Auf dem Leechhügel, einem Grabhügel aus der Hallstattzeit soll Herzog Leopold VI. zu Ehren der Heiligen 1202 die St. Kunigunden-Kapelle als Rotunde erbaut haben; so steht es in einem kleinen Büchlein in meiner Bibliothek, der „Beschreibung der kaiserl. königl. Hauptstadt Graetz, und aller daselbst befindlichen Merkwürdigkeiten …. Durch Aquilinus Julius Caesar, Zweyter Theil, 1781“ (Bild 2). Der Name kommt vom Althochdeutschen „hleo“, mittelhochdeutsch: „lê“ und findet sich in vielen Ortsbezeichnungen, z. B. Lebern.
Es muss aber auch angemerkt werden, dass der durch das Leechfeld fließende Kroisbach in alter Zeit auch Lee- oder Leehbach genannt wurde (aber auch Rötenbach, Rettenbach).
Der Platz um die Kapelle (Bild 3) diente – ähnlich wie der Friedhof bei der Ägydikirche (später Dom) – bald als Versammlungs- und Gerichtsort, denn schon am 23. April 1224 stellte Herzog Leopold VI. hier eine Urkunde aus („Acta coram nobis apud Graez iuxta capellam sancte Chunegundis"), und noch eine am 17. Februar 1227 „Acta sunt hec in Graez, in ecclesia sancte Chunegundis“. Nach Hermann Baltl (ZHVSt 45, Graz 1954) dürften aber an diesem Gerichtsort bedeutend mehr Urkunden ausgestellt worden sein, weshalb er auf eine alte kultische Bedeutung des Leechhügels schloss.
Die Babenberger wollten die Ordensritter für den Grenzschutz gegen die Ungarn gewinnen und so siedelte Herzog Leopolds Sohn und Nachfolger 1233 den Deutschen Ritterorden in Graz an. Herzog Friedrich II., „der Streitbare“, übergab dem Orden die Kapelle am Leech, die Vorgängerin der jetzigen Leechkirche.
Im Deutschordens-Zentralarchiv am Wiener Stephansplatz wird eine am 28. Oktober 1233 in Wien-Erdberg ausgestellte Urkunde mit dem Bruchstück eines Sigls verwahrt (Bild 4), die besagt: Herzog Friedrich II. von Österreich und Steiermark überträgt der neu gegründeten Deutschordenskommende (fratribus Hospitalis Sancte Marie Theutonicorum in Jerusalem) die Kirche auf dem Hügel bei der Stadt Pairische Gretz mit allen Rechten, die sie von seinen Vorfahren erhalten hatten; weiter sieben Dörfer, acht Huben zu Messendorf sowie 28 Hofstätten vor der Stadt Graz (triginta areas minus duobus) usw.
Die Kunigundenkapelle dürfte dann 1250 bei einem Ungarneinfall zerstört worden sein. Nach der Zahlung von Entschädigungen durch König Bela IV. von Ungarn begann wahrscheinlich schon 1255 der Neubau der Kirche „Maria am Leech“, 1275 rief Bischof Dietrich von Gurk zu Almosen für ihren Wiederaufbau auf, 1293 war sie vollendet. Die Neugestaltung der Westfront mit zwei Türmen erfolgte erst im Jahre 1500.
1991-1994 legten großangelegte archäologische Untersuchungen Teile der Vorgängerbauten frei (Bild 5). Die Forscher erkannten nicht nur, dass der hallstattzeitliche Grabhügel über einem Gräberfeld der späten Urnenfelderzeit aufgeschüttet wurde, sie staunten auch, als sie sahen, dass die Kunigundenkapelle über einem runden Vorgängerbau errichtet wurde, der bis heute keiner Epoche eindeutig zuzuordnen ist, und deshalb als vorromanisch bezeichnet wurde. Der Rechtshistoriker Hermann Baltl stellte in seinem Buch „Die Steiermark im Frühmittelalter“, Graz 2004, sogar die kühne Vermutung auf: „vielleicht war sie eine der multa loca der conversio?“; die Stelle der ins Jahre 767 datierten Überlieferung der christlichen Mission der Bischöfe Virgil und Modestus lautet „Qui venientes Carentanis dedicaverunt ibi ecclesiam sancte Marie et aliam in Liburnia civitate seu ad Undrimas et in aliis quam plurimis locis“.
