"Der Lärm ist zerstörerisch und schreckenerregend. Aber die Ordnung und die flache Wiederholung sind Nachbarn des Todes. Der Lärm nährt eine neue Ordnung. Die Organisation, das Leben und das intelligente Denken sind im Zwischenbereich von Ordnung und Lärm, von Unordnung und perfekter Harmonie angesiedelt."
Michel Serres, Portrait des Parasiten in voller Größe: Geräusche,
in: Serres, Michel: Der Parasit. Frankfurt am Main 1987, 193
Diese Diplomarbeit zielt darauf ab, eine Utopie, oder genauer gesagt ein Netz von utopischen Orten, zu entwickeln. Über den Dächern sollen Secret Gardens als parasitäre Strukturen Fuß fassen, um so neue öffentliche Räume, neue gemeinschaftlich nutzbare Gärten zu erschaffen. Über den Köpfen der Stadtbewohner lassen sich 14.000.000 m2 größtenteils unerschlossenes Neuland finden, was in etwa 11% der gesamten Grundfläche der Stadt Graz entspricht. Diese meist unsichtbaren Brachen, welche es Stück für Stück, unauffällig und anfangs fast heimlich zu erobern gilt, sollen zu den ersten Andockpunkten für parasitäre Gemeinschaftsgärten, zu den ersten Infektionsherden einer Neuinterpretation des urbanen (Garten-)Freiraums werden.
Auch wenn der Begriff des Parasiten zur Zeit noch weitgehend negativ konnotiert ist, so leistet er oft doch deutlich mehr als ein rücksichtsloser, ausschließlich auf die Maximierung des eigenen Vorteils programmierter Schmarotzer. Als Kommunikator stiftet er schon alleine durch seine Anwesenheit Unruhe und bringt Bewegung in die träge Routine alltäglicher Abläufe. Er erfindet etwas Neues, er motiviert befallene Systeme dazu, ihren Zustand in kleinen Schritten zu verändern.
Folgen wir diesem, auf den Gedanken des Philosophen Michel Serres aufbauenden Ansatz, so bietet sich uns damit eine Möglichkeit, um städtebaulich festgefahrenen Strukturen ohne die Verwendung von Planierraupe und Abrissbirne neues Leben einzuhauchen. Im Fall der Secret Gardens ergänzen sich die Fähigkeiten eines ausgewachsenen Parasiten mit den Praktiken des gärtnerischen Bottom-up-Urbanism und ergeben dadurch ein im Vergleich mit dem Maschinenpark des Abbruchunternehmers mindestens ebenso effektives Instrument der Veränderung, das jedoch im Gegensatz zur Strategie der tabula rasa in der Lage ist, mit geradezu chirurgischer Genauigkeit zu operieren.
Ausgehend von der Entwicklung der Stadt Graz und ihrer Gesellschaft werden in dieser Diplomarbeit Produktionsweisen von privaten und öffentlichen urbanen Räumen untersucht, wobei besonderes Augenmerk auf den diese Prozesse begleitenden Gärten liegt. Entwicklungsgeschichte, Theorie und Praxis partizipativer Bottom-up-Bewegungen sollen durch Überlagerung mit Beispielen aus dem Bereich der Gartenkultur und den Interventionsmöglichkeiten parasitärer Strategien die Frage beantworten, wie ein neuer Typus von für eine gemeinschaftliche Nutzung zugänglichen Räumen definiert werden könnte.
Auch wenn das menschliche Verlangen nach Grünflächen oder Gärten keineswegs als anthropologische Konstante bezeichnet werden kann, so lassen sich anhand der Entwicklung dieser Räume über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg dennoch Rückschlüsse auf die die jeweilige Gesellschaftsform in ihren grundlegenden Punkten bestimmenden Fragen und Übereinkünfte ziehen. Ausgehend von der Annahme, dass jede gärtnerisch aktive Kultur in der Gestaltung ihrer Gärten auch die sie jeweils prägenden Normen und Konventionen zum Ausdruck bringt, werden diese sich besonders deutlich vom übrigen Gefüge der Stadt unterscheidenden Orte im Rahmen dieser Arbeit auf ihre Fähigkeiten hin untersucht, wie ein Katalysator soziale Interaktion zu ermöglichen, ohne selbst direkt daran Teil zu nehmen.
Gerade der Garten kann seit jeher als Versuch betrachtet werden, sich der vielen Kulturkreisen gemeinsamen Utopie des Paradieses anzunähern, um die für das Jenseits in Aussicht gestellten Verheißungen bereits im Diesseits erfahren zu können.
Verheißungen, welche in der zunehmend von Privatisierungstendenzen öffentlichen Raumes geprägten Stadt von heute immer mehr an Bedeutung gewinnen.