Diesmal schließen wir eng an die in der letzten Folge besprochene „Goltgasse“ an und widmen uns dem wohl ältesten, malerischsten, bekanntesten und am häufigsten begangenen Durchgang in der Grazer Altstadt, weshalb er auch lange als „Altstadt-Passage“ bekannt gewesen ist. 1885 sprach man hier vom „Trinker’schen Durchgehhaus“. Schließlich gab es auch noch eine dritte Bezeichnung: EA-Passage, die sich aber nicht durchsetzte. Foto Fischer und der „Ankünder“ haben hier noch immer den Firmensitz, das legendäre Zentralkartenbüro leider seit einigen Monaten nicht mehr.
Ich habe diesen Durchgang auf dem Weg „in die Stadt“ rund 10 Jahre lang viermal täglich begangen, weitere 10 Jahre nur zweimal. Vom Burgtor über die Mausoleums-Stiege, durch die Abraham-a-Sancta-Clara-Gasse, den Glockenspielplatz und den Mehlplatz erreichte ich ihren östlichen Zugang. Nach dem Durchgang querte ich die Herrengasse und gelangte in der Landhausgasse zu meinem Arbeitsplatz.
Dass wir es hier mit einem echten architektonischen Kleinod aus dem späten 17. Jh. zu tun haben, belegt Wiltraud Resch in der Österr. Kunsttopographie von 1997 mit folgenden Worten: „Der architravierte Rundbogen mit Maskaron-Schlussstein wird von doppelten Rustikapilastern flankiert, über einem Gebälk mit Blütenreliefs befindet sich ein Volutengiebel mit seitlichen Kugelaufsätzen und einer reliefierten Kugel am Bogenscheitel.“
Ich erinnere mich noch gut, dass sich im östlichen Innenhof in einem hölzernen, wintergartenartigen Einbau ein Antiquitätengeschäft mit großen Schaufenstern befand, in dem eine sehr freundliche Dame das Sagen hatte.
Wir grüßten einander immer wenigstens mit einem Nicken, und auch nach so vielen Jahren habe ich ihr Gesicht noch immer vor mir. Unvergesslich bleibt mir auch, dass im Winter – und es war meistens viel Schnee im Durchgang – im Geschäft Eislaufschuhe ausgestellt waren, die auch ausgeliehen werden konnten. Die Sanierung der Häusergruppen zwischen Mehlplatz und Herrengasse in den Jahren 1972 bis 1982 hat dazu geführt, dass der Einbau entfernt und das Geschäft in das Hausinnere verlegt wurde. Hier kommt wieder meine Frage an die Leser: Wie hieß das Geschäft und wer war die nette Dame?
Zur Baugeschichte von Herrengasse 7
In dem vier- bis fünfgeschossigen Gebäudekomplex zwischen Herrengasse und Mehlplatz mit dem Durchgang und zwei Innenhöfen dominiert heute das fünfachsige Vorderhaus Herrengasse 7 mit seiner barocken, durch Pilaster gegliederten Fassade von 1660/70; südseitig sind zwei Fensterachsen als sog. Risalit etwas vorgebaut. Nach Bombenschäden wurde die Fassade 1953 erneuert.
Das heutige Haus Herrengasse 7 ist aus zwei mittelalterlichen Anwesen entstanden. Ein Teil des Hauses wird schon 1462 als Einpacherisches Haus bezeichnet. Der um diese Zeit verstorbene Ulrich Einpacher war ein prominenter Grazer Bürger und zum Landschreiber in Steiermark, dem höchsten Finanzbeamten des Landes, aufgestiegen. Im Hofquartierbuch von 1596 ist ein Christof Wurm Besitzer des Hauses, er dürfte ein Wirtshaus hier betrieben haben. Der „andere“ Teil des Hauses scheint erstmals 1572 im „Rauchverzeichnis“ als im Besitz eines Bartlmee Sporer auf, vermutlich ist dieser Hausteil als Prokopigasse 10 zu lokalisieren, weil es 1565 an das Haus Prokopigasse 12 anrainte (siehe weiter unten).
