1480 Umb unß Frauntag der schiedung sind hie zu Gratz gotsplag drey gewesn. Haberschreckh, Türkn und pestilenz, und yede so groß, dasz dem Menschen unerhörlich ist, got sey uns gn(ä)di.
Das berühmte Wandgemälde an der Südseite des Grazer Doms soll neuerlich „gerettet“ werden; hat sich sein Zustand seit der letzten Restaurierung vor 20 Jahren (Bild 1) wieder so beängstigend verschlechtert? Das Fresko, wohl eine Stiftung der Grazer Bürger nach dem Katastrophenjahr 1480, zeigt im unteren Bildteil die drei schweren Heimsuchungen (Plagen) dieses Jahres: Heuschrecken, Türkennot und Pest. Thomas von Villach – auch Artula genannt – von dem in Kärnten viele schöne Fresken erhalten sind, hatte dieses überaus bedeutende Werk 1485 geschaffen.
Die Hauptschuld am Zerfall des Wandbildes trug der 1830/31 erfolgte Abbruch des Verbindungsgangs vom heutigen Priesterseminar zum Dom (Bild 2). Dieser doppelstöckige Übergang war nach der Übertragung der Pfarrkirche St. Ägydius an die Jesuiten 1573 errichtet worden und ermöglichte ihnen einen direkten Zugang über die Bürgergasse, das Gottesplagenbild und den Südwesteingang bis zur Sakristei. Nach 1831 war das vorher so beinahe eingehauste Gemälde nun noch stärker der Witterung preisgegeben, auch dürften damals die ersten Setzungen zu Sprüngen geführt haben (Bild 3).
Zur Rettung des kostbaren Bildes gab es unzählige Versuche, die hier nicht alle aufgezählt werden können; der letzte wurde 2003 abgeschlossen. Danach wurden auch teilweise neue Nachzeichnungen publiziert.
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem „Gottesplagenbild“, weil sich daraus die ersten topographischen Hinweise auf das mittelalterliche Stadtbild ablesen lassen. Der wahre Wert dieser Ansicht wurde ja vielfach bis heute nicht erkannt, das Bild teilweise als Phantasiebild abgetan.
Es wäre mein Wunsch, in unmittelbarer Nähe des nur mehr äußerst schwer zu entziffernden Originals eine authentische Nachzeichnung der Grazer Szenen anzubringen, aus der man die ursprüngliche Ansicht entnehmen kann. Dafür müsste aber eine Kopie angefertigt werden, welche die Fehler der vorherigen ausmerzt (siehe meinen Rekonstruktionsversuch ganz oben).
Nachzeichnungen
Die älteste Nachzeichnung des Bildes hat Johann Christian Andreas Fyrtag 1753 publiziert („Kurtze Beschreibung der Landes Fürstlichen Haubt und Residenz=Statt Grätz“), sie zeigt allerdings nur den Schloßberg, aber hier ist noch der Turm des Bergfrieds hinter dem Palas zu erkennen, der später nicht mehr zu sehen ist (Bild 4).
Glücklicherweise gibt es eine 1826 – also noch vor dem Abbruch des schützenden Übergangs – angefertigte Nachzeichnung der „Türkennot“. Sie stammt von Johann Wachtl, beigegeben dem Aufsatz von Joseph Hammer (seit 1835 als Erbe der Witwe des Grafen als Hammer-Purgstall in den Freiherrnstand erhoben) „Von dem Einfalle der Türken in Steyermark unter Suleimans des Großen eigener Anführung“, Steyermärkische Zeitschrift, Grätz 1826. In meiner Bibliothek befindet sich ein gedrucktes Exemplar dieser Zeichnung (Bild 5). Diese Ansicht ist vermutlich die wichtigste Entdeckung meiner langjährigen Forschungsarbeit zum Gottesplagenbild, denn sie zeigt für das Stadtbild bedeutende Details ganz anders, als die späteren Kopien, nämlich links vom Reckturm die Murbrücke und einen Brückenkopf-Turm am jenseitigen Murufer.
Eigenartig ist, dass die älteren Grazer Geschichtsforscher diese Ansicht nie erwähnen, und vielleicht auch gar nicht gekannt haben. Sie wurde erstmals 2006 im Buch „Unsere Stadtgeschichte“ (Strahalm-Laukhardt) gezeigt, dann 2007 in der Ausstellung „Hammer-Purgstall“ in der Landesbibliothek, 2009 abgebildet bei Antje Senarclens de Grancy, "Graz, Stadt der Volkserhebung. Bollwerk gegen den Südosten. Der "Türken-Gobelin" im Grazer Rathaus - Propagandakunst der NS-Zeit“ (Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, 38/39, S. 126 und 2013 bei Ulrike Schuster „Der Anblick ist ein höchst malerischer […]“ (Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, 43, S. 169, Abb. 4).
