21/06/2022

Schau doch! 20

Werden wir Engelsdorf vermissen?

Die Kolumne Schau doch! von Peter Laukhardt erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

21/06/2022

Bild 1: Engelsdorf in Gefahr (Luftbild Google)

©: Peter Laukhardt

Bild 2: Engelsdorf auf der Riedkarte zum Franziszeischen Kataster von 1839 (Ausschnitt)

Bild 3: Liebenauer Hauptstraße 236, Ansicht von Süden

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Liebenauer Hauptstraße 236 von Westen

©: Peter Laukhardt

Bild 5: Liebenauer Hauptstraße 232 und 234

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Liebenauer Hauptstraße 234 mit Bildstock

©: Peter Laukhardt

Bild 7: Liebenauer Hauptstraße 238

©: Peter Laukhardt

Bild 8: Liebenauer Hauptstraße 237, Straßenansicht

©: Peter Laukhardt

Bild 9: Liebenauer Hauptstraße 237, Stadelluken

©: Peter Laukhardt

Bild 10: Liebenauer Hauptstraße 221, 223, 225, 227

©: Peter Laukhardt

Bild 11: Liebenauer Hauptstraße 221 mit Nische und überdachtem Eingang

©: Peter Laukhardt

Bild 12: Liebenauer Hauptstraße 207

©: Peter Laukhardt

Ein Hinweis in den „Baunachrichten“ hat mich einen der südlichsten Punkte der Stadt Graz aufsuchen lassen. Das alte Bauernhaus in der Liebenauer Hauptstraße 236 wird einem Neubau weichen müssen. Da in diesem Bereich noch alte bäuerliche Substanz in schon selten gewordener Dichte geschlossen vorhanden ist, soll diese Kolumne dem alten Dorf gewidmet sein, das wohl bald sein Gesicht verlieren wird. Fotos des Bestandes sollen zeigen, dass man dem Untergang alter Baukultur eigentlich nicht tatenlos zusehen sollte.

Ein wenig Geschichte: Das heutige Engelsdorf ist eine KG (Katastralgemeinde) des 7. Grazer Bezirkes Liebenau. Es wird erstmals als „Engelhartsdorf“ im „Rationarium Styriae“ von 1265 erwähnt, das im Auftrag von Böhmenkönig Ottokar II. angelegt wurde, der nach dem Aussterben der Babenberger die ungarische Herrschaft als Herzog der Steiermark beendet hatte. In diesem Urbar wurde aufgezeichnet, was die einzelnen Besitzungen des Landesherrn an Erträgnissen einbrachten. 

Die wirkliche Gründung des Dorfes – wohl durch einen Engelhart – wird im Zeitraum um 1130 angesetzt. Der schöne Gutshof in der Engelsdorfer Straße 54 gibt selbst ein schönes Zeugnis dieser Entstehungsgeschichte, obwohl nicht bewiesen ist, dass hier der Grundherr saß.

[Link: Engelsdorfer Straße 54 – Baugeschichte (grazerbe.at)]

In einer früheren Kolumne habe ich bereits über die beiden Mühlen in Engelsdorf gesprochen, die schon im Mittelalter vom heute nicht mehr bestehenden Mühlgang betrieben wurden. Hier hatten immer die Landesherren ihre Hände im Spiel. Die Entwicklung des Dorfes in der Neuzeit habe ich mir anhand der Riedkarte (Bild 2) und des Bauparzellen-Protokolls des Franziszeischen Katasters von 1839 angeschaut (beides seit kurzem online im Stmk. Landesarchiv abfragbar). Wir konzentrieren uns auf die Bauparzellen 1 bis 14, den südlichsten Dorfkern, wo die meisten Hofstätten in Gärten stehen. Die übrigen Häuser mit den Nrn. 15 bis 21 lagen – etwas weiter auseinander – weiter nördlich an der Straße. Von Nr. 22 an wurde wieder nach Süden nummeriert: bis Nr. 31 entlang der Engelsdorfer Straße, bis Nr. 36 Am Mühlgrund. Hier wohnte man in der Nähe des Grundherrn bzw. der Mühlen.