Im 3. Viertel des 17. Jhs. erhielt die Anlage weitgehend die bestehende Form. Wenn man dem Häuserbuch von Luschin-Ebengreuth aus 1928 folgt, weist ein Inventar des mit Anna Einbacher oder Einpacher verheiratet gewesenen und 1680 verstorbenen Johann Simon Khuen darauf hin, dass er mit dem Neubau der „vorher Hansen Einpacherische Behausung“ noch 1658 befasst war. Zehn Jahre davor sind die mit schönem Stuck verzierten zweistöckigen Arkadengänge im westlichen Innenhof entstanden (Bautafel im 2. Stock: 1648), der mittlere Quertrakt 1672. Der östlichste Quertrakt zeigt die Inschrift 1645, ob das auch als Erbauungszeit des pittoresken barocken Torrahmens an der Mehlplatzseite anzusehen ist, bleibt offen.
1696 fiel das Haus an den Hofkammerrat Anton Canduzi von Heldenfeld, der es 1705 zu einem Familien-Fideikommiss bestimmte (Erben dürfen das Vermögen nutzen, aber nicht verbrauchen), das aber nach seinem Tod 1751 allodialisiert und dann dem i.-ö. Regierungsrat M. Valentin v. Schrott verkauft wurde. Bis das Haus im 20. Jh. an die Familie Schwarz gelangte („Modellhaus Schwarz“ ist vielen Grazerinnen sicher noch ein Begriff) hat es noch viele andere Besitzer gesehen.
Zu den Grazer Bürgerhäusern
Die Bürgerhäuser der Grazer Innenstadt haben sich aus langen, schmalen Grundstreifen entwickelt, den mittelalterlichen Hofstätten, die sich mit der schmalen Giebelseite der Straße zuwandten. An mehr oder weniger unverändert erhaltenen Beispielen erkennen wir, dass die Schauseite meist drei Fensterachsen hatten; die sich im Rathausblock erhaltenen Häuser Herrengasse 2, 4 und 6 zählen ebenso dazu wie die Hausnummern Sackstraße 4, 6, 8, 10 und 12 sowie die Häuser Schmiedgasse 18, 20 und 22. Diese Parzellen wiesen eine Breite von ca. 5 bis 6 Klaftern auf, das sind rund 9,5 bis 11,5 Meter – einschließlich etwaiger dazwischen liegender „Reichen“, die das Regenwasser aus den Dachtraufen ableiteten und auf die auch ein Recht bestand. Anfangs waren die Häuser nur zweigeschossig, später kam es aber durchwegs zu Auf- und Ausbauten.
Die von Andreas Trost gestochene Ansicht des Landhauses (in Vischers Ducatus Styriae 1681) zeigt die Fassaden dreiachsiger aufgestockter Häuser auf der westlichen Seite der Herrengasse sehr schön.
Im Erdgeschoss lagen Verkaufsgewölbe und Werkstätten und oft auch die Einfahrt in den Hof. Die Wohnungen lagen im Stockwerk darüber. Die Hinterhöfe – in der Herrengasse haben sie eine Tiefe bis zu 37 Klafter (ca. 70 m) – nahmen ursprünglich auch Pferde-Stallungen und kleine Gärten der Bürger auf. Diese Raumstruktur erinnert „lebhaft an die bajuwarische Dorfflur mit ihren langen und schmalen Gewannen“, sagte Fritz Popelka. Mit dem Anwachsen der städtischen Bevölkerung wurden die Höfe aber später häufig mit Hinterhäusern besetzt, die dann oft durch lange, schmale Trakte mit dem Vorderhaus verbunden wurden.
Mit interessanten Skizzen von Grazer Bürgerhäusern bewies Harald Sammer, dass sich die Urform des Grazer Bürgerhauses durch die Jahrhunderte erhalten hat. Er zeigte auf, welche Verbesserung für die gesteigerten Wohnansprüche der Wandel vom Satteldach zum Schopfwalmdach brachte, mit dem auch der Dachboden zu einem Teil Wohnzwecken gewidmet werden konnte. Auch die ursprüngliche Einteilung des dreifenstrigen Hauses (mit dem Vorhaus, dem darin befindlichen – später abgetrennten – Abort, der Küche, Stube und der – erst später beheizbaren – Kammer) wurde beibehalten, auch wenn sich die zunächst giebelständige Bauweise in eine traufständige verwandelte.
Abweichend von dem geschilderten Muster der erhaltenen mittelalterlichen Hausgrundrisse zeigen die östlichen Straßenfronten des Hauptplatzes und der nördlichen Herrengassen-Häuser 1 bis 7 aber durchgehend fünf Fensterfronten und eine Breite von ca. 8 bis 9 Klafter (15 – 17 Metern). Sie sind größtenteils nicht mehr giebelständig, sondern mit den Traufen zur Straße ausgerichtet; wie wir noch sehen werden, gibt es aber hinter den Schauseiten noch vereinzelt Giebel als Reste der alten Bebauung. Diese Häuser gehörten auch keinen einfachen Bürgern mehr, sondern wohlhabenden Patriziern oder Adeligen.
