Am Anfang steht die Begeisterung für Architektur einerseits und die Liebe zur Auseinandersetzung mit Kindern und Jugendlichen (1) andererseits; Interesse für (Um-)Raum trifft auf ausgeprägten Handlungsdrang, um im Handlungsraum zu verschmelzen, welchen es den Interessierten zu eröffnen gilt: wenn die Baukultur uns alle betrifft und von uns allen mitgetragen und mitgestaltet wird (2), so erfordert diese in höchstem Maße anzustrebende Partizipation auch eine grundlegende Kennerschaft, die es zu erlangen gilt.
Das Erhabene der Baukunst wird somit hinabgehoben in das Alltägliche – im Sinne eines bemerkenswerten Alltäglichen –, welches sich dem wachen Geist in der Handlungspraxis erschließt. Kontinuierliche Anreize und Gelegenheiten zu individuellem Wahrnehmen, Erleben und Erforschen vor Ort eröffnen den Schülern subjektive Bezogenheit; die rein kognitive Bedeutungsebene wird so um eine subjektive Erfahrungsebene erweitert, welche wiederum forschende Neugier der Teilnehmer hervorbringt; wo bereits Wissen und Erkenntnis ist, lässt sich spielend weiter Wissen aufbauen oder aus eigener Anschauung vertiefen. Bezeichnenderweise prägen sich die solcherart er- und gelebten Fachinhalte mühelos ein und ermöglichen es den Interessierten, sich selbst als Handelnde und Gestaltende zu erfahren, und sich mit all ihren – auch außerschulischen – Fähigkeiten und Fertigkeiten einzubringen. Der Mensch ist wieder in seiner Gesamtheit angesprochen, wenn sich zu Kopf und Herz die Hand dazugesellt, indem die Schüler auch vor handwerkliche Herausforderungen gestellt werden, die sie dankend annehmen.
So kommt es, dass mit dem Versuch, den "spezifischen Beitrag der Architektur zu einer qualitativ hochwertigen, lebenswerten, attraktiven und bedeutungsvollen gebauten Umwelt sichtbar und nachvollziehbar" (3) zu machen, zunehmend die Fokusverschiebung von der Außensicht unbeteiligter Rezipienten zur Innensicht verantwortungsbewusster Akteure stattfindet; diese vermögen sich sodann der Verantwortung zur Mitgestaltung des öffentlichen Raums zu stellen und sind in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese selbstbewusst zu kommunizieren.
Wenn es gilt, institutionelle Rahmenbedingungen mit Leben zu erfüllen, ist einmal mehr die persönliche Begeisterung die beste Motivation; ist es zunächst eine diffuse Sehnsucht, die vorantreibt, so fügen sich mit der Zeit Einzelaspekte zu einem großen Ganzen zusammen: um die persönliche Liebe zur Architektur mit den Schülern teilen zu können, erfordert dies fachliches Grundinteresse der Teilnehmer und eine darauf aufbauende freiwillige Teilnahme am Unterricht, was mit dem sg. Wahlpflichtgegenstand in der Oberstufe der AHS (ab der 10.Schulstufe) gewährleistet ist.
Der institutionellen Einbindung der Architekturvermittlung im Kontext schulischen Lernens steht die Notwendigkeit nach einem gewissen Maß an Autonomie gegenüber: durch die Abhaltung der Unterrichtseinheiten am Nachmittag zeitlich und räumlich weitgehend flexibel, wird die im Schulalltag übliche bürokratische Einengung so gut wie aufgehoben; ein Gefühl von freiem, selbstbestimmtem Arbeiten stellt sich ein, das sich auch auf die Schüler überträgt. Aufgelöst wird dabei auch das Denken in Schulunterrichtsgegenständen, vielmehr findet fächerübergreifender Projektunterricht statt; gearbeitet wird in mehreren kleinen Zyklen zu einem übergeordneten Thema, mit abschließender öffentlicher Präsentation der Arbeitsprozesse und Ergebnisse, z.B. in Form von Ausstellung und Raumintervention.
Einladung externer Experten an die Schule ebenso wie nach außen gewandte Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern bergen große Motivationskraft, da sie Bedeutsamkeit spürbar machen: vermittelt wird dabei der Einblick in reale Fragestellungen mit ihren komplexen Wechselwirkungen in fachlichem wie auch gesellschaftlichem Bereich, womit zu lernen wieder selbst zu (er)leben bedeutet.
