15/06/2021

Schau doch – 08
Kolumne von Peter Laukhardt

Graz, Karlauer Straße: Was folgt der Spitzhacke?

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Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetz- liches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

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15/06/2021

Bild 1: Karlauer Straße 27 mit Steinportal aus 1810. Abbruch 2021.

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Die Altbauten Karlauer Straße 17, 19, 23 und 27 (abgebrochen). Foto: public-transport.at

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Die Bebauungsplanung in einer Skizze (Laukhardt): braun = erhaltene Altbauten; orange = erhaltenswerte Bauten; oranger Rand = abgerissene erhaltenswerte Bauten; dunkelgrün = Bäume; hellgrün = Bäume geplant; gelb = Wegverbindungen; rot strichliert = kritisierte Planungsdefizite; violett = Grenze der Bebauungspläne

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Karlauer Straße 34 mit „Maria Rosa Mystica“ (erhaltenswert) und der alten roten Hausnummer. Der Baumstreifen soll aufgrund einer Intervention von SOKO Altstadt einmal bis zur Köstenbaumgasse geführt werden.

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Karlauer Straße 46: Ostseite mit Madonna 2011 (erhaltenswert)

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Karlauer Straße 46, Portal von 1815 an der Südseite (erhaltenswert)

©: Peter Laukhardt

Als sich am 26. Mai 2021 nach Mittag die Sonnenstrahlen über die Hauskante von Karlauer Straße 27 schoben, zeigten sich erstmals die Inschriften des schönen Steinportals am spätbarocken Giebelhaus. Kein Stück dieser Kostbarkeiten konnte gerettet werden, denn das Herausklauben hält die Abbruchfirma zu sehr auf ...
Schon 1721 und 1738 wird als Besitzer der Weinschenker V. Dobey genannt. Von 1819 stammten die klassizistischen hölzernen Torflügel mit der Rillenkerbung. In den vor Jahren lieblos übertünchten Kämpfern war mit "18“ und „19" das Jahr eines Umbaus bezeichnet, der Keilstein mit "1878" und "E.L." (E. Lerchbaum) sowie "1904" erzählte von weiteren Adaptierungen (Bild 1), vor einigen Jahren wurden am Dach vier Schleppgaupen hinzugefügt.
Es war ein wehmütiges Abschiednehmen, denn am Vortag hatte der Bagger sein Vernichtungswerk begonnen. Gleichzeitig fiel das schmucke Häuschen Karlauer Straße 23, das ehemalige „Corso“, 1680 der „Neuwirt“, in dem die Pest wütete, ab 1755 dann Arbeitsplatz der Ringelschmiede T. Stockinger und P. Schafzahl.
Diese beiden Abbrüche bedeuteten den Schlusspunkt unter eine einzigartige Folge der Zerstörung alter Bausubstanz, denn die Häuser Karlauer Straße 13, 15, 17, 19 (Bild 2) waren schon vorher abgerissen worden, ebenso wie Nr. 39 (das Geburtshaus des Tondichters Jakob Ed. Schmölzer, s. Link Karlauer Straße 39).
Dieser fragwürdige Rekord von 7 Abbrüchen konnte bisher nur noch von der Körösistraße übertroffen werden, wo bisher 9 Altbauten der Spitzhacke zum Opfer fielen.
Kürzlich beschrieb ich das Schicksal des Dietrichsteinplatzes, der trotz einiger Aderlässe nicht ganz verschwinden wird, die Karlauer Straße hat aber wohl ihren alten Geist ausgehaucht. Das längliche Geviert zwischen Karlauer Straße und Rankengasse, einst ein buntes Gemisch von Wohnhäusern, Gasthäusern, Betriebsstätten und Lagerhallen aus allen Epochen war von Investoren zusammengekauft und von den alten Bauten „befreit“ worden, ausgenommen ein gründerzeitliches Wohnhaus im Westen und fünf Häuser in der Rankengasse – eigentliche eine erstaunliche Leistung. Man denkt unwillkürlich an den Baron Haussmann und die Neugestaltung von Paris vor 150 Jahren, und daran, dass ihm Napoleon III. alle Vollmachten gab. Egon Friedell bezeichnete das „neue Paris“ Haussmanns 1931 in seiner Kulturgeschichte der Neuzeit als „getreues Abbild des Zweiten Kaiserreichs: fassadenhaft, niederschreiend, künstlich und parvenühaft.“ So bleibt uns die Antwort auf die Frage zu unserer Epoche im Hals stecken: erleben wir eine neue Gründer- oder eine neue Plünderzeit?

