GAT bat DI Dr. Kurt Fallast und DI Günther Tischler (PLANUM Fallast Tischler & Partner GmbH) zum Interview.
Die Region „Steirischer Zentralraum“ weist eine sehr heterogene Struktur auf – macht der Zusammenschluss (2009) Sinn?
GT: Grundsätzlich ja! Der Gesetzgeber hat, zur räumlichen Abgrenzung und um die Regionalplanung leichter umzusetzen, sogenannte „Planungsregionen“ definiert. Natürlich hätten diese – insbesondere der Zentralraum – auch anders definiert werden können. Aber: egal, es soll so sein, denn es gibt gerade für die Kernstadt und ihre Umlandgemeinden wichtige gemeinsame Zukunftsaufgaben zu erfüllen und die Regionalplanung soll dabei der Rahmen für die örtlichen Planungen sein.
KF: Der Zusammenschluss ist aus unserer Sicht viel zu spät erfolgt.
Besonders in der Mobilität ist eine Stadtgrenze, wie im Süden von Graz nicht wahrnehmbar. Alte Verwaltungsgrenzen schlagen dort durch, wo es in der Mobilität überhaupt keinen Sinn mehr macht. Warum hört eine Buslinie an der Stadtgrenze auf?
Der Zentralraum zeichnet sich durch starke Zuwanderungsdynamiken aus. Was sind die größten Herausforderungen im Umgang damit?
GT: Die Entwicklungsdynamik ist eine Riesenchance, aber die muss man nutzen. Wir müssen aufpassen, dass wir die Chancen nicht verbauen.
KF: Zersiedelung ist auch im Zentralraum noch möglich. In vielen Umlandgemeinden gibt es Gebiete, die mit dem öffentlichen Verkehr (ÖV) mit einem vernünftigen Kostendeckungsgrad nicht erschlossen werden können. Da braucht man dann zwangsläufig das Auto.
GT: In der Steiermark wurde „auf Vorrat“ gewidmet. So steht es sogar im Gesetz – im Örtlichen Entwicklungskonzept (ÖEK) wird der zehnjährige Baulandbedarf abgeschätzt – und nach dem wird frisch und froh gewidmet, meistens ohne die Erreichbarkeiten und die Auswirkungen auf die Mobilität zu beachten. Die enormen Zuwächse im Zentralraum liefern den Gemeinden das beste Argument, um neues Bauland zu widmen. Und das, was jetzt Bauland ist, schleppen wir wie einen Rucksack mit.
KF: Das Bauland wurde mit einer Dichte von 0,3-0,4 gewidmet, aber bebaut wurde es mit 0,1. Man könnte drei Stockwerke draufsetzen und es wäre völlig in Ordnung.
GT: Innenentwicklung heißt das für uns und das ist ok, wenn z.B. Nahversorgung und ÖV-Anschluss gegeben sind.
In dem Regionalen Entwicklungsleitbild (RELB) führen Sie neben dem Zuzug nach Graz auch das Beispiel einer jungen Familie an, die aufgrund des Fehlens leistbaren Wohnraums vom Grazer Stadtraum in den Speckgürtel zieht. Welche Möglichkeiten gibt es, dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
GT: Die sogenannten „Anlegerwohnungen“, die jetzt überall in Graz wie verrückt gebaut werden, haben nichts mit Qualität zu tun – da geht es nur um „Cash“. So werden z.B. viele Jungfamilien aus der Stadt in das Umland vertrieben.
Um das Dilemma Speckgürtel in den Griff zu kriegen müsste die Stadt Graz spezielle Zielgruppen mit gutem, qualitativem und leistbarem Wohnbau versorgen – eine Wohnung mit hoher Flexibilität und Qualität im Grundriss am richtigen Standort.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um einer entfesselten Widmungspolitik zu begegnen?
GT: In der Regionalplanung gibt es kaum einen Hebel um die Widmungspolitik der Gemeinden einzugrenzen. Es wird versucht Wachstum mit äußeren Siedlungsgrenzen in den Griff zu bekommen.
Man definiert Zonen, wo kein Bauland gewidmet werden darf, wie z.B. landwirtschaftliche Vorrangzonen oder z.B. Grünzonen entlang der Mur.
Wir müssen im Leitbild ein qualitatives Wachstum anstreben. Es gibt so viele Reserveflächen – vorhandene Potenziale, die zuerst einmal genutzt werden müssen. Gewidmet werden soll primär dort, wo es ein attraktives ÖV-Angebot gibt. Wenn man z.B. in Radfahrentfernung zu einer S-Bahn-Station gezielt Geschoßwohnbau fördern würde – dann käme man langsam zu einem leistbaren Wohnen.
Aber das traut sich der zuständige Landesrat nicht. Er fördert noch immer mit einer Gießkannenpolitik Einfamilienhäuser, anstatt gezielt und lagebezogen die Wohnbauförderung dort einzusetzen, wo man eine Alternative zum Auto hat.