Bei der Beantwortung der Frage, wie die Kirche vor 1500 aussah, hat es mein Freund und Forscher-Kollege Horst Walluschek-Wallfeld übernommen, das Gottesplagen-Fresko bzw. seine Nachzeichnungen zu prüfen und mit der von J. A. Kumars („Historisch-mahlerische Streifzüge in den Umgebungen der Stadt Grätz“, 1816) geschilderten Begebenheit zu vergleichen: „Selbst als im Jahre 1480 die Ungarn alle Gebäude und Häuser umher in Asche legten, ist doch diese (Leech-)Kirche durch kluge Anstalten des Ritters Balthasars von Eckenberg, der daran neue Befestigungen veranstaltete, und durch tapfere Vertheidigung des Ordensritters Balthasars Berghauser glücklich der Zerstörung entgangen.“
Unsere Erkenntnis: Auf der 1826 von Johann Waltl publizierten Nachzeichnung des Gottesplagenbildes ist im rechten Abschnitt des „Türkenbildes“ eine Kampfszene gut zu erkennen (Bild 6), bei der aber Osmanen zu sehen sind. Das Bild dürfte die Ordenskirche vor der Neugestaltung der Westfront um 1500 zeigen. Weiter rechts davon ist eine umkämpfte Anhöhe zu erkennen, bei der es sich wohl um den wehrhaften Ansitz „Rohrbach“ im äußeren Stiftingtal handelt, von dem auch der Grazer Stadtschreiber Caspar Rohrbacher seinen Namen bezog. Im Jahre 1468 hatte er Kaiser Friedrich III. einen Acker verkauft, den dieser den Franziskanern für ihr neues Kloster neben der Kapelle St. Leonhard widmete; besiegelt wurde dieser Kaufbrief vom Komtur des Ritterordens Balthasar Berghauser.
Der vermeintliche Asyl-Stein
Das Benefiziatenhaus Zinzendorfgasse 3 – Sitz des für den Orden tätigen Weltpriesters – dürfte schon im 14. Jh. bestanden haben, wurde aber mehrfach umgebaut (Bild 7). Bis zur Erwerbung des Stadthauses Sporgasse 22 im Jahre 1689 war es sicher auch Komtursitz: auf dem Stich von Vischer (Bild 3) könnten wir es vor dem Kirchhügel liegend erkennen. Heute sehen wir vor dem Aufgang zur Kirche an der Westwand ein Steinwappenrelief als ehemalige Portalbekrönung mit einem von Löwen gehaltenes Wappen des Karl Graf und Herr von Zinzendorf und Pottendorf, von 1790/1800.
Die besondere Bedeutung dieses Hauses besteht aber in zwei Rechtsdenkmalen: die Asyltafel von 1583 (Bild 8) und der Burgfried-Grenzstein von 1621 (Bild 9). Lange war man davon überzeugt, dass der Stein an der Ecke jedem Asyl gewährte, der ihn berührte oder auf ihn stieg. Hermann Baltl ließ ihn heben und hat 1954 dargelegt, dass er sowohl ein Eckstein als auch ein Grenzstein war. Die in der Mitte des Blockes eingehauene Jahreszahl 1621 – unterteilt durch das charakteristische Kreuz des Deutschen Ritterordens – bezog sich auf eine Bereitung des städtischen „Burgfrieds“, in der wohl auch die Grenzen der Gerichtsbarkeit der „Commenda am Lech" auf Grund der alten Freiheitsbriefe festgestellt worden sein dürften.
Das Asylrecht des Deutschen Ritterordens geht auf ein Privileg Herzog Friedrichs II. vom 25.12.1239 zurück, in der Urkunde vom 28.10.1233 war die Asylberechtigung noch nicht klar formuliert gewesen. 1358 erfolgte eine Bestätigung durch Herzog Albrecht II. und in der von Friedrich III. erlassenen Landhandfeste von 1445 werden die Asylrechte des Deutschordenshauses ausdrücklich hervorgehoben, es heißt darin: „Wer sicheres Geleit zur Landschranne begehrt, dem soll es auch nach alter Sitte gegeben werden, nämlich vom Teutschenhause bis zur Schranne und zurück“.
