Durchschaubare Wirklichkeit?
Eine Vielzahl von Zeichnungen ist auf transparente Paneele aufgebracht. Von verschiedenen Standpunkten aus überlagern sich die Bilder aufgrund der Durchsichtigkeit; es entstehen Vorder- und Hintergründe, zwischen denen sich die BetrachterInnen bewegen, während ihre Spiegelbilder und Schatten scheinbar zu bewegten Bildelementen werden. Es gibt keinen Punkt in der Kunsthalle Graz, von dem aus die Installation in ihrer Gesamtheit erfassbar ist.
Marleen Leitner und Michael Schitnig haben in Graz Architektur studiert. Seit einigen Jahren treten sie als studio ASYNCHROME mit Kunstwerken in die Öffentlichkeit, in denen – nach jeweils umfassender Recherche – durchwegs gesellschaftrelevante Themen verhandelt werden. Die Mittel sind Zeichnung, Malerei, Fotografie und Animation – seine Arbeitsweise beschreibt das Duo als „transdisziplinäres Projekt“.
Immer wird eine multiperspektivische Rezeption angestrebt. Wie in der rezenten Schau Autopropaganda oder Kapital ist ein schlechter Vermittler werden diverse Lesarten in Verknüpfung der Sujets zur Disposition gestellt. Bilderzählungen werden durch die Sequenzen verschiedener Ereignisse aus Geschichte und Gegenwart suggeriert. Die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher ist zu erkennen, charakterisiert durch ihre in einer Sprechblase wiedergegebene Sentenz „There is no alternative“. Eugène Delacroix‘ als Marianne personifizierte Freiheit (die im Original das Volk während der Pariser „Julirevolution“ des Jahres 1830 führt) greift hier nach einem weißen Friedensbanner aus dem nächstgelegenen Bild. Das allerdings ist wiederum gezeichnetes Weiterdenken der bekannten Fotografie des Aufrichtens der US-Flagge nach Eroberung der Pazifikinsel Iwo Jima. Während am Bild der Marianne der Schriftzug RESISTENCE zu lesen ist, steht neben den wie von oben herabblickenden Porträts der US amerikanischen Wirtschaftsmagnaten Charles und David Koch das Wort INFLUENCE. Im Umfeld von Grenz- und Sperrzäunen sind einerseits situierte, andererseits Personen zu sehen, die jenen wie ausgeliefert erscheinen.
Wir befinden uns – so mag man schließen – in einem Ensemble von Bildern, die als Allegorien von gegenwärtigen neoliberalen Gesellschaften handeln beziehungsweise von Individuen in Gesellschaften, die an einem neoliberalen System Teil haben – als steuernde Kräfte zum einen, zum anderen als Kapital in mehrfacher Hinsicht.
Computer, Smartphones und Zitate aus den Sozialen Medien tauchen mehrfach auf. Woher beziehen wir unsere Informationen über die Welt? Und wer bewertet die aus Daten vermittelten Informationen? Soziale Medien (Echoräume), Informationscluster, Trollfactories oder Bots und das Akkumulieren von Daten durch Algorithmen ermöglichen die Manipulation von Meinungen respektive werden Konstellationen von Wirklichkeiten generiert, die sich mehrheitlich gegenüber alternativen Wirklichkeiten behaupten können. Die Wahrnehmung der Welt und ihrer Ereignisse kann gelenkt werden.
Angesichts dieser Installation von studio ASYNCHROME ist man an Platons Höhle erinnert, in der Gefangene mit dem Rücken zum Eingang gewendet sitzen, während sie die Schatten an den Wänden für wahre Bilder der Wirklichkeit halten.