Im dritten Jahr des Intendantenduos Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber zeichnet das Festivalprogramm ein vielstimmiges (Selbst-)Bild Österreichs. In Zeiten politischer Umwälzungen und gesellschaftlicher wie kultureller Umbrüche lassen sich die Schwerpunkte der Diagonale’18 möglicherweise mehr denn je als seismografische Bestandsaufnahme lesen.
Ein brisanter Gerichtsfilm, ein Thriller eröffnet die Diagonale’18:
Murer – Anatomie eines Prozesses von Christian Frosch
Graz 1963. Der angesehene Lokalpolitiker und Großbauer Franz Murer steht wegen schwerer Kriegsverbrechen vor Gericht. Die Beweislage ist erdrückend. Doch in den Zentren der Macht und an den Stammtischen des Landes will man die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte endgültig abschließen. Anhand originaler Dokumente zu einem der wohl größten Justizskandale der Zweiten Republik zeichnet Regisseur Christian Frosch den Fall des steirischen Politikers und Landwirten Franz Murer nach, der von 1941 bis 1943 als „Schlächter von Vilnius“ einer der Hauptverantwortlichen für die Tötung der Jüdinnen und Juden in der heutigen litauischen Hauptstadt gewesen sein soll.
Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber: „ Christian Frosch inszeniert das ‚Zerrbild der Gerechtigkeit’, wie Simon Wiesenthal den Prozess beschrieb, als brisanten Thriller mit 73 Sprechrollen – und lässt die Opferfassade der österreichischen Nachkriegsjahre porös werden. Selten war der postnazistische Mief so gegenwärtig und erschreckend lebendig, die österreichische Seele derart zur Kenntlichkeit entstellt. Froschs minutiöse Rekonstruktion der damaligen realpolitischen wie gesellschaftlichen Stimmung verdeutlicht, dass der radikale Bruch mit dem Denken, das zum Holocaust führte, hierzulande ausblieb. Er macht augenscheinlich, warum der Nachhall des Nationalsozialismus in der Demokratie bis heute vibriert.“