29/11/2021

Verbauung der Straßenbahn-Remise Steyrergasse

So bitte nicht!

Herausforderung und Chance einer Neuplanung der Straßenbahn-Remise im Bezirk Jakomini

Ein Weckruf an die Stadtplanung von Karin Tschavgova

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29/11/2021

Remise Steyrergasse – Bearbeitungsgebiet im Verhandlungsverfahren und Betrachtungsareal für BA 2. Bild: Screenshot Red. GAT (s. Link google.at/maps), bearbeitet

©: Google Maps

Kürzlich hat die Holding Graz ein Verfahren zum „Ausbau des Straßenbahnbetriebshof Steyergasse Süd – Generalplanung Hochbau-Architektur“ ausgeschrieben. "Ziel des Projekts ist die maximale Ausnutzung der Grundstücksressourcen für den Straßenbahnbetrieb“, die Modernisierung und Erweiterung der Werkstattinfrastruktur "und die städtebauliche sowie architektonische Aufwertung des Standorts“. Und in der Tat: das fast 45.000 m² große Areal zwischen der Steyrergasse und dem Schönaugürtel hat eine stadträumliche A-Lage. Die fußläufige Nähe zur Innenstadt und beste öffentliche Anbindung an zwei Straßenbahnlinien machen das Areal zu einem städtebaulichen Asset. Ich korrigiere: machten (Konkunktiv) oder würden es zu einem Standort erster Güte für die Entwicklung der Stadt und für sinnvolle, nachhaltige Verdichtung machen, wenn – ja, wenn das Vorhaben multifunktional und nicht nur als Remise und Werkstatt für die Holding Graz angelegt wäre.  

Das Verfahren ist jedoch nicht etwa als städtebaulicher Architekturwettbewerb, sondern als Verhandlungsverfahren mit Angebotsabgabe ausgeschrieben, das Erfahrene so einschätzen, dass es letztlich nicht einmal eine Entscheidung nach der besten städtebaulichen und architektonischen Idee des Hochbaus geben wird, sondern nach dem Bestbieterprinzip. Dementsprechend dünn ist auch die Projektbeschreibung mit weniger als einer Seite in der 41 Seiten umfassenden Ausschreibung. Das Areal soll demnach monofunktional, abgeschlossen und damit exterritoriales Gebiet im Bezirk Jakomini bleiben, bei dem man der Öffentlichkeit nicht mehr als einen schmalen Streifen für einen Rad- und Fußweg abzutreten gewillt ist.

Der Weisheit letzter Schluss für eine wirkliche "städtebauliche sowie architektonische Aufwertung des Standorts“ kann das jedoch in Zeiten des dringend notwendigen Strukturwandels der Städte keinesfalls sein. Hat man früher Funktionen des städtischen Lebens wie Wohnen, Arbeiten, Gewerbe und Dienstleistungen eher getrennt gedacht, so sieht die moderne Stadtplanung heute die Notwendigkeit, Stadträume in ihrer verknüpfenden Wirkung zu denken. Begriffe wie Nutzungsmischung (wie im Masterplan für Graz-Reininghaus gefordert), Vernetzung, kurze Wege, die 15-Minuten-Stadt, hochwertige Verdichtung und Quartiers-Aufwertung, etwa durch attraktive öffentliche Räume sind nicht nur Schlagwörter in Städten wie Paris, Madrid oder Zürich, sie gelten auch für Graz.

Stadt ist die Überlagerung vieler Interessen. Die Realisierung ausschließlich partieller Nutzungsinteressen schafft einen Fleckerlteppich, eine Aneinanderreihung von „Monokulturen“, aber nie eine pulsierende Stadt. Es ist also ein Gebot der Stunde, das Areal der Remise im Bezirk Jakomini so neu zu denken und eine Lösung für Erweiterung und Umbau zu finden, die dem Trend zur effizienten Nutzung wertvoller zentrumsnaher innerstädtischer Räume entspricht. Das war im Interesse der früheren Stadtregierung (im Sinne von Dichte und Erschließung von innerstädtischen Brachen wie Kasernen ect.) und muss auch im Interesse der neuen Stadtregierung sein, will sie doch auch einen Strukturwandel einleiten.

Strukturen erhalten, aber zukunftsfähig umbauen und weiterentwickeln. Ich höre schon die Zweifler: Wie kann das am Areal eines Betriebes mit Werkstätten gehen? Nun, es gibt in europäischen Städten, die Vorreiter sein wollen im Neudenken von Stadtplanung, einige Beispiele, die uns zeigen, dass es möglich ist, „Unorte“ zu attraktiven „Kraftorten“ zu entwickeln. Die Müllverbrennungsanlage Amager Bakke in Kopenhagen wird nicht nur die weltweit sauberste bezeichnet, "the cleanest waste-to-energy power plant in the world“, ihr geneigtes Dach dient auch als künstliche Skipiste, die ohne Schnee befahren werden kann.