Das linke Seitenbild, die Heuschreckenplage, wurde 1842 von F. Unger veröffentlicht, der von seinen Schülern eine Nachzeichnung anfertigen ließ („Die Heuschreckenzüge in Steiermark“), Steiermärkische Zeitschrift, Neue Folge, 7. Jahrgang, Heft I, Grätz 1842, S. 115 – 133 (Bild 6).
Die erste „Sanierung“ hatte schon 1857 der damalige Landes-Archäologe Carl Haas versucht; seine oberflächliche Reinigung des Bildes und der Überzug mit einem „Wachsfirniß“ hatte aber nur noch schlimmere Schäden zur Folge. Der Restaurator Heinrich Schwach, der vor seinem Sanierungs-Versuch 1869-71 eine Zeichnung anfertigte und veröffentlichte (Bild 7), hatte wohl den untersten Bildbereich schon sehr zerstört vorgefunden und offensichtlich mit eigenen Interpretationen ergänzt, leider mit schwerwiegenden Folgen für die Forschung.
Dennoch hat ein Unbekannter um 1900 ein Phantasiebild gemalt, das links vom Reckturm richtig eine Brücke zeigt; die meisten anderen Details sind allerdings nicht authentisch dargestellt (Bild 8).
1908 hat F. Seemann den Ausschnitt der „Türkennot“ in einem Aquarell festgehalten (Stadtmuseum, siehe Titelbild). Anlässlich der großen Innenrestaurierung des Doms von 1931 gab es in den darauf folgenden Jahren einen äußerst engagierteren Versuch einer farbigen Rekonstruktion des Bildes. Auf 56 Einzelfeldern der auf Originalgröße gebrachten Kopien fotografischer Aufnahmen von F. M. Fürböck hat Prof. Fritz Silberbauer die Farbtöne des Originals übertragen, womit er bis 1933 beschäftigt war (Auszug von 6 Platten, siehe Bild 9).
Silberbauers Farbplatten waren bisher in keiner Publikationen zu entdecken; nach langen vergeblichen Recherchen konnte ich sie dank der liebenswürdigen Hilfe von Frau Dr. Leitner-Ruhe am 17.2.2023 im Depot der Alten Galerie erstmals betrachten.
Miriam Porta (in E. Lanc, Die mittelalterliche Wandmalerei in der Steiermark, 2002) spricht davon, dass 1933 Silberbauers Bestandsaufnahme und Ergänzungsentwürfe im Joanneum ausgestellt wurden; er soll dann 1934 Sicherungsmaßnahmen und Schließen der Fehlstellen besorgt haben. Wie Christoph Tinzl (Das Gottesplagenbild am Grazer Dom), 2003 klärt, erhielten die so befestigten Stellen lediglich eine neue Tönung.
Erst die beiden Repliken in Tempera und verkleinertem Maßstab, die Dina Kerciku 1952 im Auftrag des Bundesdenkmalamtes geschaffen hat, zeigen ein vollständiges Bild, auch in den beiden Seitenteilen mit der Heuschreckenplage und der Pest (Bild 9). Die zu blau geratene Figur unter dem Reckturm im Vordergrund der Stadtansicht zeigt, dass Kerciku die Farben Silberbauers aber nicht zur Gänze übernommen hat.
Die im Stadtmuseum bis 2006 freskoartig im ersten Schauraum appliziert gewesene Kopie von Edgar Huber aus 1982 (Bild 10) hat Kercikus Ergänzungen nicht zum Vorbild genommen – vor allem in den beiden Seitenteilen hat es noch die gleichen Fehlstellen wie die Zeichnung von Schwach 1871. Seit damals waren also keine Vervollständigungen des Bildes vorgenommen worden.
Perspektive des Bildes
Dass der Zeichner auch die Murbrücke zeigen konnte, wurde durch einen „Augpunkt“ möglich, der theoretisch an der Ecke Maygasse – Steyrergasse zu suchen ist (Bild 11); sein konkreter Standpunkt dürfte sich aber im Bereich des Grazbaches befunden haben.
Die Perspektive vom theoretischen „Augpunkt“ aus ermöglicht den Blick am Reckturm vorbei zur Murbrücke und zum Brückenkopfturm; hinter dem Eisernen Tor ist die Burg am Schloßberg zu sehen. Ein Vergleich mit dem Stadtmodell von 1800 (Chmelik, 1964, Stadtmuseum) bestätigt die Perspektive (Bild 12). Eduard Andorfer hat in seinem Aufsatz „Die Grazer Stadttore“, in: Grazer Schreib- und Amtskalender 1931, S. 237-240 eine Brücke anstelle einer Stadtmauer schon für möglich gehalten, ohne die Zeichnung Wachtls von 1836 zu kennen.