KF: Wir machen für Kalsdorf gerade ein Verkehrskonzept: Im Nahbereich einer S-Bahn- Haltestelle wird Geschoßwohnbau stark forciert. In 100-200 Meter Entfernung vom Bahnhof werden 300 Wohnungen gebaut.
GT: Als Positivbeispiel. Aber gleichzeitig auch ein Negativbeispiel, weil z.B. östlich des Güterterminals bzw. der Südbahn alles mit Einfamilienhäusern bebaut wurde – eine rein autoaffine Wohnsiedlung …
Das Nutzen vorhandener Potenziale gilt neben den Wohnbauflächen auch sinngemäß für die Industrie- und Gewerbestandorte. Es gibt so viele Standorte an der Autobahn ohne ÖV-Anschluss.
In Salzburg sagt Astrid Rössler, eine engagierte grüne Landespolitikerin, die für Raumplanung zuständig ist, zurecht, dass nicht mehr auf Vorrat gewidmet werden sollte. Dort gibt es nur mehr anlassbezogene Widmungen oder Rückwidmungen.
Ist so etwas in der Steiermark auch möglich?
GT: Es wäre möglich. Wir haben in Österreich neun Raumordnungsgesetze (ROG). Ich sage immer so leicht zynisch: Man sollte einfach das Salzburger ROG nehmen und „Steirisches Raumordnungsgesetz“ drüberschreiben. Dann haben wir aus neun ROGs schon acht gemacht. (lacht)
Welche Hürden gibt es?
GT: Die Einsicht ist nicht hundertprozentig da. In der Oststeiermark wird von vielen Gemeinden Bauland gewidmet, um „die Bevölkerung zu halten“. Aber das ist reines Wunschdenken. Bevölkerung wird durch Arbeitsplätze gehalten, aber die guten Standorte sind eben in den regionalen Zentren. Daher haben wir z.B. aus Murau Abwanderung. Zugleich werden Schulen geschlossen weil es dort aufgrund der Abwanderung zu wenig Schüler gibt. Das ist ein richtiger Teufelskreis.
Welche Maßnahmen müssen von Seiten der Politik kommen?
KF: Mut zur Restriktion. Das kann nur die Politik machen.
GT: Regionalpolitik wird mit Geld gemacht und mit mutigen Entscheidungen. Z.B. zu sagen: „Nein, wir weisen diesen Standort nicht als Industrie- und Gewerbestandort aus, nur weil es dort eine Autobahnabfahrt gibt. Es muss auch den attraktiven ÖV als Alternative geben.“ So eine Entscheidung kostet nichts, aber das traut sich niemand, weil es um Standorte und um die Kommunalsteuer geht. Da gibt es eine starke Konkurrenzsituation unter den Gemeinden.
Gibt es Kooperationsansätze um Konkurrenzsituationen zwischen den Umlandgemeinden entgegenzuwirken?
GT: Uns schwebt ein interkommunaler Finanzausgleich vor. Jede Gemeinde soll – je nach ihrer Finanzkraft - in einen Regionalfond einzahlen. Aus diesem Topf fördert man die Entwicklungsmaßnahmen.
Ein positives Beispiel für eine gelungene Gemeinde-Kooperation: Einige Gemeinden im Süden von Graz (Anm. Fernitz-Mellach, Gössendorf, Hart bei Graz, Hausmannstätten, Raaba-Grambach, Vasoldsberg) haben sich in der Gemeindekooperation GU Süd zusammengetan. Eines der Schlüsselprojekte war die Verbesserung des ÖV-Angebots. Die Busse der Grazer Stadtlinien z.B. 76U, fahren nach Grambach, Hausmannstätten und Fernitz-Mellach. Die Mehrkosten zahlen die Gemeinden selbst.
KF: Die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden hat sich verbessert, weil das Land Förderungen von Projekten davon abhängig macht, ob Gemeinden zusammenarbeiten. Die LEADER-Programme sind auch so ein Mittel um die Gemeinden an einen Tisch zu bringen.
GT: LEADER ist ein EU-Programm für die ländliche Entwicklung. Die Gemeinden schließen sich freiwillig zusammen und entwickeln ein Aktionsprogramm – so gibt es eine Arbeitsteilung in der Region. Das ist wichtig, weil wir uns sonst nur auf die Bereiche konzentrieren, die auch jetzt schon aufstreben. Durch den LEADER-Fond gibt es eine Starthilfe für gemeinsame Projekte.
Das Dilemma ist nur, dass oft nicht die Investitionskosten das eigentliche Problem sind, sondern der Betrieb nach Auslaufen der Förderung. Da stolpern dann alle Gemeinden drüber, weil sie sich das nicht mehr leisten können.
Welche Handlungsspielräume eröffnen sich auf regionaler Ebene durch die Gemeindestrukturreform?