Wie geht es also mit unserer Karlauer Straße weiter?

Zwei Bebauungspläne (05.21.0 Karlauer Straße – Rankengasse und 05.34.0  Karlauer Straße – Rankengasse Süd) haben in den letzten Jahren die künftige Gestaltung dieses riesigen Areals vorgegeben (Bild 3). Man kann zwar davon ausgehen, dass sich die Grundsätze für die Blockrandbebauung verwirklichen lassen werden, die lauten: Sicherung der Qualität von Innenhöfen als ruhige, gut begrünte Räume, gegebenenfalls Entsiegelung und Reduktion konfliktträchtiger Nutzungen. Fernhalten des ruhenden motorisierten Verkehrs von der Oberfläche. Überschüttung von Tiefgaragen und anderen unterirdischen Einbauten mit einer ökologisch wirksamen Vegetationstragschicht. Erhalt eines ökologisch wirksamen Mindestanteils an gewachsenem Boden (Regenwasserversickerung). Es sind zumindest 30% der jeweils zugeordneten Hoffläche anzustreben.
Man hätte sich aber gewünscht, die Bebauung eines derartig großes Areals nicht unabhängig voneinander, hintereinander und jeweils nur für eine Hälfte, sondern gemeinsam einer städtebaulichen Studie zu unterziehen, um das Beste für die künftigen Bewohner – aber auch die Stadt – herauszuholen. Das ist leider nicht geschehen. Dabei wurde wohl übersehen, dass im Bereich der Karlauer Straße gerade rund 500 Wohnungen geplant, in Vorbereitung oder bereits übergeben sind! Wie für die wohl an die 1000 hier neu zuziehenden Menschen das Angebot an Spiel-, Erholungs- und Grünflächen aussieht, möchte ich gerne wissen, und welche sonstige Infrastruktur dafür bereitgestellt werden muss. Der Begriff „Grünes Netz“ kommt in den Planwerken jedenfalls nicht vor, auch „Vorgärten“ sucht man vergeblich.

Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde zwar für eine zwei Gebäude „unterfahrende“ Fuß- und Radverbindung im Süden des Areals vorgesorgt, warum konnte aber die im Flächenwidmungsplan vorgesehene Verbindung zwischen der Köstenbaumgasse und der Rankengasse nicht realisiert werden? Der BBPl. 05.21.0 hat diese Durchwegung wegen Widerstands eines Betriebsinhabers als „nicht durchführbar“ herausgenommen; an der heutigen Leerfläche sieht man, dass sich das leicht ausgegangen wäre (siehe Bild 3, rot strichlierte Linie). Dem überlangen Block (Umfang rund 750 m, fast das Doppelte eines „Standard“-Blockes der Gründerzeit) hätte eine Zäsur an dieser Stelle auch gutgetan, der große Kastanienbaum hätte stehen bleiben können, vielleicht auch das Haus Nr. 27.

Das Rendering des Neubaus auf Nr. 27 [s. Link Skyscrapercity Forum], zeigt einen sich über 20 Achsen (rund 70 m) erstreckenden, elegant wirkenden Wohnbau mit einer Ladenzeile im Erdgeschoß, bodentiefen französischen Fenstern in den 4 Obergeschoßen und einem zurückversetzen Penthouse-Geschoß. Man erkennt auch sofort, welch große Chance hier vertan wurde: man hätte die Karlauer Straße zu einem alleebestandenen Boulevard gestalten können. An beiden Seiten der Straße sind Ansätze von Baumreihen schon lange vorhanden, und im Bebauungsplan 05.20.0 Karlauer Straße – Köstenbaumgasse konnte durch mein Einwirken der Neubau an der Ecke soweit zurückverschoben werden, dass sich künftig eine durchgehende Baumreihe an der Westseite der Straße ausgeht. Die Bebauungspläne für die Ostseite haben es jedoch verabsäumt, einen Baumstreifen einzuplanen. Doch halt, die Stadtplanung sagt uns immer wieder, man dürfe das ja gar nicht planen, denn Bebauungspläne enden jeweils an der Häuserfront! Dazwischen ist Niemandsland?
Aber vielleicht lässt sich das ja dennoch realisieren? In einem posting las ich die Sorge, dass sich hier künftig die Straßenbahn „durchzwängen“ müsse, weshalb ihr im Zweifel der Platz gebühre. Dazu kann ich nur sagen: man braucht nur die Parkplätze reduzieren, und schon ist es möglich. Die Tram wird wohl eher beim Flaschenhals am südlichen Ausgang des Griesplatzes Probleme machen, denn hier hat man – das volle Profitpotenzial ausschöpfend – bis an den alten Gehsteig herangebaut; wohl ein schwerer Planungsfehler.