Beschreibung der Bauten
Rochus Kohlbach schrieb in seinem Buch „Der Grazer Dom“ 1948: „Obwohl die Einzelheiten ihrer Baulichkeit mit sichtlicher Sorgfalt eingezeichnet sind, bleibt es eine lockende Lieblingsbeschäftigung der Stadtforscher, sie konkret zu deuten. Nicht ohne Widersprüche.“ Wie wahr!
Ich konzentriere mich im Folgenden auf die Mitte des unteren Bildteils, der die „Türkennot“ darstellt und im Hintergrund die Stadt und die Burg am Schloßberg um 1480 zeigt. Das ermöglicht es mir auch, einige hartnäckig behauptete historische Fehleinschätzungen zu korrigieren.
Zunächst ist festzuhalten, dass wir es mit der im Vordergrund gezeigten Stadtmauer nicht mit der ersten mittelalterlichen Südmauer von ca. 1250 und auch nicht mit der in der von Vandesype-Hollar 1635 gezeichneten Ansicht der Renaissance-Befestigung zu tun haben, sondern mit einer Zwischenphase, die mehr als 100 Jahre anhielt. Um 1441 hatte Friedrich (seit 1440 deutscher König) eine starke „Vormauer“ (Zwingermauer) vor die alte Grazer Stadtmauer legen lassen. Der an der Südwestecke stehende mächtige Reckturm war erst damals entstanden; während alle anderen Tore durch spitze Turmdächer auffallen, zeigt er bei Wachtl ein Zeltdach, das in späteren Nachzeichnungen weggelassen ist. Aus dieser Zeit stammt auch das Eiserne Tor, es war daher das zweite an dieser Stelle (das erste befand sich etwas weiter nördlich auf der Höhe von Herrengasse 23). Das dritte Eiserne Tor wurde um 1550 errichtet, sein Aussehen ist sogar in Fotografien festgehalten.
Ich habe die Beschreibung der Bauten in eine Nachzeichnung Andorfers von 1930/31 gestellt, damit der Unterschied zu meinem Rekonstruktionsversuch (Titelbild) gut sichtbar wird. Bild 14:
1 Das Eiserne Tor: Das Wandgemälde zeigt die einzige Ansicht des um 1441 erbauten Tores, die Zahl der Stockwerke schwankt zwischen zwei in der Nachzeichnung von Wachtl und drei bei Schwach. Die noch immer zu lesende Behauptung, die Stadt hätte wegen des hier gelegenen Judenviertels bis zur ersten Nennung des Tores 1462 keinen Südausgang gehabt, ist unrealistisch. Die schon 1261 genannte „Judengasse“ (heute Herrengasse) war als Marktstraße zwangsläufig für Händler von außerhalb durch ein Stadttor zugänglich, und die Juden siedelten sich auch bevorzugt in der Nähe der Stadttore an.
2 Das Judentürlein: 1455 wird vom allten judentürlein gesprochen, das sich beim Werdpach befand (das war der vor 1441 noch über Tummelplatz und Hans-Sachs-Gasse in die Schönaugasse fließende, vom Kroisbach, der Graetz, gespeiste Stadtgrabenbach). Das Tor war wohl in Verlängerung der Frauengasse die Verbindung aus dem Judenviertel zu ihrem Friedhof außerhalb der Stadt. Dass auch die nach der Auflassung des Judenviertels 1439 um 1441 errichtete Zwingermauer noch eine solche Öffnung hatte, mag verwundern, doch ist ein ähnlicher Torbau mit zwei schlanken, flankierenden Türmchen, auch noch auf der Florentiner Ansicht von 1565 zu sehen. Die Zeichnung Wachtls von 1836 lässt hier allerdings kein Tor erkennen.
3 Der Reckturm: Er wurde an der südöstlichen Ecke der Mauer von 1441 erbaut, heute ungefähr bei Raubergasse 16. Als 1552 die Bürgerbastei hier entstand, sperrte er den Zugang zu ihr und erhielt deshalb ein Tor.
4 Die Murbrücke: Sie ist auf der Zeichnung von Wachtl eindeutig zu sehen, wurde aber seit H. Schwach irrig als Stadtmauer interpretiert; ein Phantasiebild im Stadtmuseum aus der Zeit um 1900 zeigt die Brücke, dennoch hat nur Eduard Andorfer sich 1931 hier eine Brücke vorstellen können.
5 Der Brückenkopfturm: Er sperrte den Zugang zur Brücke auf der rechten Murseite.
6 Turmdach des Murtors: Damals wohl noch das innere Murtor.
7 Die Franziskanerkirche: Sie erhielt erst 1636 den mächtigen Turm an der Murseite.
8 Turmdach des Sacktors: Dass die Stadt bis 1380 keinen Ausgang nach Norden gehabt hätte, ist unwahrscheinlich, verläuft doch eine historische Altstraße hier den Schloßbergfuß entlang.