Wo lagen die 28 Hofstätten von 1233?
Am 19. November 1354 bestätigt wegen eines Streits mit der Stadt Graz Ulrich von Walsee den Tevtschenherren zu Greczz an dem Lee ihre Gerichtsbarkeit, ausgenommen das Blutgericht. In dieser Urkunde sind die Besitzer aller Hofstätten angeführt, bei 14 von ihnen auch der Beruf; es gab neben den ohne Berufsbezeichnung angeführten Bauern je zwei Weber, Kaltschmiede und Köche, einen Metmacher, einen Eseltreiber, einen Schuler, einen Bäcker, einen Zuckerbäcker, einen Maurer, einen Ircher und sogar einen Buchschreiber.
In einer in Graz am 2. Oktober 1360 ausgestellten Besitzbestätigung durch Herzog Rudolf IV. wird die Ausdehnung der Dorfzeile näher, aber deshalb nicht eindeutiger umschrieben. Der entscheidende Satz der Urkunde lautet: „[...] sitas in Geudorff a domo C. dicti Grawschof se protendentes per ordinem usque ad ipsarum tabernam in acie viculi sumptis eisdem extremis domibus inclusive." Übersetzung (nach Popelka, Untersuchungen): […] gelegen in Geudorf vom Hause des genannten C. Grawschof an sich in gerader Linie fortziehend bis zu ihrem eigenen Schenkhaus in der Dorfzeile, einschließlich der ihnen gehörenden Häuser an ihrem Ende.
Der am Beginn der Dorfzeile sitzende C. hieß in der Urkunde vom 18. November 1354 noch Grabschopf, trug also den Übernamen Grauschopf. Nach der Liste lagen zwei Hofstätten am Weyer, eine am Pühel, eine auf der Hulben. Eindeutig ist nur die Lokalisierung der „Hulben“, sie war ein Feuchtgebiet am Kroisbach (im Deutschordens-Urbar heißt er „Leeh“) in der Nähe des späteren Hilmteichs. Als Weiher sehe ich den von Stadtpfarrer Heinrich von Graz 1317 erworbenen späteren Breunerteich (beim Bau der Elisabethstraße zugeschüttet), der „Pühel“ selbst wird wohl der Leechhügel gewesen sein.
Die Dorfzeile war wohl identisch mit dem alten „Kirchweg“, verlief also vom Leechhügel über die heutige Zinzendorfgasse, die Leechgasse und die Schanzelgasse nach St. Leonhard und weiter bis zum Schenkhaus des Ordens; da der Schanzlwirt nicht dem Orden gehörte, kann die Taverne nur der spätere, nach 1961 abgerissene Kutscherwirt gewesen sein. Das bestätigt eine Nachricht von 1525, wonach gegenüber dem Schenkhaus des Ordens ein Acker lag, dessen Anrainer der am Hochfeld gelegene Weiher des Pfarrers von Graz war.
Mein Titel-Bild versucht die 28 Hofstätten von 1233 auf dem Plan von Felicetti zu lokalisieren, nachdem ich sie mit der Skizze von Hans Pirchegger (Bild 10) und dem Urbar des Deutschordens von 1480 und mit dem im Mariatheresianischen Kataster von ca. 1740 abgestimmt hatte. Die Urbar-Nummern betrafen demnach Hofstätten „am Leech“ (das ist der Kroisbach in Hilmteichnähe), in „Geidorf“ (südlich der Heinrichstraße), in St. Leonhard und im „Leechfeld“, wobei sich 1740 die Urbar-Nr. 1 an der Stelle des heutigen Hauses Leechgasse 10 befand! Das Haus Leechgasse 16 war um 1740 übrigens das „wierthsheußl“ des Thoma Zedl; es ist meines Erachtens der einzige erhaltene Altbaut (Bild 11).
Auffällig ist, dass sich zwischen dem Bach und der Leonhardstraße keine Hofstätten finden; dieses große Areal war im Besitz des Deutschen Ordens, gehörte aber wohl zu einem großen Hof, den der bedeutende Historiker Fritz Posch als Rohrbacherhof bezeichnet hat.
