27/06/2024

Die Doppelhauptschule am Penzinger Kinkplatz von Helmut Richter polarisierte wie kaum ein anderer Bau, sie mobilisierte aber auch die Architektenszene in ungeahnter Einigkeit. Seit 2017 stand sie leer, seit 24. Jänner 2024 steht sie rechtskräftig unter Denkmalschutz, Anfang Mai lobte die Wiener Standortentwicklungs GmbH (WSE) ein Konzeptverfahren aus. Mit einem Resultat ist Ende des Jahres zu rechnen.

27/06/2024

Helmut-Richter Schule, 1994, ©Mischa Erben

Helmut-Richter Schule, 1994, ©Manfred Seidl

Blick in die Sporthalle, Innenraum Helmut-Richter Schule, 2019

©: Isabella Marboe

Stiegenaufgang, Innenraum, Helmut-Richter Schule, 2019

©: Isabella Marboe

Helmut-Richter Schule, 2019

©: Isabella Marboe

Helmut-Richter Schule, 2024

©: Verein Initiative Denkmalschutz

Helmut- Richter Schule, 2024

©: Verein Initiative Denkmalschutz

Helmut Richter war eine absolute Ausnahmeerscheinung in der heimischen Szene. Er strebte nach dem Superlativ und kämpfte zäh, leidenschaftlich und unerbittlich um seine Ideale. Die lagen eindeutig in der Zukunft und dem Fortschritt der Bautechnologie. Stahl, Glas und Hightech auf der Höhe ihrer Zeit, besser noch darüber hinaus. Eine solche Haltung hat es schwer in einer Stadt wie Wien, wo man den Kompromiss lebt, sich mit Stolz auf die glorreiche, große Vergangenheit – wahlweise das kaiserliche oder das Rote Wien – bezieht und vor allem mit Wienerberger Ziegeln baut. Die Doppelhauptschule von Helmut Richter war gleichermaßen die gebaute Antithese dazu, sie polarisierte von Anfang an. Ihr Anspruch vertrug sich nicht mit den Realitäten eines Schulalltags und der schulischen Verwaltung, ihre Rezeption wandelte sich mit der Zeit vom gefeierten Flaggschiff zum mängelbehafteten Problemfall.

Man betrat sie seitlich über einen schmalen Metallsteg, die Aula war nach Süden orientiert, 15 Meter hoch, hell, darüber ein großes, schräges Pultdach aus blau-getöntem Glas auf einem Tragwerk aus Stahl, das 18 Meter stützenfrei den Raum überspannte. Hier hatte man den Himmel über sich und eine gelbe Stirnwand zur Seite, von der die unterspannten Stahlstege der Haupterschließung losstarteten, 80 Meter über die gesamte Länge, von West nach Ost. „Ich wollte eine Schule machen, bei der sich nicht gleich das Unangenehme, das bei Schulen so auffällt, bemerkbar macht“, sagte Richter. Sie war ein Direktauftrag, sein einziger öffentlicher Bau und gleichermaßen die Speerspitze des ambitionierten „Schulbauprogramms 2000“, das der damalige Stadtrat Hannes Swoboda initiiert hatte. 

Das Grundstück fällt von Norden nach Süden steil ab und führt Hangwasser. Zwischen zwei und vier Geschosse hoch, ragten nordseitig drei zweihüftige Klassentrakte ins Gelände, während im Süden zwei riesige Glasdächer die Aula und den Dreifachturnsaal überspannten, der in einer Dichtbetonwanne in den Hang gegraben war. Darüber 1.500 m² Glas auf einer filigranen Stahlkonstruktion, minimiert auf ein Skelett, rundherum Raum und Transparenz. Als „Libellenflügel“ gingen diese Dächer in die Annalen ein. Richter hatte sie als Solarkraftwerk mit Photovoltaikpaneelen als zusätzliche Beschattungselemente konzipiert. Daher die Südausrichtung, die Haustechnik war auf Nachtkühlung berechnet, die Lüftungsklappen aber blieben zu, auch die geplante Drainage, durch die das Hangwasser fließen hätte sollen, wurde eingespart.

Zu seiner Eröffnung 1994 war dieser avantgardistische und teuerste Schulbau der Stadt Wien eine Sensation. Scharenweise pilgerten Architekturstudierende mit ihren Professoren und Professorinnen zu diesem Vorzeigebeispiel avancierter Hightech-Architektur, wie man es in Österreich mit der Lupe suchen kann. In den Jahren danach bretterten sechshundert pubertierende Schüler und Schülerinnen über Stege und Treppenkaskaden aus Stahl, ihr Lärm brach sich an den harten Oberflächen, die Sonne brannte unbarmherzig auf ein undichtes Dach, Fenster klemmten, Hangwasser drang ein, Mängel häuften sich, der Reparaturbedarf stieg, mit ihm die Kosten, die Stimmung drehte sich.

Und dann geschah etwas absolut Un-Österreichisches: Die Zivilgesellschaft formierte sich. Ebenso zäh wie Helmut Richter mobilisierte seine Witwe, Architektin Silja Tillner, unermüdlich die Kollegenschaft. Schon unmittelbar nach seinem Tod 2014 hatten sich prominente Architektinnen und Architekten von internationalem Format wie Zaha Hadid, Frank Gehry, Dominique Perrault, sowie heimische Größen wie Wolf D. Prix zum Komitee formiert, das in einer Petition von der Stadt den wertschätzenden Erhalt von Helmut Richters „herausragendem zeitgenössichem“ Bau forderte.

