Zwischenkritik oder über den Entwurf von Spielplätzen
LAMA ist unabhängig, unbequem und ungeniert, ein lösungsorientiertes Architekturmagazin, hinter dem Vera Schabbon, Philipp Glanzner, Andreas Maierhofer und Felix Obermair stecken. Die ArchitekturstudentInnen an der Technischen Universität Graz haben sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt, als die Lehre zu revolutionieren. Halt! Vielleicht wird anfänglich auch erst einmal über die gesellschaftskonstituierende Rolle der Architektur nachgedacht und diskutiert, bevor ganze Systeme verändert werden. Zuallererst geht es dabei wohl um Begriffe bzw. Begrifflichkeiten, das ist (nicht immer) klar und schwierig genug.
Der erste Abend, der dem neuen Projekt der vier gewidmet ist, hatten sie doch bereits zwischen 2017 und 2019 sechs Ausgaben von SCHAURAUM. zu den Themen Freier Arbeitsraum, In der Ferne, Architektur auf Umwegen, Architekturfotografie etc., Architektur-Utopien und schließlich Architektur und Politik veröffentlicht, fand im Gemeinschaftsatelier Printi in der Grazer Mariahilferstraße statt und verlief trotz expliziter Themensetzung in entspannter Atmosphäre. Nach einer kurzen Einführung der InitiatorInnen und dem Skizzieren ihrer Anliegen betreffend bestimmter Problemfelder, die LAMA so notwendig mach(t)en, entwickelte sich sofort eine angeregte Diskussion unter den BesucherInnen, denen die Thematik ganz offenkundig nicht fremd und wodurch ein spannender und vielschichtiger Austausch möglich war, der sich in Auszügen, wie die Projektverantwortlichen schon am Beginn der Veranstaltung ankündigten, im März 2020 in der ersten Ausgabe von LAMA wiederfinden wird.
Jene erste Ausgabe befasst sich mit der Architekturausbildung und stellt sie als Ausbildung zur Einbildung zur Diskussion, fragt nach ihrer „Gesellschaftstaug-lichkeit“ und danach, wo die gesellschaftliche Verantwortung der Architektur-Hochschulen in Ausbildung und Forschung bleibt und ob die Architekturlehre etwa geschichtsvergessen, selbstverliebt und zukunftsblind sei. Diese Fragen wie auch die Idee zum Magazin ist eine Folge der während des Studiums festgestellten Mängel, woraufhin die StudentInnen einen Plan erarbeiteten, der sich in Form von neun Ausgaben der Architekturkommunikation in drei festgelegten Themen widmen wird:
Architekturlehre, Architekturdiskurs und Architekturpraxis. In den ersten drei Ausgaben soll ein Ist-Zustand dokumentiert, in den folgenden drei ein Soll-Zustand formuliert und in den letzten drei Ausgaben schließlich Lösungsvorschläge hinsichtlich einer möglichen Verbesserung der Architekturlehre auch im Hinblick auf offene interdisziplinäre Diskussionsformate skizziert werden. Am Ende soll daraus ein Handbuch entstehen, das einen Leitfaden für eine gesellschaftsfähige Architekturkommunikation darstellt. Ein wesentliches Element bei der Umsetzung ist das Veranstalten von Talks, um das Konzept aktiv zu testen und Inhalte in der darauffolgenden Ausgabe zu be- bzw. verhandeln. Spitzzüngig und progressiv wollen sie sein, die Lamas, unangenehme Fragen stellen und damit ein „Reden darüber“ provozieren.
Im Laufe des Abends wurde deutlich, dass selbst Begriffe wie Gesellschaft nicht eindeutig und ganz so einfach definiert werden können. In einer mit zunehmender Spezialisierung und Spezifizierung gestalteten (Um-)Welt erschweren abstrakte Begriffe und der Gebrauch von Geheimsprachen ein Durchblicken und Handhaben derselben auch in Anbetracht der gleichsam gesteigerten Komplexität und der Unmöglichkeit Themenfelder voneinander „abzugrenzen“ bzw. diese „einzuschränken“. Lange wurde über das Verständnis von der „gesellschaftstauglichen“ Eigenschaft von Architektur diskutiert, im Zuge dessen der Begriff „gesellschaftsbildend“ ins Spiel gebracht, der sich für das Gemeinte eher eignen würde, denn „tauglich“ ist die Architektur im Sinne einer staatlichen Befugnis allemal – bedenkt man die AuftraggeberInnenseite, die unbestritten die leitende resp. bestimmende Funktion bei Bauvorhaben innehat. Schon allein dieser Umstand ist fragwürdig, denn der Diskurs bleibt vermutlich ohne (direkte) Folgen, wenn er nicht auch mit jenen AkteurInnen geführt wird. In erster Linie gehe es nämlich, aus deren Sicht, überhaupt nicht um eine künstlerische Befähigung, sondern allein um die Fähigkeit Gebäude zu bauen (wie sie, von wem auch immer, gewünscht sind).