Fritz Posch und zuletzt Walter Brunner 2003 vermuteten die „Dorfzeile“ zwischen Hilmteich und Karmeliterplatz, und entlang der Heinrichstraße. Das ist aber undenkbar, denn an der Südseite der damaligen „Geidorfgasse“ gab es noch 1829 bis zum Meerscheinschlössl keine Bauten!
Hier kommt eine Unsicherheit in der grundsätzlichen Beurteilung der Bebauung zwischen Stadtmauer und Leechkirche zum Tragen: Schon beim Bau der Renaissance-Stadtmauer ab 1544 wurden Häuser abgetragen, und als man 1663 mit einem Osmaneneinfall rechnen musste, wurde das Festungsvorgelänge radikal vergrößert: das Glacis wurde so weit ausgedehnt, dass sogar der Abbruch der Leechkirche zur Diskussion stand (Bild 12).
Ein genauer Blick auf den Kupferstich von Vandesype-Hollar von 1635 zeigt die Situation 30 Jahre davor (Bild 13). Man erkennt deutlich – bisher von der Forschung kaum beachtet – dass sich westlich der Kirche, also jenseits der heutigen Glacisstraße, einige niedrige Gebäudetrakte befanden, die man sich als Wirtschaftshof (Meierei) der Kommende vorstellen kann. Hier oder in den drei großen Bauten direkt vor der Kirche dürfen auch die Wohnungen des Komturs und seiner Ritter vermutet werden, eines davon war vielleicht die hier angesiedelte Schule (die Urkunde von 1354 nennt eine „Schulerin“).
Im Festungsvorgelände – dem heutigen Stadtpark – scheinen sich keine der 1233 genannten bäuerlichen Hofstätten befunden zu haben. Zu Pestzeiten waren hier Pesthütten aufgestellt, und wo heute der Stadtparkbrunnen steht, sollen auch Pesttote begraben worden sein.
Nach der am 1. August 1664 siegreich beendeten Schlacht bei Mogersdorf, bei der drei Ordensritter „in der ersten Schlachtlinie“ kämpfend gefallen sind (und an die ein Gedenkstein in der Leechkirche erinnert, Bild 14), war die militärische Bedeutung der „Ritter“ stark gesunken. Die Meierei des Ordens dürfte danach weiter im Osten neu eingerichtet worden sein, vielleicht lt. Urbar-Nr. 327 in der Leechgasse 22 (hier wird ein Meier genannt).
Die Neubebauung
Das „Leechfeld“ blieb lange nur spärlich besiedelt. Am Anfang des 18. Jhs. standen hier entlang des alten „Kirchwegs“ sehr wenige Häuser. Erst 1792 erreichte die Kommende eine Grundzerstückelungs-Bewilligung zur Gründung einer neuen Vorstadt („Leehgasse“, Harrachgasse). 1813 wurde der erste Teil der Straße aus Leehgasse in Zinzendorfgasse umbenannt (Karl Graf von Zinzendorf und Pottendorf (1739-1813), war Landkomtur der Ballei Österreich des Deutschen Ritterordens). Bis 1820 wurde die Zeile vom Glacis bis zur Brunngasse großteils durch Handwerkerhäuser verbaut, die folgende, vorwiegend bürgerlich geprägte Wohnhausverbauung entstand nach 1825 (Bild 15).
Als mit der Grundbefreiung ab 1850 alle Grundherrschaften aufgelöst wurden, reichte das Gebiet der Kommende Leech noch fast geschlossen vom Glacis bis zur heutigen Hilmgasse, von Kroisbach bis zur Heinrichstraße. Das sogenannte „Obereigentum“ fiel an die Stadt Graz. Nun begann die allgemeine Bebauung mit der Vorgründerzeit (Bild 16).
Zwanzig Jahre später war die Umgebung der Leechkirche bereits stark verbaut (Bild 17).
Kommende Leech
Lieber Peter, wie immer, ist der Beitrag sehr interessant. Das Schaubild von 1848 über die damaligen Besitzstände, läßt erkennen, dass schon damals an der heutigen Heinrichstrasse 96 -106 Bauten vorhanden waren und zwar in der gleichen Kubatur wie heute (106 wurde abgerissen), obwohl auf 100-104 der Bauplan von 1854 bzw.1855 stammt??? Hast du eine Antwort darauf?
Liebe Grüsse Roswitha Neu