Die von Andreas Trost 1695 gestochene Ansicht zeigt die Ostfront der Herrengasse eher schematisch. Der Baukörper des Hauses Herrengasse 7 überragt die Nachbarn deutlich. Die zwei ausgeprägten Giebel wurden später durch eine Aufstockung ersetzt, wie das von Ignaz Flurer gemalte Bild von 1728 in Deyerlsbergs „Erbhuldigungswerk“ beweist. Das Haus Nr. 9 hatte damals an beiden Hausecken Säulenerker, die nicht mehr bestehen; über dem Eingangsportal ist ein Erker zu erkennen. Immerhin war es damals im Besitz des Landeshauptmanns von Steiermark, Karl Weikhard Graf Breuner.
Ein Vergleich der Parzellenstruktur der oberen Herrengasse zeigt die Unterschiede. Die Annahme, dass aus den dreiachsigen Hausgrundrissen durch Zusammenlegungen fünfachsige wurden, lässt sich durch schriftliche Quellen nicht eindeutig beweisen.
Eine Ausnahme könnte die Geschichte von Herrengasse 9 zeigen: Aus dem Häuserbuch von Luschin-Ebengreuth (1927) erfahren wir nämlich, dass es dem im Rate der Stadt sitzenden Bürger Marx bzw. Markus Stempfer gehörte – dem Namensgeber der hier abzweigenden Gasse. 1572 besaß es dann der innerösterreichische Hofkriegsrat Servatius von Teuffenbach. Aus diesem Haus, dazu einem 1565 erworbenen dachlosen Stadel des landschaftlichen Apothekers Franz de Clementis in der Stempfergasse (der mit dem hinteren Ort an das „New gebew“ und den „kheller“ des Bartholomäus Sporer grenzte), und einem weiteren Haus in der Prokopigasse, das einem Goldschmied gehört hatte, erbaute Teuffenbach seine neue Behausung.
Der Name des Goldschmieds wird hier mit Heinrich Wille angegeben; er dürfte identisch sein mit dem Goldschmied Heinrich Wild oder Wildt, der im Hofquartierbuch von 1596 (ebenso im Häuserbuch und den archivalischen Vorarbeiten von Schmölzer) als Besitzer von Prokopigasse 16 genannt wird; er ist also wohl nach dem Verkauf seines Hauses Prokopigasse 12 auf die gegenüberliegende Straßenseite gewechselt.
Den – nach dem Landhaushof – bedeutendsten erhaltenen Grazer Arkadenhof erbaute Teuffenbach im Stil der Renaissance um 1570. Im Hofquartierbuch von 1596 wurde das Haus bereits als im Besitz der Erben genannt – und für drei ehemalige bürgerliche Häuser gerechnet. Dafür mussten jährlich in die landesfürstliche Kammer 4 Pfennig und 1 Helbling Grundrecht (alte Grundsteuer) und der Stadt Graz 40 Pfund Pfennige an Steuer (!) entrichtet werden. Eine römische Erlaubnis gestattete dem Hausherrn sogar, „allenthalben Mesß“ lesen zu lassen.
Das Haus Herrengasse 9 gehörte auch in der Folge adeligen Besitzern, zuerst den Freiherrn von Stadl, dann dem Sigmund Grafen von Wagensberg, der sie 1639 seiner Tochter Anna Regina Breunerin, weitergibt. Fast 200 Jahre lang bleiben die Freiherrn von Breuner darauf sitzen. Von 1834 bis 1927 werden die Grafen Lamberg als Besitzer genannt.
