28/01/2015

Die Arbeit von feld72 bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur, angewandtem Urbanismus und Kunst. Das Kollektiv ist auch für seine partizipatorischen Projekte wie das Million Donkey Hotel in Italien bekannt. GAT bat Michael Obrist, Mitbegründer des Kollektivs, zum Interview.

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen des Fokus Architektur- und Baukulturvermittlung.

28/01/2015

Million Donkey Hotel, Prata Sannita, Italien

©: Hertha Hurnaus

feld72 Portrait

©: Hertha Hurnaus

PublicTrailer – Mobile Einheiten für den öffentlichen Raum, Shenzhen, China

©: feld72 Architekten

Wohnsiedlung Kaltern, Italien

©: Hertha Hurnaus

Die Arbeit von feld72 bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur, angewandtem Urbanismus und Kunst. GAT bat Michael Obrist, Mitbegründer des Kollektivs, zum Interview.

Die Arbeit von feld72 reicht von theoretischer Arbeit über künstlerische Projekte bis zu Gebautem. Gibt es einen Schwerpunkt, der sich durch die Arbeitsbereiche von feld72 zieht?

Wenn Ernesto N. Rogers schrieb, die Architekten müssten vom „Löffel bis zur Stadt“ gestalten, dann kann man dies auch anders lesen und als Aufforderung verstehen, Gestaltungsfragen von Grund auf zu denken. Der Anspruch, zu verstehen, wie Gesellschaft „räumlich“ funktioniert ist etwas, das uns antreibt. Uns interessiert die Wechselwirkung von Raum und Sozialem. Hinter allen Projekten stehen ähnliche Fragestellungen, die je nach Kontext und Bedingungen anders umgesetzt werden. Unsere Arbeiten sind Teil eines organischen Ganzen.

Was waren eure ersten Erfolge?

Kurz nach dem Studienende hatten wir das Büro ohne Auftrag gegründet – es war ein Arbeitsraum und ein Experimentierfeld. Wir haben nach für uns relevanten Fragestellungen und daraus folgenden Instrumenten und Methoden gesucht und selbstinitiierte Projekte entwickelt. Es ging darum, mit minimalen, cleveren Mitteln eine große Wirkung in einem komplexen System zu erzielen.
Im ersten Jahr haben wir für eine Serie von Arbeiten unter dem Titel Urbane Strategien den Staatspreis für experimentelle Architektur bekommen. Parallel dazu haben wir an Architekturwettbewerben gearbeitet, wobei wir einige Projekte auch umsetzen konnten – das Winecenter in Kaltern / Südtirol war das erste davon. Ein weiterer Meilenstein war das in einem partizipativen Prozess entwickelte Million Donkey Hotel – ein diffuses Hotel in einem Dorf im Süden Italiens. Es hat das Architektonische und das Strategisch-Konzeptionelle miteinander vereint.

Was war der Auslöser, um partizipative Projekte zu starten?

Als wir uns mit Stadt auseinandersetzten, kam das Thema der Mitbestimmung auf. Die Stadt ist ein komplexes System, das von vielen Elementen geprägt ist und seine Stärke nur im Zusammenspiel all dieser Kräfte entwickeln kann. Eines der ersten Projekte war ein Sticker-Projekt, für welches wir den Wissensschatz der Stadtbewohner miteinfließen lassen wollten. Ausgehend davon fand das Thema immer stärker Einzug in unsere Praxis.

Unterscheiden sich die Herangehensweisen von Projekt zu Projekt? Gibt es ein Instrument?

Es gibt nicht ein Instrument, sondern je nach Kontext unterscheiden sich die Herangehensweisen. Ein großes partizipatives Projekt war der Rahmenplan für die Bildungslandschaft Altstadt Nord in Köln, welches wir in Kooperation mit der Montag Stiftung und der Stadt Köln gemeinsam mit Plansinn aus Wien entwickelt haben. Es gab ein Gegenüber von verschiedensten Interessensgruppen. Die Fragen gingen von der Ebene der Pädagogik bis hin zur Stadtplanung. Es war wichtig, Spielregeln für die Kommunikation und für die Entwicklung von Verhandlungsräumen festzulegen. Aus ursprünglich getrennten Agenden entstanden im Laufe des Prozesses große Synergien. Für die Wohnbau-Projekte, bei denen wir partizipatorisch gearbeitet haben, waren die Fragen ähnlich, die Methoden kontextbedingt anders.