Vom Unort zum Kraftort: Diese Termini verwendeten Aktivisten für Zürichs Kalkbreite (Anrainer, Besetzer*innen Architekt*innen), die unzufrieden darüber waren, dass ein innerstädtisches Areal, das als Straßenbahndepot genutzt wurde, mit einer reinen Büronutzung überbaut werden sollte. Die Gründung des stadt.labor-Workshop hatte zum Ziel, einen Gegenentwurf zu den Plänen der Stadt zu entwickeln, der das Areal öffnen und eine über die Grundstücksgrenzen hinausgehende stadträumliche Impulswirkung erreichen sollte. Kalkbreite wurde mit visionärem Nutzungskonzept zu einem lebendigen Stadtteilzentrum, das die Tramhalle, Gewerbe- und Geschäftsräume mit Arbeitsplätzen für 200 Personen und 7.500 m² Wohnflächen, 600 m² Gemeinschaftsflächen und einer öffentlich zugänglichen Stadtterrasse über der überdachten Remise vereint. All das konnte entstehen durch ein Baurecht, das 50 Jahre plus einmalig 30 gilt. (Näheres dazu beschrieb GAT schon vor genau 7 Jahren, siehe Artikel unten) Auch heute kann man erfahren, dass das Interesse an der Kalkbreite ungebrochen groß ist. "Durch die zentrale Lage, die Gewerbebetriebe, die Gastronomie und die innovativen Nutzungen, die im Bau angesiedelt wurden, sowie die hervorragende Erschließung mit dem öffentlichen Personennahverkehr der genossenschaftlichen Wohnsiedlung hat sich die Kalkbreite schnell zu einem vitalen Stadtteilzentrum entwickelt,“ schreibt das Polis-Magazin.

Und in Graz? In einer Richtungsänderung des Projekts Remise sehe ich eine erste wirkliche Herausforderung und zugleich Chance für eine neue, bessere Planung von Stadt in der neu gewählten Stadtregierung. Daher: Stopp des Projekts in der derzeit angedachten, monofunktionellen Form! Analyse und In-Frage-Stellung des von der Holding Graz vorgegebenen Konzepts, das eine Tiefgarage für 300 Autos vorsieht (Variante 4 einer Vorstudie), besonders in Hinblick auf die städtebauliche Lage des Grundstücks. Das Wagnis eingehen, Stadt neu zu denken, und über den Tellerrand des eigenen Unternehmens hinauszublicken. Verbündete suchen. Neustart in Form eines Architekturwettbewerbs für ein Projekt, das das Areal baulich und sozial in den urbanen Kontext des Bezirks einbindet.

Noch ein Post Scriptum zur Konkretisierung: Mit dem Verkauf des ehemaligen Areals des GSC (Grazer Sportclub Straßenbahn) gegenüber der Messe im Jahr 2006 an die Styria Media AG wurde vertraglich vereinbart, ein Teilareal als Grün- und Parkanlage zu belassen. 2010 hat die Stadt mit Gemeinderatsbeschluss mit der Styria einen Vertrag geschlossen, der festlegte, dass die Styria-Projektgesellschaft MCG Immobilien auf rund 8.800 Quadratmetern des Gesamtareals (Styria Headquarter, Bezirk Jakomini) auf ihre Kosten und in Abstimmung mit dem Magistrat eine öffentliche Parkanlage "zur Attraktivierung des Viertels“ errichtet, die wiederum die Stadt um mehr als 100.000 Euro Jahrespacht anmietet und pflegt. Der Vertrag sah vor, dass die Styria bei einem späteren Erweiterungsbau (!) des Headquarter-Komplexes dieses Areal verbauen kann. Im August 2018 informierte die Stadt Graz den Bezirksrat, dass die Styria Media den Bestandsvertrag aufgekündigt hat und den Verkauf des Parkareals an einen Wohnbauträger für eine Wohnbebauung plant.

Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Stadt ist ein komplexes Gefüge von Aktivitäten, Absichten und Räumen. Abgesehen davon, dass es völlig unverständlich ist, wenn die Stadt diesen Vertragsbruch willenlos hingenommen hätte (derzeitiger Stand ist der Autorin nicht bekannt), könnte dieser Park erhalten bleiben, wenn es die Einsicht aller Beteiligten gibt, dass er zur Aufwertung des Bezirks mit einem Mangel an Grünraum dringend gebraucht wird. Dass es weniger Versiegelung gäbe (die Stadt hat ihren Willen zu ressourcensparender Entwicklung deutlich kundgetan) und dass die Wohnungen, die dort nicht entstehen werden, wenn der Park bleibt, durch eine kluge, innovative Überbauung der Straßenbahnremise kompensiert werden könnten. Jan Gehl, der bekannte dänische Stadtplaner, lebenslanger Fürsprecher des „Öffentlichen Lebensraums“ ist überzeugt davon, dass die Städte, die wir formen/planen, uns dann ebenso formen.