Eine zweite letzte Chance für die Karlauer Straße gibt es noch: es fehlt noch ein Bebauungsplan für die Westseite. Das wird schwierig, denn hier stehen noch Gebäude, die erhaltenswert sind (Bild 4, 5 und 6).
Im Haus Karlauer Straße 46, im Kern aus dem 17. Jh., wird 1701 des "Lederzurichters Stampf bei der Steinen Brück" genannt. Auf den Umbau verweist das ausnehmend schöne Portal mit den Initialen JH (Josef Höck), dem Gerberfass, gekreuzten Walkstäben und Lorbeerzweigen und Kämpfern mit der Inschrift "18" (links) bzw. "15" (rechts). Ab 1891 betreibt Johann Puch hier seine Fahrradfabrik. Eine leider verschwundene Maria Immaculata, Marx Schokotnigg zugeschrieben (um 1710), beschützte das heute heruntergekommene Haus. Es scheint sehr gefährdet. Wieviel bedeutet Johann Puch dem heutigen Graz nocht? Ob das Denkmalamt noch reagiert?

Die immer heftiger werdende Zerstörung das Stadtbild prägender Gebäude außerhalb der Altstadt-Schutzzonen nimmt derart beängstigende Formen an, dass es unabdingbar ist, hier mit legistischen Maßnahmen einzuschreiten. Wir Altstadtschützer hoffen jetzt auf die anstehende Novellierung des steiermärkischen Ortsbildgesetzes und des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes nach dem Tiroler Vorbild. Dann könnte die Stadt Graz „charakteristische Gebäude“ definieren, die wie Bauten in Schutzzonen erhalten werden sollen.

Neu

Lieber Peter,
Als ich unlängst den Eggenberger Gürtel als Beifahrerin entlang fuhr, konnte ich mir bewußt links und rechts die Gebäude ansehen und so kam ich auch beim Stadtbauamt vorbei und mußte dort halten, da die Ampel rot war. Mein Blick glitt hinauf und ich dachte, in welcher Stadt bin ich jetzt bin ich in Nis (eine Stadt in Südserbien mit besonders hässlichen Bauten) oder Graz? Ich konnte die Frage nicht beantworten, lieblose, gesichtslose 08/15 Bauten ohne Umgebungsgestaltung so weit das Auge reichte. Ich sagte zu mir: Von einem Gürtel kann man ja nicht viel verlangen. Die Chuzpe ist aber - so sieht es ja in ganz Graz aus.
Lieber Peter du stelltest eine Frage in deinem Artikel zu unserer Epoche :" erleben wir eine neue Gründer- oder eine neue Plünderzeit?" Meine Antwort ist - Plünderzeit, dumme, dreiste, geldgierige Plünderzeit durch unsere Stadtpolitiker geförderte Plünderzeit. Danke für deine wie immer lesenswerten Beiträge.

Mi. 23/06/2021 11:23 Permalink
Astrid Kohlfürst

Lieber Peter Laukhardt
Kaum lese ich einen Beitrag von Ihnen, bin ich auch schon erschüttert, trotzdem aber dankbar, dass Sie dies aufzeigen. Ich bin in Graz geboren (1945), habe 40 Jahre lang im 1. Bezirk in der Alten Universität in der Bürgergasse, später in der Sporgasse gewohnt, bis ich dann widerstrebend in eine Eigentumswohnung im Grüngürtel gezogen bin. Schon als Kind kannte ich alle Gassen und Straßen nach Namen, kannte die Häuser und mochte die Details an Hauseingängen und Fensterumrandungen. Wenn ich heute in die Stadt fahre, erkenne ich die meisten Straßen nicht wieder, gesichtslose Häuser - und meine stumme Frage: War da nicht ....? Mich zieht nichts mehr in die Stadt, ist nicht mehr "meine".
Viele werden sagen, was jammerst du um Häuser, wo es doch so vielen Menschen schlecht geht, aber mit dem "Wegräumen" unserer Vergangenheit geht Stück für Stück auch unsere Identität verloren, unwiederbringlich! Im gleichen Takt fallen übrigens auch die Bäume!

Di. 15/06/2021 12:35 Permalink
Netzwerktreffen
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