9 St. Paul: Dass gerade die alte Pfarrkirche, die heutige Stiegenkirche, als einzige mit einem Turm gezeichnet ist, gibt zu denken, aber das Kreuz an der Turmspitze bestätigt die Annahme.
10 Turmdach des Paulustors: Damals gab es erst das Innere Paulustor beim Palais Saurau in der Sporgasse.
11 Die Pfarrkirche (Dom): Alle Türme des Bildes sind minarettartig erhöht, deshalb können die an der Pfarr- und Hofkirche auch als zwei tatsächlich vorhanden gewesene Stiegentürme gedeutet werden.
12 Der „Turm in der Vormauer“: An der Ecke Schlossergasse-Tummelplatz gab es an der Südostecke der Stadtmauer einen alten Pulverturm; da wir es hier aber mit der Zwingermauer zu tun haben, kommt eher der von Friedrich III. 1478 den Franziskanern für ihren Klosterbau überlassene Zwingerturm in Betracht (ein Thurren in der Vormauer der Statt durch wöllinger thurren vor zeytten ist gewesen ein portten der statt der an yr closter stest).
13 Das Frauenkloster am Grillbühel: Es stand vor der Stadtmauer, aber nicht auf dem, sondern am Fuße des Grillbühels, also im Bereich Opernring, und war von der Stadt durch das 1448 genannte frawnnkloster tor zu erreichen. Wachtls Zeichnung deutet einen Klosterbau mit einem Baum noch besser an, spätere Nachzeichnungen wollen hier Zinnen der Stadtmauer sehen.
14 Der Grillbühel: Dieser Hügel vor der Südostecke der Stadtbefestigung wurde vor dem Bau der Grillbühel-Bastei aus fortifikatorischen Gründen 1548 eingeebnet.
15 Turmdach des „Marchfutter-Turms“: Popelka nennt den an der Südostecke der Stadtmauer befindlichen Turm so, obwohl dieser Name in keiner Urkunde vorkommt, sondern nur 1478 ein Markhfuetterhauß.
16 Turmdach des Burgtors: Das 1401 als tor gegen der Greatz genannte Osttor war wegen der Osmaneneinbrüche damals bereits verschlossen worden; die Bezeichnung Gilgen-Tor entspricht einem Lesefehler von Fritz Popelka.
17 Das Schloßtor: Es befand sich in der Nähe des Hauses Schloßberg Nr. 1.
18 Uhrturm: Fyrtag zeigt ihn irrig mit einem Tor dargestellt, während es beim Schloßtor rechts darunter fehlt.
19 Der Palas: Das „Hochschloß“ stand am heutigen Plateau des Schloßbergs.
20 Turmdach des Bergfrieds: Er befand sich am Nordtrakt des Palas.
Zur Orientierung hier abschließend meine Skizze der Phasen der Grazer Südbefestigung (Bild 17).
Gottesplagenbild
Lieber Peter, ich komme erst jetzt dazu deine Arbeit zum Gottesplagenbild zu lesen und zu würdigen. Du hast dir eine sehr, sehr große Arbeit gemacht und ich hoffe, sie findet eine Würdigung und Umsetzung. Dass dieses Bild schutzlos der Witterung überlassen wurde ist eine Kulturschande. Vielleicht kann man es nun entsprechend der heutigen Technik verwahren. Ich habe viel erfahren, was ich bis jetzt nicht gewußt habe. Danke und liebe Grüsse.
Roswitha Neu
Glottesplagenbild am Dom
Das Wandbild befindet sich neben der breiten Seitentreppe in einer Nische an der Ecke des Domes. Das spiegelnde Glas verhindert eigentlich die Betrachtung und nimmt dem Bild den Raum davor. Eine räumliche Intervention könnte das Bild dauerhaft sichern, ihm einen Raum zurückgeben und einen Ort formulieren.
Danke Peter für die aufschlußreiche Geschchte!
Antwort auf Glottesplagenbild am Dom von Christian Andexer
Gottesplagenbild
Lieber Peter!
Deine Recherchen über das Gottesplagenbild sind hoch interessant, zumal damit auch das mittelalterliche Graz wieder besser erlebbar wird. Vielen Dank für deine Bemühungen. Vielleicht kann das auch von den Stadtverantwortlichen zum Anlass genommen werden, die bisher völlig unzulängliche Darstellung der seinerzeitigen Ausgrabungen am Hauptplatz in zwei voneinander getrennten Vitrinen endlich zu überdenken und in attraktiver moderner Form (Digi) der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Liebe Grüße, Manfred