GT: Wir sehen es als Chance, dass die fusionierten Gemeinden neue Entwicklungskonzepte machen müssen. Primär wird es eine modernere, effizientere Verwaltung bringen. Bis die Gemeindestrukturreform greift und auch finanzielle Einsparungen bringt, vergehen aber sicher noch 5-6 Jahre.
Ich hoffe die Gemeinden werden künftig auch ihre Widmungspolitik überdenken. Mit dem Argument, gemeinsam ein neues Entwicklungskonzept und einen neuen Flächenwidmungsplan zu machen, könnte man ohne Gesichtsverlust Baulandüberhänge rückwidmen.
Wie kann man die Gemeinden und die Bevölkerung für dieses Thema sensibilisieren?
KF: Die Gemeinden begreifen langsam, dass sie sich diese Streusiedlungen nicht mehr leisten können, weil von ihnen ja auch die entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden muss.
GT: Manchmal begreifen Bürgermeister, dass ihnen das Regionale Entwicklungsprogramm hilft, weil sie es als Hitzeschild verwenden können, um eben kein neues Bauland im Freiland zu widmen.
KF: In den Mobilitätskonzepten für Leibnitz und Villach setzen wir auf ÖV, Fuß- und Radwegeausbau. Der KFZ-Verkehr kommt an letzter Stelle. Vor 20 Jahren gab es noch eine andere Einstellung. Mit dem KFZ-Verkehr wird nun restriktiv umgegangen – Gebiete sollen verkehrsberuhigt und Straßen von geparkten Autos befreit werden. Der Bürgermeister von Villach zeigt sich in jeder Stadtzeitung mit dem Fahrrad. Das ist ein Zeichen, das langsam auch bei den Leuten wirkt – es gibt ein Umdenken und veränderte Werthaltungen.
GT: Das ist auch ein Punkt, der nichts kostet, nur politischen Mut braucht: Der Kampf um die gerechtere Neuaufteilung der Verkehrsflächen.
KF: Im Prinzip könnte das auch in Graz realisiert werden.
Wir erstellen z.B. gerade ein Konzept für die Mandellstraße: vom Kaiser-Josef-Platz bis zur Brucknerstraße soll ein Park- und Fahrstreifen weggenommen und bei Einbahnregelung durch einen 4-5 Meter breiten Radweg ersetzt werden. Das Konzept ist als Forschungsprojekt in einem Mobilitätslabor zu erproben. Es wäre ein Signal für neue Prioritäten. Andere Städte sind schon viel weiter.
GT: Wenn bei diesem Bevölkerungszuwachs alle mit dem Auto „herumgurken“ wird die Lebensqualität und die Umweltsituation – Graz heißt ja nicht umsonst Feinstaubcity – absolut schlechter werden.
Wir müssen radikal auf den öffentlichen Verkehr verlagern und Alternativen zum Auto anbieten, wenn wir – wie es in den Klimazielen von Paris vorgegeben ist – die Werte von Feinstaub, NOx (Anm.: Stickstoffdioxid NO2) und CO2 verringern wollen.
Wann werden die jetzt geplanten Maßnahmen – z.B. in der Mobilität – spürbar sein?
KF: In der Mobilität geht es schneller als in der Raumplanung. Das ÖV-Angebot – wie z.B. die S-Bahn – hat sich innerhalb von 10 Jahren sehr positiv entwickelt. Wir haben Steigerungen von bis zu 100% an beförderten Personen in der S-Bahn. 30-40% Zuwachs haben wir auf allen Achsen.
Wie wird sich Mobilität in 20-30 Jahren abspielen? Die Urbanisierung nimmt zu und der PKW-Besitz wird immer weniger notwendig. Die Motorisierung bei den Jungen ist schon jetzt rückläufig.
Durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten hat sich die Zugänglichkeit zu neuen Mobilitätsformen wie Carsharing entscheidend verbessert. Ein Carsharing-Fahrzeug ersetzt mehr als 10 PKWs.
Womöglich wird in 30 Jahren der private PKW-Besitz Vergangenheit sein. Man wird das Auto benutzen, aber nicht besitzen.
Danke für das Gespräch.
Die langjährigen Kooperationspartner IBV-Fallast und REGIONALENTWICKLUNG-Tischler bieten als PLANUM Fallast Tischler & Partner GmbH interdisziplinäre Leistungen aus den Bereichen RAUM, MOBILITÄT und UMWELT an.
Günther Tischler hat das Regionale Entwicklungsleitbild Steirischer Zentralraum (RELB) erstellt. Kurt Fallast und Günther Tischler erarbeiteten gemeinsam das Regionale Verkehrskonzept (RVK) für Graz und Graz-Umgebung – ein verkehrspolitisches Leitbild für den Steirischen Zentralraum. Derzeit wird dieses Konzept als „Regionaler Mobilitätsplan Steirischer Zentralraum“ unter Einbeziehung des Bezirkes Voitsberg überarbeitet.