringen Mieteinnahmen, hohem Leerstand und Sanierungsbedarf. Was eine Mehrheit vermutlich mit diesem Erbe gemacht hätte, macht der Historiker und Hochschullehrer nicht: er verscherbelt die seit 1995 unter Denkmalschutz stehende Siedlung 2001 schon aus Respekt vor seiner Familie nicht,, sondern macht sich daran, sie mit 25 Millionen an Fremdkapital (plus sieben) zu sanieren. Er wird zum Investor, stellt sich als Laie der täglichen Herausforderung, muss die Kreditsumme natürlich wieder hereinbringen, aber er hat einen weit darüber hinaus gehenden Anspruch an sein Investment. „Wir wollten ein Wir-Gefühl schaffen“ sagen er und seine Frau, die von der Apothekerin zur Managerin und Hausverwalterin wird, und „die Leute zusammenbringen, ohne große Phrasen zu dreschen“. Damit dies gelingt, wird nicht nur vorbildlich saniert, sondern werden auch Gewerbeflächen umgewandelt, zum Beispiel in vier Lernwerkstätten für Jugendliche. Aus einem ehemaligen Frisiersalon wird eine öffentlich zu nützende „Kümmelküche“ und mit den Einnahmen, Spenden und Drittmitteln einer von Wolffsohn gegründeten Stiftung wird in Bildung und Kultur für Kinder und Jugendliche „investiert“.
Die Übung ist gelungen – heute ist die 100-jährige Gartenstadt Atlantic zu einem Vorzeigemodell von Integration und friedlichem Nebeneinander geworden – und sie schreibt schwarze Zahlen. Für die Wohnungen zur Miete gibt es Wartelisten und Vandalismus ist kein Thema mehr.
Architektur als soziales Organ – man sieht es der sanierten Gartenstadt Atlantic mit ihren gepflegten, begrünten Innenhöfen wieder an. Eine Erfolgsgeschichte wie diese kann doch auch eine erstrebenswerte Maximierung von Gewinn sein, meinen Sie nicht?