Was sind die Hintergründe des Wohnbauprojekts in Kaltern (Südtirol)? Wurden die BewohnerInnen in den Planungsprozess miteingebunden?

Es gibt in Südtirol ein sehr starkes Raumordnungsgesetz, das das Bauen auf der grünen Wiese verhindert. Die Gemeinden geben Grundstücke für den geförderten Wohnbau frei, die dann von einer Art Genossenschaft bebaut werden können. Die Personen, die anhand eines ausgeklügelten Punktesystems zum Zuge kommen, bauen nur deswegen zusammen, weil sie es müssen und zudem Geld sparen wollen. Normalerweise entsteht dann eine Reihenhaussiedlung mit immer derselben Wohnung. Wir haben versucht, der Reihenhaustypologie zu entgehen und sensibler auf den dorfbaulichen Kontext einzugehen. Durch das kluge Ausnutzen der Hanglage konnten wir bei locker wirkenderer Bebauung dennoch eine höhere Dichte als bei einer Reihenhaussiedlung erreichen. Wir haben eine Typologie mit unterschiedlichen Wohnungen entwickelt, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Bewohner Rücksicht nimmt. Vor allem aber konnten wir sie überzeugen, dass das kollektive Bauen nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Vorteile bringen kann. Das Leben dieser Siedlung findet nun auf einer zentralen Spiel- und Wohnstraße statt.
Das Projekt erfährt eine hohen Akzeptanz von Seiten der Bewohner, die von Anfang an durch einen begleitenden Prozess miteingebunden wurden, und gilt als Paradebeispiel für das Weiterstricken und die Neuinterpretation dorfbaulicher Qualitäten. Mit diesem Projekt wurde das erste Mal nicht eine Villa, sondern ein geförderter Wohnbau mit dem Südtiroler Architekturpreis für Wohnen ausgezeichnet. Wir setzen gerade ein weiteres Wohnsiedlungsprojekt im ländlichen Raum in Südtirol um, dem ein ähnlicher Prozess zugrunde liegt.

Wie wichtig ist es, architektonische Qualitäten im Vorfeld zu vermitteln?

Wissensvermittlung ist extrem wichtig. Im Bereich der Architektur gibt es einen Wissensvorsprung der Architekten gegenüber den Bauherren. Bei partizipatorischen Prozessen geht es um einen gegenseitigen Austausch von Wissen, um zu Entscheidungen kommen zu können, die der Komplexität der Aufgabe gerecht werden.

Wo hört die Architekturvermittlung auf und wo beginnen die Beteiligungsprojekte?

Das läuft ineinander über. Jedenfalls war das in diesem Prozess so. Man kann die Partizipation 
auch ganz anders denken, das hängt von der Bauaufgabe ab. Beim Million Donkey Hotel in Prata Sannita (Italien) entwickelte sich der partizipatorische Prozess zum Beispiel durch das gemeinsame Nachdenken über die Rolle der Migration und die Zukunft des Dorfes als auch über das Einbinden spezifischer handwerklicher Fähigkeiten der beteiligten Akteure.

Wie kam es zu diesem Projekt?

Das war eine Einladung von Seiten der Kuratoren vor Ort. Wir werden oft in spezifische Kontexte eingeladen, um uns auf meist städtebauliche bzw. sozialräumliche Situationen einzulassen, wo man nur mit „Out-of-the-box- Denken“ weiterkommt. Es ging eigentlich darum, uns mit dem Thema der Migration und dem schrumpfenden Dorf auseinanderzusetzen und ein strategisches Kunstprojekt vor Ort zu entwickeln. Wir wurden bezahlt, sollten einen Monat vor Ort sein, bekamen ein Materialbudget von 10.000 Euro und man hatte angekündigt, dass circa fünf bis zehn Leute aus dem Dorf mitarbeiten würden – das waren die Rahmenbedingungen. Am Ende hatten wir 40 Freiwillige, die mit uns ein reales Projekt – ein diffuses Hotel – in einem Monat entwickelt und baulich umgesetzt haben.

Kam das Konzept von euch?