Kaffehausgeschichte
Zurück zu Herrengasse 7: Dass noch vor 1700 hier ein Leonhard Forni eines der ersten Kaffeehäuser in Graz betrieben habe, ist inzwischen widerlegt worden, aber das Hofquartierbuch von 1728 nennt doch ein ebenerdiges „Caffee Gwölb“. 1860 wurde für das Café ein eigenes Stiegenhaus über das Nachbarhaus Herrengasse 9 geschaffen, das dort früher ein zweites Portal hatte. 1920 wurden die Gewölbe im Erdgeschoss für die „Depositenbank“ abgebrochen, auch das erste Obergeschoß wurde umgebaut, – es entstand (Architekt vermutlich Wolfgang Alkier) das beliebte, aber schon 1990 geschlossene „Café Europa“. Die heute seltsam vorstehenden, inzwischen leeren Schaukastenfenster – sicher keine dem Welterbe gerechte Lösung – erinnern nur entfernt an die kleinen, blumengeschmückten balkonartigen Terrassen mit ihrem Jugendstil-Geländer, von denen man früher das Treiben in der Herrengasse beobachten konnte. Das Foto aus der Sammlung Kubinzky zeigt auch noch das nördliche Portal des Hauses Herrengasse 9, dessen Reste noch bis zum Umbau sichtbar waren, dann aber 1990 entfernt wurden.
Die Rettung des Komplexes
Seit 1932 waren Versicherungen im Besitz des Komplexes. Die Erste Allgemeine Versicherungs AG wollte dann 1972 den Kern der Gebäude Prokopigasse 8–12 und Herrengasse 7–9 abreißen lassen und moderne Neubauten errichten. Damit wäre der Grazer Altstadt eine klaffende Wunde zugefügt worden. Die von Max Mayr und der „Kleinen Zeitung“ 1972 ins Leben gerufene Aktion „Rettet die Grazer Altstadt“, hatte aber schon ihre Wirkung entfaltet, und so kam es nach einem Umdenken nicht zum Abriss, sondern zu einem beispielhaften Sanierungskonzept.
Zwölf Jahre dauerte insgesamt die Planung und Sanierung des Komplexes durch den Bauherrn, die „Erste Allgemeine“. Für die Planung zuständig war der Grazer Architekt Dipl.-Ing. Emo Meister. Während der umfangreichen Bauarbeiten, bei denen ein Objekt nach dem anderen geräumt, umgebaut und wieder besiedelt wurde, mussten die Altmieter ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen. Nach dem Umbau bot der Bereich Platz für nicht weniger als 38 Wohneinheiten und eine Vielzahl von Geschäften. 1984 wurde dem Projekt vom Verein BauKultur Steiermark die „Geramb-Rose“ (vorher: Geramb-Dankzeichen für Gutes Bauen) verliehen.
Das aus meiner Sicht Großartige an dieser Revitalisierung war die Realisierung von Querverbindungen im ganzen Komplex durch zwei Innenhöfe bis hin zur Stempfergasse.
Die Sanierung des Hauses Herrengasse 9 mit der teilweisen Rekonstruktion des wunderbaren Arkadenhofes aus dem Jahre 1572 wurde 1990 fertiggestellt.
Bei der letzten und hoffentlich bleibenden Umbenennung der Passage habe ich meine Hand im Spiel gehabt. Meine durch fünf Jahre betriebene gutachterliche Tätigkeit in der Grazer Altstadt-Kommission hat meinen Blick für Details geschärft. Und so war mir im August 2015 aufgefallen, dass beim Haus Herrengasse 7 das Geschäft und der Zugang zur Passage umgebaut wurden. Nach den ersten Ausbrüchen war klar, dass eine ältere Phase des Torbogens mit einem Schlussstein und einer Inschrift zum Vorschein kommen würde. Das sofort informierte Denkmalamt hat schnell reagiert und die weiteren Freilegungsarbeiten kontrolliert; dann wurde auch der alte Name wieder teilweise lesbar und konnte schließlich ergänzt werden.
Also: auf in den Glockenspiel-Durchgang!
Quellen:
Luschin-Ebengreuth, Häuserbuch Innere Stadt, 1928
Breitling, Altstadt 1982
Resch, Österr. Kunsttopographie 1997
Sammer, Bürgerhaus 1970
Schmölzer, archival. Vorarbeiten 1993
P.S. Die in der letzten Kolumne gestellte Frage nach dem Namen des Akkordeonspielers im Keplerkeller wurde mehrmals beantwortet, wofür ich herzlich danke. Der Name des Gesuchten war Roman Schublach. Mit Jacquelin Jourdan, der am Broadway auftretenden Frau meines amerikanischen Onkels Willy, brachte er einmal als Begleiter am Klavier im Landhauskeller für uns ein unvergessliches „La vie en rouge“ zu Gehör. Im Keplerkeller hat er auch einen Vorgänger gehabt, den Gstanzlsänger Helmut Scholler, dessen Frau das Büffet im Margaretenbad führte.