Es grünt so grün. Eine Frühsommer-Erzählung
Wie man’s im Jargon so sagt, handelt dieser Wolkenschaufler nun tatsächlich von Kraut & Rüben. K & R im Sinn von Bäumen und Sträuchern respektive von Maßnahmen und Experimenten, die in Graz vorgenommen wurden und werden, um die Tendenz sommerlicher Überhitzung im Stadtraum zu kompensieren inklusive einiger Kuriositäten.
In ihrer Rubrik PLUS / MINUS auf GAT hat Elisabeth Kabelis-Lechner im Jänner dieses Jahres ja schon darauf aufmerksam gemacht, dass Bäume am Murufer, im Staubereich des Kraftwerks etwa bis auf Höhe der Radetzkybrücke, mit Wurzeln und Stämmen unter Wasser stehen. Dass diese Bäume kühl(t)en und frische Luft mach(t)en, wird wohl niemand in Abrede stellen. Es ist aber abzusehen, dass sie es nicht mehr lange machen werden. Man muss diese Bäume jedenfalls nicht fällen, sie werden fallen. Im August vergangenen Jahres fragte die Kronen Zeitung beim Kraftwerksbetreiber Energie Steiermark nach, deren Sprecher Urs Harnik antwortete tatsächlich, das sei „Absicht!“. „Die Bäume wurden in diesem Abschnitt ganz gezielt unter Wasser gesetzt, das war ja auch schon im Vorfeld Thema im UVP-Verfahren“. Und: „Dahinter steckt die Idee, eine Auenlandschaft entstehen zu lassen“. Von Auenlandschaft, nach dem Bau des Kraftwerks, kann heute durchaus noch südlich des KWs, ab etwa Feldkirchen, gesprochen werden. Wo aber sollte beiderseits der Mur, im Industrie- und Wohngebiet stadteinwärts, eine Auenlandschaft entstehen?
Nun endlich, und nach mehrwöchiger Schlechtwetterperiode, habe ich bei Schönwetter den Klima-Kultur-Pavillon des Breathe Earth Collectiv auf dem Grazer Freiheitsplatz aufgesucht, der im Rahmen des verlängerten Grazer Kulturjahres 2020 erst heuer errichtet werden konnte. Ich dachte, dabei handelt es sich um ein sich möglichst selbst erhaltendes Biotop, dass, wie es auf der Website von Breathe Earth vorgestellt ist, „ein künftiges Modell zur Kühlung von Stadträumen in heißen Sommern“ ist beziehungsweise sein soll. Bei Eintritt in die etwa 100 m² große „Waldoase“ allerdings eine Enttäuschung: Bäume und Sträucher, in eine an Waldboden erinnernde Aufschüttung gepflanzt, werden von einer Sprühnebelanlage versorgt, gespeist von einem nahen Hydranten. Freilich können die Pflanzen dieser temporär angelegten Kunstinstallation ihr Wasser nicht aus dem Boden des Freiheitsplatzes ziehen, und für mich wahrnehmbar war auch ein Temperaturgefälle zwischen innen und außen, das wohl vom Sprühnebel bewirkt wird. Der Effekt aber verlangt Wasser und Strom, und kann in dieser Konstellation wohl kaum Modell für etwaige Anwendungen in der Grazer Innenstadt sein.
Ich war erinnert an zwei Experimente, die in den vergangenen Jahren in Graz inszeniert wurden. Im Sommer 2019 beauftragte die Stadt Graz eine hier ansässige Firma, die Sprühnebelanlagen herstellt und installiert. Auf deren Website werden Gastgarten-, Event- und Stallkühlung beworben. Umgeben von Firmenlogos war vor dem Grazer Rathaus eine dieser Anlagen installiert. Der wahrgenommene Effekt war vor allem ein optischer, nachdem von Zeit zu Zeit kleine Wasserwölkchen in vier Metern Höhe aus Düsen gespritzt wurden.
Im Klima-Kultur-Pavillon liegen diverse Broschüren auf, darunter ein „Bericht Klimaschutzfonds 2020“, herausgegeben von der Stadtbaudirektion Graz. Im Artikel „COOLER HOT SPOT“ (S. 14 f.) wird der „Testversuch“ (falls man’s nicht verstehen sollte wird dem „Test“ auch noch der „Versuch“ angehängt) beschrieben, in dem von Juni bis Ende August eine Sprühnebelanlage auf dem Grazer Tummelplatz installiert war. Hier wird uns immerhin vermittelt, dass der „Testversuch“ 125.000 Euro kostete. Vorenthalten wird uns dagegen – aber wir wissen aufgrund der hier ebenfalls angebrachten Werbetafeln –, dass es sich um dieselbe Firma handelte, die schon im Jahr zuvor den Bereich vor dem Rathaus „kühlte“. „Abschließend“, heißt es in besagtem Artikel zum „Testversuch“, „kann festgehalten werden, dass die Sprühnebelanlage am Tummelplatz aufgrund der typischen Windverhältnisse in der Innenstadt und der Montagehöhe nur eine geringe Abkühlungsleistung erbracht hat“. Das konnte man auch vor diesem zweiten Versuch nicht wissen, deshalb wurde nochmals getestet, was zum erwähnten Ergebnis führte. Was wir nun dank der Stadt Graz aber wissen ist, welche Firma solche Kühlsysteme für Gastgärten oder, sagen wir, Heimterassen herstellt, zu welchem Preis sie verkauft und installiert. Nichts Übles, bitte, denken wir darüber hinaus.