Aber: „Gesellschagtstauglichkeit“ anders verstanden, denkt auch die Frage „Wie möchten wir leben?“ mit, im Sinne einer humanistischen Disziplin bzw. Verantwortung, die die Architektur darstellen kann und auch soll. Indem in Projektentwicklungsprozesse das Wissen darüber eingebracht würde, dass Gebautes nicht nur Umwelt, sondern auch Gesellschaft „formt“ und Räume zur Verfügung stellen kann und soll, die ein lebenswertes Miteinander ermöglichen und fördern, damit vielmehr „gesellschaftsfähig“ ist und die Fähigkeit eines Architekten meint, einzulenken und eine „Richtung“ vorzuzeichnen.
Eine aktive Einmischung der Architektur ist in einem dynamischen Gestaltungsprozess von großem (Mehr-)Wert. Ob die Architekturausbildung tatsächlich auf den Beruf entsprechend vorbereitet, steht zur Diskussion. Das hängt wesentlich von dem persönlichen Stand- bzw. Ausgangspunkt, der Intention, ab; davon, warum sich jemand für diesen Beruf entscheidet und was er/sie damit „bewegen“ möchte und ob überhaupt ein Verständnis für den „Lenkungseffekt“, der von Architektur und allen Disziplinen, die damit verknüpft sind, ausgeht. Das fordere die Kooperation von beispielsweise Städte- und LandschaftsplanerInnen oder SoziologenInnen mit ArchitektInnen, um alle in Projektentwicklungsprozesse einzubinden und Gemeinschaften zu bilden, die interdisziplinär arbeiten. Somit würden nicht bloß Gebäude gebaut, sondern einer erweiterten Aufgabenstellung Rechnung getragen. Neben der Zusammenarbeit mit SpezialistInnen würden auch NutzerInnen eingebunden, was Kommunikations-, Vermittlungs- und Mediationsfähigkeit von Seiten der ArchitektInnen erforderlich macht, denn sie haben oft ein „Gesamtbild“ im Kopf. Ob das Studium für diese Aufgabe eine geeignete Basis schafft und eine Auseinandersetzung damit fordert bzw. fördert? Ob all das überhaupt der Wunsch der GrundstücksbesitzerInnen, BauträgerInnen und AuftraggeberInnen, die die realen Rahmenbedingungen vorgeben, ist? Denn warum die gebaute Umwelt so aussieht, wie sie aussieht, dürfte an einem Mangel an Kommunikation liegen oder gar deren Scheitern belegen.
Wenn man sich nicht verständlich machen kann, ist eine erfolgreiche Kommunikation unmöglich und damit eine Veränderung ausgeschlossen. Wenn man den Entwurf als Möglichkeit bzw. Lösungsvorschlag versteht, ist LAMA ein solcher, der auf seine Verständlichkeit und Realisierbarkeit hin geprüft werden kann. Dass damit der Sprachlosigkeit ein Modell zur Hand gegeben werden möchte, um auch nach erfolgter Kritik eine Weiterentwicklung und ein Finden von Alternativen zu ermöglichen, wird noch länger zur Diskussion stehen.
Im weiteren Verlauf des Talks im Printi wurde auf die Idee des „Spiels“ verwiesen, das hilfreich sein kann. Es beinhaltet das Fragen und das Dialogische überhaupt, bedeutet Informationen zu sammeln, zu verarbeiten und diese dann zu kommunizieren – offene Prozesse also, die einer Lösungsfindung dienen (sollen). Kommunizieren und kollaborieren statt konkurrieren oder gar kollabieren. Wie schwierig es ist, mit Aussagen entsprechend umzugehen, darauf zu reagieren und Probleme festzumachen und Kompromisse vorzubereiten, sich anzunähern und damit der Komplexität entsprechend zu handeln, wird in einer getätigten Aussage deutlich: „Alle, die jetzt Spielmacher an der Hochschule sind, haben ein unendlich freies System genossen und wollen es verbessern und alle, die Normen festlegen wollen, haben ebenso den grundsätzlichen Anspruch, die Situation zu verbessern. Und die Summe aller Verbesserungswünsche erzeugt eine unglaubliche Unfreiheit. Es ist also ein systemisches Problem und kein gesellschaftliches. Wir stellen diese Forderungen und sind Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Deshalb sollten wir es vielleicht einmal umdrehen und Forderungen zurücknehmen. (…) Reduktion von Komplexität also und zwar nicht indem man Scheuklappen hat, sondern indem man überlegt, was man weglassen kann.“
Wenn das, was ist, nicht richtig fassbar ist, gibt es vielleicht etwas (anderes), was dabei hilfreich sein könnte, Probleme zu lösen. Manche sind auch der Meinung, dass man Architektur nur durch Erfahrung lernen kann und diese eng mit Persönlichkeitsbildung verbunden ist; dass die Simulation von Situationen bzw. Settings wichtig ist und deshalb das Architekturstudium (und vieles andere auch) vielmehr als ein Spielplatz verstanden werden sollte, denn dann wäre Kommunikation an sich ihr Grundprinzip.
Kein lahmes LAMA
Eine sehr schöne Zusammenfassung des Abends. LAMA ist ein wirklich gut durchdachtes Projekt und immerhin das einzige freie Architekturmagazin Österreichs. Hoffentlich erkennen möglichst Viele den Wert dieser Plattform und tragen dazu bei.