Die Stadt beauftragte Fachgutachten, der Werkraum Wien (2015) und KPPK (2016) hielten eine Sanierung zu vertretbaren Kosten für möglich. Nichts geschah. 2017 wurde die Schule abgesiedelt, seither stand sie leer und dümpelte mehr oder weniger unbemerkt, mehr oder weniger geduldet, ihrer wirtschaftlichen Abbruchreife entgegen. 2018 kam ein Gutachten von Ing. Ribarich auf Sanierungskosten von 60 Mio. €, unvertretbar teuer, prolongierter Stillstand. Die Schule blieb leer, ungesichert, ungewartet, unbeheizt, sich selbst, der Witterung und dem Vandalismus überlassen.

Am Tag des schutzlosen Denkmals – am 18. September 2019 – lud man zur Demo-Lecture vor der Schule, am 23. Oktober desselben Jahres fand ein Fachworkshop an der TU Wien statt, Architekt Johannes Zeininger brachte die Petition „für die respektvolle Erhaltung und adäquate Nutzung der Helmut-Richter-Schule am Kinkplatz in Wien/Penzing“ beim Wiener Gemeinderat ein. Mit dem Bau eines Bildungscampus für rund 1100 Kinder war der Schulbedarf des Bezirks gedeckt, die Richter-Schule ihrer Bestimmung enthoben, der Kampf um sie ging weiter.

Am 30. April 2021 informierte das Bundesdenkmalamt die Stadt von seiner Absicht, die Richter-Schule unter Schutz zu stellen, am 26. Jänner 2022 fand vor ausverkauftem Haus im Architekturzentrum Wien (AzW) eine Podiumsdiskussion zum künftigen Umgang mit ihr statt. „Dieses Gebäude ist eine Herausforderung, wir wollen an ihm zeigen, wie man die Glas-Stahl-Architektur dieser Zeit vorbildlich zukunftsweisend sanieren und ihre Probleme lösen kann“, sagt Architektin Silja Tillner. Das Büro Tillner & Willinger nahm Richters Idee mit den Photovoltaikpaneelen auf und untersuchte das energetische Sanierungspotential des Baus im Rahmen eines Forschungsprojekts des FFG und der „Stadt der Zukunft.“ Gute Architektinnen und Architekten sind gefragt. Alfred Willinger: „Man muss dieses Gebäude mit Samthandschuhen anfassen, sonst ist seine verästelte, leichte Konstruktion kaputt.“

Der Denkmalschutzbescheid liest sich spannend: In mehrfachen Schreiben, datiert vom 17. Mai 2021, 30. September 2021, 21. März 2022, 15. September 2022 ersuchte die Stadt Wien um Fristverlängerung an, am 3. März 2023 übermittelte sie das Privatgutachten „zur wirtschaftlichen Abbruchreife des Bestandsgebäudes sowie zur angekündigten Unterschutzstellung“ von Architekt em. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. tech. Manfred Wehdorn. Dieser attestierte der Schule zwar „geschichtliche, (bau)künstlerische und kulturelle Werte“, stellte aber die Frage, ob eine Architektur, die „weder zweckmäßig noch technisch funktioniere, sogar tendenziell gesundheitsgefährdend sei, ein Denkmal sein könne.“ Der Bescheid ging auf das Privatgutachten sorgfältig ein und argumentierte nachvollziehbar und schlüssig, dass der „Verlust der einstigen Doppelhauptschule von Helmut Richter eine Beeinträchtigung des österreichischen Kulturbestandes bedeuten würde und damit an der Erhaltung gegenständlichen Denkmals ein öffentliches Interesse bestehe.“ Seit 24. Jänner 2024 steht die Schule nun rechtskräftig unter Denkmalschutz.

Anfang Mai schrieb die WSE Wiener Standortentwicklung GmbH ein EU-weites Konzeptverfahren aus. Gesucht ist ein Konsortium, das ein Zukunftsszenario für die Schule mit einem überzeugenden Businessplan und qualitativ hochwertigen Nutzungen und Nuzter*innen vorweisen kann. Möglich wären etwa geförderter Wohnbau, Erwachsenenbildung, Kultur, Sport, außerschulische Einrichtungen, soziale und medizinische Infrastruktur und mehr. Ausschlagskriterium ist die Qualität in Verbindung mit dem angebotenen Preis.

Der Datenschutz zwingt zu Stillschweigen, dem Vernehmen nach war das Interesse groß. „Wir wollen so viele Vorschläge wie möglich. Jede Liegenschaft, die leer steht, tut mir weh“, sagt Andreas Meinhold, der Geschäftsführer der WSE. „Ich wünsche mir dafür ein innovatives Projekt. Natürlich hat das Gebäude einen hohen Sanierungsstau, aber der Ort hat viel Potential. Vis à vis gibt es einen Sportplatz, man könnte in Richtung Sport, Mobilität, Kreislaufwirtschaft entwickeln und auch die Energiethematik mitdenken.“ Die Liegenschaft wird im Baurecht auf 99 Jahre vergeben, dadurch bleibt sie im Besitz der Stadt. Erfahrungsgemäß will ein Bieter in der halben Zeit sein Investment refinanziert haben. Danach hat er praktisch nochmals die Chance, sein Projekt neu zu denken. Die Bewerbungsfrist ist vorbei, erste Begehungen finden statt. Mit einem Resultat ist bis Jahresende zu rechnen.


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