Gewissermaßen historisches Material zum Thema findet man auf der Homepage der Stadt Graz. In den Jahren 1986, 1996, 2004 und 2011 wurden „Stadtbefliegungen“ vorgenommen, aus denen Stadtklimaanalysen angelegt wurden. Wie aktuell Wolfgang Magets Erläuterungen auf der Site nun sind, kann ich nicht beurteilen. Aber man mag ersehen, so Maget, wie Windströme funktionieren, in welchen Bereichen der Stadt es besonders warm ist, wie es um den Bodenversiegelungsgrad in verschiedenen Zonen der Stadt bestellt ist: „Die klimatologischen Gegebenheiten sind nämlich wesentliche Basis für Empfehlungen, wie man gewisse Punkte nutzen kann.“ Die letzte Befliegung fand also vor zehn Jahren statt. Laut Maget berücksichtigt das „aktuelle Stadtentwicklungskonzept STEK 4.0 […] die aus den Klimaanalysen gewonnenen Erkenntnisse und trägt ihnen mit konkreten Handlungsempfehlungen und Festlegungen Rechnung“. Hinsichtlich der Versiegelung, so mein Eindruck, hat sich in den vergangenen zehn Jahren doch einiges getan, denkt man allein an den Komplex des Med-Campus in St. Leonhard und Betongold, das allenthalben auf die grüne Wiese gepflanzt wurde.
Aber auch hier wird kompensiert: Eine Broschüre des green.LAB Graz (gegenüber dem Science Tower, steht auf der letzten Seite zu lesen) zeigt das Foto (oder eine Montage?) eines Wohnbaus, an dessen Fassade von oben bis unten Buschwerk wächst(?). Die Webcam auf Science Tower und Smart City zeigt mir nichts dergleichen, abgesehen von einer derzeit bestehenden Gartenanlage, offenbar des green.LABs.
Weiteres Kraut, in dessen Umgebung man auch Rüben pflanzen könnte: Auf der Website einer Wohnbaugruppe wird mit dem „Grünraumkonzept […] ‘Natur in der Stadt’ völlig neu definiert“. Man muss sich übrigens vor Kontradiktionen nicht fürchten, es sind ja nur Worte, die (für mich) kurzweilig zu lesen sind, Natur in der Stadt. Jetzt geht es um den vom Atelier Thomas Pucher entworfenen Green Tower für das sogenannte QUARTIER EINS in Reininghaus. Auf Renderings ist ein Turm zu sehen, aus dem in allen Etagen Bäume und sonstiges sprießen und dessen Bau gerade begonnen haben soll. Angesichts dieses, sehe ich in einem Artikel des aktuellen Art-Magazins (schon wieder, aber es passt gerade) ein Foto des Bosco Verticale in Mailand – augengleich, aber wahrscheinlich etwas wie der große Bruder des Green Towers, zudem sind es in Mailand zwei Türme. Der vertikale Wald, lese ich, ist auf je 27 Stockwerken mit 800 Bäumen und 20000 Büschen begrünt und wurde 2014 mit dem Hochbaupreis der Stadt Frankfurt bedacht. Allerdings musste, um den Wald am Leben zu halten, eine Vielzahl von Halterungen, Rohren, Sensoren und naturgemäß Bewässerungsanlage angebaut werden, abgesehen von mehr Beton und Stahl für die Statik von Baukörper und Wald. Die Verwurzelung der Bäume wurde in einem Windkanal in Florida getestet (hier wurde nur getestet, nicht versucht). Eine Firma namens Flying Gardeners seilt sich viermal pro Jahr vom Dach ab, um zu düngen, zu beschneiden und neu zu pflanzen. Jedem Mieter oder Eigentümer entstehen dafür zusätzliche Betriebskosten von 1500 Euro monatlich und eine Wohnung kostet bis zu 4,8 Millionen. „Ein Märchenwald für Reiche“ schließt Ute Diel ihren Artikel und der Wolkenschaufler fragt, wer wird den produzierten Sauerstoff im Green Tower atmen?