Ja, wir sind aufgrund folgender Fragestellungen mit einem klaren Konzept hingefahren: Was kann man aus dem Leerstand machen? Wie kann man ein Bewusstsein für die Qualitäten vor Ort schaffen und diese in ein größeres System einbinden? Wie können Voraussetzungen für einen Austausch geschaffen werden?
 Wir hatten eine Idee, aber wir wurden dann von der Anzahl der Freiwilligen vor Ort und deren Enthusiasmus für unser Projekt sehr überrascht. Plötzlich waren da Dutzende Personen, die mitarbeiten wollten, und sehr konkrete Räume, die uns Schritt für Schritt eröffnet wurden. Das Konzept war zum Glück sehr flexibel und wir konnten dadurch leicht auf die veränderten Bedingungen reagieren. Jeder wurde anhand seiner Fähigkeiten miteingebunden. Es hat sich im Laufe des Prozesses eine starke Gemeinschaft entwickelt, die das Projekt auch weiter getragen hat. Es war eine Bereicherung für beide Seiten und nur gemeinsam konnte das Projekt seine Qualität erreichen. Ohne uns hätte die Dorfbevölkerung das diffuse Hotel nie initiiert. Wir konnten als Außenstehende bestimmte Dinge einfacher thematisieren und waren Beschleuniger von Prozessen. Genauso haben wir die freiwilligen Helfer aus Prata Sannita gebraucht, um das Projekt zu verorten, um es lokal – sei es in ihrer Verantwortung oder ihren Fähigkeiten – zu verankern. Es hat funktioniert: Junge und Alte haben gemeinsam gearbeitet und das Projekt weiterentwickelt. Räume, die sie vormals aufgegeben hatten, wurden wieder aktiviert.

Ist das Million Donkey Hotel ein nachhaltiges Projekt?

Es ist auf mehreren Ebenen nachhaltig: Sei es durch die Reaktivierung verloren geglaubter Räume, durch den Einsatz der Materialien vor Ort, durch das Entstehen von Gemeinschaft im Laufe des Prozesses, als auch durch den Besuch von Gästen aus aller Welt. Das Million Donkey Hotel hat den contractworld award für das beste Hotel gewonnen – vor all den Hochglanz-Hotel-Projekten. So etwas kann man nicht planen. Das Hotel ist weniger ein kommerzielles Projekt als ein Kommunikationsinstrument, welches Menschen dorthin und mit den Pratesi in Verbindung bringt. Es gibt konstant Anfragen für Übernachtungen, ohne klassische Werbung, nur durch Mundpropaganda und die zahlreichen Publikationen über das Projekt. Es wird von den Menschen getragen, die vor Ort sind. Da es nun einen Generationswechsel gibt, wird es von den Jungen neu aktiviert werden. Wir haben zusätzlich eine Bibliothek entwickelt, die noch in das Projekt integriert wird. Als soziales Projekt ist es konstant „im Fluss“.

Habt ihr schon einmal die Erfahrung gemacht vor Ort zu scheitern?

Momentan fällt mir kein Projekt ein. Jeder neue Kontext verlangt neue Spielregeln – das ist ein Grundprinzip. Überall, wo das Soziale mitspielt, kann man etwas nicht eins zu eins wiederholen. Man muss versuchen, die neuen sozialen Bausteine zu begreifen. Je nachdem, wo man arbeitet, muss man bestimmte gesellschaftliche Normen und Traditionen berücksichtigen.
In jedem Land gibt es Vorreiter, die sich mit bestimmten Themen bereits beschäftigt haben. In Italien hat beispielsweise Giancarlo De Carlo – ein spannender Praktiker und Denker, Mitglied der CIAM und des Team X – versucht, die partizipatorischen Prozesse zu verstehen und weiterzuentwickeln.

Ist Giancarlo De Carlo ein Vorbild?

Nein, kein Vorbild, aber ein Pionier in verschiedenen Bereichen. Wir wurden von unterschiedlichen Einflüssen geprägt. Es gibt einen Mix von Leuten, die wir schätzen. Ich kann nur für mich sprechen. Ich finde De Carlo unter verschiedenen Gesichtspunkten interessant. Er war einer der Akteure, die innerhalb eines Planungssystems, das ursprünglich auf Autorität und starker Hierarchie beruhte, kleine Inseln der Mitbestimmung geschaffen hat. Ein weiteres Beispiel wären Avventure Urbane, die in einer Art radikaler angewandter Soziologie versucht haben, den Situationismus mit partizipativen Strategien zu paaren.
Italien ist ein Land, wo der Staat viel weniger präsent ist als in Österreich. Die Menschen müssen in Eigeninitiative und anhand von Familienstrukturen das entwickeln, was hier der Sozialstaat bietet. Insofern gibt es einerseits bereits eine Form von gemeinschaftlichen Prozessen, die gekoppelt mit der arte dell' arrangiarsi ein Naheverhältnis zu partizipatorischen Prozessen hat – anderseits ist es paradoxerweise ein Land, das von starker Bürokratie und von Hierarchien geprägt ist.