Wolfgang Feyferlik

Die neue Stadtregierung sollte sich die Massnahme des BM für Klima etc. zum Vorbild nehmen und einiges in Graz einer Nachdenkpause unterziehen. Für städtische Areale dieser Größenordnung einfach ein Verhandlungsverfahren ohne inhaltlicher Ausarbeitung und Expertenanalyse ist schon ein starkes Stück. Es gibt viele Möglichkeiten diese Größenordnung zu entwickeln, das jetzt von der Holding gewählte Verfahren ist dafür aber nicht geeignet, nicht ienmal nur für den Bau einer Remise.

Mi. 01/12/2021 12:20 Permalink
Michael Rieper

Danke Karin, ja, eine multifunktionale Nutzung des Areals in der Steyrergasse würde schon Sinn machen, also wäre ein städtebaulicher Wettbewerb schon hilfreich.

Mi. 01/12/2021 1:44 Permalink
Gregor Tritthart

Als Architekt und Anrainer verstehe ich nicht, warum sich die Stadt so eine Chance entgehen lässt. Hier könnte etwas Großes im Sinne von Bedeutung entstehen, auf das alle stolz sein können. Etwas was neben seiner Funktion als Remise Wohnraum im Zentrum und öffentliches Grün schafft, für ein besseres Klima und eine bessere Lebensqualität. Vielleicht ist es ja aus Sicht der Holding verständlich, dass sie sorgsam mit ihren Mitteln umgeht und eine möglichst günstige Garage für ihre Straßenbahn baut, aber gilt das auch für die Politik und die Stadtverwaltung, die darüber hinaus denken sollte? Untypisch für eine Remise ist die darunterliegende Tiefgarage mit ein paar hundert Stellplätzen, also doch ein visionärer Gedanke – aber wie vertritt eigentlich die dunkelrotgrüne Stadtregierung diese Idee?
Warum ist es in Graz nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dass die Stadtbaudirektion, die Stadtplanung und offensichtlich auch die ausgelagerten Gesellschaften total überrascht werden von ihren Großprojekten und denn keine ordentlichen Planungen mit einem Wettbewerb als Basis mehr möglich sind.
Warum fürchten sich nur alle vor einer öffentlichen Diskussion und Qualität?
Solange nicht gebaut wird ist es aber nicht zu spät neu zu planen. Darum muss die Politik, die Beamtenschaft und auch die Holding dringend aufgefordert werden im öffentlichen Interesse zu handeln. Das bedeutet nicht die billigste Straßenbahngarage mit möglichst vielen PKW Parkplätzen darunter zu errichten, sondern verantwortungsvoll mit dem öffentlichen Raum umzugehen. Sehen wir das Ganze als Chance, eine Chance für einen neuen Lebensraum mitten in der Stadt, für Grünraum auf dem Dach, für weniger PKW-Verkehr. Stoppt das aktuelle Verfahren und rollt es ordentlich neu auf. Die vorbereitenden Studien sind nie umsonst, sondern bilden eine wertvolle Basis für eine weitere Entwicklung. In diesem konkreten Fall erscheint mir ein kooperatives Verfahren mit erfahrenen Städtebauern, Architekten und Ingenieuren der richtige Zwischenschritt um danach eine Grundlage für einen Realisierungswettbewerb zu haben, der die komplexen Bedürfnisse aller Beteiligten erfüllen kann.

Di. 30/11/2021 2:24 Permalink
Elisabeth Kabelis-Lechner

In Graz müsste derzeizt so einiges an Großprojekten gestoppt werden, denn sonst wird man vom neuen Wind in der Stadtplanung nicht viel merken.
Jakomini hat auch ein enormes Defizit an öffentlichen Grünflächen. Es besteht somitgroßer Handlungsbedarf.
Dieser Wettbewerb muss ausgesetzt werden, da stimme ich dir zu

Di. 30/11/2021 12:42 Permalink
Gregor Tritthart

Antwort auf von Elisabeth Kabelis-Lechner

welcher Wettbewerb? Wenn es wenigstens einen gäbe. Geht gem. Gemeinderatsbeschluss um 150 Mio Baukosten und es gibt dafür ein Verhandlungsverfahren. Die Gestaltungsfrage ist sekundär.

Di. 30/11/2021 5:17 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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