Die Entwicklung eines Curriculums des Faches Architektur fußt auf der Bündelung raumbezogener Lehrinhalte sämtlicher Schulfächer: neben Bildnerischer Erziehung und Technischer sowie Textiler Werkerziehung sind raumrelevante Bezüge in zahlreichen weiteren Schulgegenständen bereits dem jeweiligen Lehrplan (hier: für Wien) eingeschrieben: dies ist z.B. in Darstellender Geometrie mit Hinführen zur selbstständigen Raumvorstellung, Befähigung zur räumlichen Darstellung sowie Aneignen von kreativem und individuellem Entwerfen der Fall. Für Geografie und Wirtschaftskunde sieht der Lehrplan die Auseinandersetzung mit der Raumplanung in Österreich ebenso vor wie die Erkundung und Gestaltung der Städte als Lebensräume, die Auseinandersetzung mit, durch Zuweisung von Symbolen und Images geschaffenen, neuen Räumen und deren Einfluss auf die Veränderung räumlicher Identitäten, bis hin zur Entwicklung der Bereitschaft für einen sorgsamen Umgang mit den knappen Ressourcen. Der hier eingeforderte Aspekt der Berufsorientierung ist im Bezug auf raumrelevante Berufe auch in der Architektur sehr anschaulich verhandelbar.
Der Geschichte und Sozialkunde sowie Politischer Bildung zugeschriebene Auftrag, Schüler sollen ihre gesellschaftliche Position und ihre Interessen erkennen und entsprechend handeln können, zielt darauf ab, Möglichkeiten der Mitbestimmung kennen zu lernen, welche vor allem im Kontext von Architektur und Städtebau im Rahmen der zunehmend in den Fokus rückenden Partizipation praktisch erlebbar gemacht werden können. Ebenso wird im Lehrplan die Vermittlung der Wechselwirkung zwischen Natur, Technik und Gesellschaft (im Sinne nachhaltiger Auswirkungen von Eingriffen in die Natur) bis hin zum Erkennen des Einflusses von Kunst und Kultur anhand wertschätzender Auseinandersetzung mit anderen Kulturen gefordert; sich diesen übergeordneten Zusammenhängen und Vernetzungen zu stellen, ist Herausforderung und zentraler Aspekt einer architektonischen Vermittlungsarbeit, der es in besonderem Maße gelingen kann, vor allem Kunst und Technik zu vereinen und somit technisches Grundverständnis zu vermitteln.
Im Lehrplan für den Wahlpflichtgegenstand Architektur gilt daher besonderes Augenmerk der Verknüpfung mit anderen Fachdisziplinen, um von Wissenstransfer, Synergien und Vernetzung zu profitieren. Dabei geht es nicht darum, die Grenzen zwischen Architektur und ihren Nachbardisziplinen zu verwischen (4), sondern, im Gegenteil, hervorzuheben und in ihrem Nutzen zu bestimmen, um davon ausgehend neue Sichtweisen zu eröffnen. Dazu bedarf es einer Kultur des Fehler-Machens als wesentliches Element kreativ-forschender Lernprozesse; als Antrieb fungieren Neugier und wertschätzende Haltung, welche die Schüler als Experten ihrer eigenen Wahrnehmung und Befindlichkeit in den Mittelpunkt stellen und deren Interessen bei der Themenwahl berücksichtigen. Im Lehrplan heißt es dazu wie folgt: „Aus den, unter der Bezeichnung Architektur subsumierten, weit aufgespannten Themenfeldern soll, unter Bedachtnahme auf Interessen und Bedürfnisse der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler, Schwerpunktsetzung und Themenauswahl flexibel möglich sein, wobei Authentizität und Aktualität als primäre Entscheidungskriterien gelten." (5)
Noch drängt ein gewisses Begriffsdilemma zwischen Architektur, Baukunst oder Baukultur Ansätze und Auslegung der Vermittlungsarbeit in die eine oder die andere Richtung. Wesentlich erscheint mir aber, nicht das (Einzel)Bauwerk im Sinne toter Materie als Anschauungsmaterial zu benützen, sondern Mensch und Raum als dynamisches System erlebbar zu machen.
(1) Im vorliegenden Text wurde auf Gender-Differenzierung verzichtet, in der männlichen Form sind daher jeweils männliche und weibliche Personen subsumiert.
(2) Vgl. Riklef Rambow, Wozu Architektur- und Baukulturvermittlung? GAT Essay 24.9.2014 – in: http://www.gat.st/news/wozu-architektur-und-baukulturvermittlung
(3) ebd.
(4) ebd.
(5) Athanasia Siegl-Hadjiioannou, Lehrplan für Architektur AHS Bernoullistraße, 2012