Welche Bedeutung hat die von euch als „Bottom-Up“ beschriebene Strategie?

Bottom-Up hat ein riesiges Potenzial, insofern ist es sehr spannend diese Prozesse zu forcieren. Es sollte selbstverständlich sein, dass Akteure, die direkt involviert sind, mitreden können.
 Mitbestimmung und gemeinsames Entwickeln funktioniert im Kleinen sehr gut, wo Akteure und direkt Betroffene oft dieselben Personen sind. Partizipation ist jedoch kein Patentrezept. Es gibt auch ein Scheitern der Partizipation. Bestimmte Themen können aufgrund ihrer Komplexität und ihres Maßstabes nicht Bottom-Up entwickelt werden. Man sollte weder Bottom-Up romantisieren, noch Top-Down verteufeln. Beide haben ihre Stärken, sofern sie im jeweils richtigen Maßstab angewandt werden – wie repräsentative Demokratie und Basisdemokratie. Der Übergang ist fließend.
Bei Partizipation geht es vor allem darum, die von Planungsentscheidungen direkt Betroffenen miteinzubeziehen, ihnen Möglichkeiten der Artikulation zu geben als auch ihr Wissen miteinzubinden. Es geht nicht um das Formulieren eines engen Korsetts, das allen passt, sondern um das Entwickeln von Spielregeln, die Komplexität zulassen. Es ist wichtig, die Dinge in ihren subtilen Differenzen zu begreifen. Es geht nicht darum „Friede, Freude, Eierkuchen“ zu schaffen. In einer Stadt gibt es prinzipiell Konflikte. Ein Konflikt ist etwas, das auch als Startpunkt einer Bereicherung verstanden werden kann. Ein Hauptelement der Partizipation ist die Frage, wie man mit Unterschiedlichkeiten umgehen kann. Es geht darum, diese zu verstehen, und nicht gleich zu nivellieren, sondern ein System zu entwickeln, in welchem sie ihr jeweiliges Potenzial erreichen können. Das „Andere“ in seiner Unterschiedlichkeit ist immer der Beginn des Entdeckens und Lernens.

Vielen Dank für das Gespräch!



feld72

(Anne Catherine Fleith, Michael Obrist, Mario Paintner, Richard Scheich, Peter Zoderer)

Die Arbeit von feld72 bewegt sich an der Schnittstelle von Architektur, angewandtem Urbanismus und Kunst. Das Feld der Architektur erweiternd, beschäftigt sich das Kollektiv neben den konkreten Planungen für Bauaufgaben im Rahmen der selbst initiierten Projektreihe Urbane Strategien seit Anbeginn der Bürogründung 2002 in Wien mit Fragestellungen des Gebrauchs und der Wahrnehmung des öffentlichen Raumes.

feld72 hat zahlreiche Projekte diverser Größenordnung international umgesetzt, die von Masterplänen über Gebäude, Raum- und Ausstellungsgestaltungen bis hin zu urbanen Strategien und großflächigen Interventionen im öffentlichen Raum reichen.

Die Arbeiten von feld72 wurden in zahlreichen renommierten Architektur- und Kunstausstellungen weltweit gezeigt. Dabei waren unter anderem La Biennale di Venezia 2011 / 2010 / 2008 / 2004, die Biennale von Hongkong / Shenzhen 2009, die Biennial of the Canaries 2009, die Trienniale der Zeitgenössischen Kunst Guangzhou 2008, die Architekturbiennale Sao Paulo 2007 und die Architekturbiennale Rotterdam 2003.

Die Arbeiten wurden mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2012, dem Steirischen Holzbaupreis 2011, dem Südtiroler Architekturpreis in 2 Kategorien(Wohnbau / Öffentliches Gebäude) 2011, dem contractworld award 2010 (höchstdotierter europäischer Preis für Raumgestaltung), dem Förderpreis für Architektur der Stadt Wien 2008, dem Chicago Athenaeum International Architecture Award 2007, dem Karl Hofer Kunstpreis der Universität der Künste Berlin 2003 und dem Staatspreis für Experimentelle Tendenzen in der Architektur 2002 ausgezeichnet. 2010 wurde feld72 von der Jury des mit 50.000 € dotierten Chernikhov Awards, dem Preis für die weltweit innovativsten Architekten unter 44 Jahren, unter die Top 10 gewählt.

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