Die Orientierung ist hier relativ leicht. Engelsdorf war als Straßendorf an die Verbindung von Graz über den Hühnerberg nach Feldbach angelehnt – durch die Münzgrabenstraße im Stadtgebiet und die Liebenauer Hauptstraße im erst 1938 eingemeindeten Süden. Da die Nummerierung der Bauparzellen von den Vermessern im Süden begonnen wurde, machen wir es genauso. Nach den Nrn. 1 (Liebenauer Hauptstraße 240/242) und 2 (238), zweigte von der heutigen Liebenauer Hauptstraße nach Nr. 4 rechts der heutige Jägerweg ab. Hier reicht die zum Dorf gehörige Streifenflur (man kann gut erkennen, welcher Bauer mit geringeren Ackerflächen auskommen musste) nicht sehr weit nach Osten; der Weg diente als Zugang zu mehreren sehr großen Grundparzellen, die bis zum heutigen Autobahnzubringer reichten. Hier findet sich auch die Bezeichnung „Leber Acker“, die darauf hinweist, dass sich hier Hügelgräber der Vorgeschichte oder Römerzeit befunden haben müssen. Es ist wohl nicht ganz ungerechtfertigt, in diesem Bereich eine römerzeitliche Villa rustica zu vermuten. 

Nach Bauparzelle Nr. 3 ging nach Osten in spitzen Winkel die Engelsdorfer Straße ab; die Schräglage des nun bald nicht mehr bestehenden Bauernhofes Liebenauer Hauptstraße 236 deutet noch heute den ursprünglichen Verlauf an. Heute befindet sich diese Kreuzung – etwas weniger spitz – nach Nr. 7 (Hauptstraße 232). 

Dieses nun vor dem Abriss stehende, einfache Anwesen, besteht aus einem eingeschossigen Wohnhaus mit Weinlaube an der Gartenfront, einem Wirtschaftsgebäude mit Dachhäuschen an der Straße, einer Tenne und einem gemauerten Stöckl im Garten. Es wird vermutlich – einzeln gesehen – nicht von Vielen vermisst werden, aber es wird ein Ensemble von interessanten bäuerlichen Gebäuden zerrissen werden. Es ist kaum nicht zu erwarten, dass der künftige Bauherr darauf Rücksicht nimmt. Die Stadtplanung hat leider für derartige Straßendörfer keinerlei Verständnis.

Die mögliche Bebauungs-Dichte ist zwar mit 0,3 bis 0,6 relativ moderat, aber das Räumliche Leitbild 1.0 hat auch hier die unsinnige Kategorie Straßenrandbebauung verordnet; das heißt, geschlossene oder gekuppelte Bauweise, um die dahinter liegenden Wohnbereiche zu schützen. Den zynisch gemeinten Begriff „bewohnbare Lärmschutzwände“ könnte man auch hier anwenden. Aber wie auch in anderen so geplanten Straßenzügen ist von einer derartigen Bebauung auch hier ohnehin noch nichts zu sehen.  

Meines Erachtens könnten die Altbauten ruhig an der Straße stehen bleiben, und für dahinter errichtete Wohnbauten einerseits Schutz, andererseits Funktionen von gemeinschaftlichem Nutzen bieten. Es gibt derartige Beispiele in der Gradnerstraße in Straßgang (Altstadt-Schutzzone!). In Bebauungsplänen könnte dann eine Neuberechnung der Dichte zu einem verträglichen Raster führen; solche Pläne erlauben nämlich auch, Versiegelungsbeschränkungen zu verordnen (derzeit allgemein von der Stadtplanung nicht gewagte Versiegelungs-Beschränkung durchzusetzen). 

Sollte wirklich einmal eine Straßenbahn zu Magna nach Thondorf fahren – ich sähe ja die Wiedergeburt der ehemaligen O-Bus-Linie lieber – könnte man sich so abschnittsweise in das Dorf zurückversetzt fühlen. 

Wie Bild 1 zeigt, ist aber zu befürchten, dass über kurz oder lang vom einstigen Dorfkern an der Hauptstraße nur vier Bauernhäuser übrig bleiben werden. Das diese teilweise großartig gepflegte Komplexe sind, ist ein Trost. 

Das Ensemble auf Nr. 234 ist mit seinem stilecht restaurierten Wohnhaus (lt. Inschrift 1839 erbaut, Bild 5), dem Fassadenschmuck, dem Bildstock (dem hl. Augustinus gewidmet, Bild 6) und dem großen prachtvollen Wirtschaftstrakt, ein Schmuckstück der Liebenauer Hauptstraße, zu dem man dem Bezirk gratulieren muss. Hier hat weder der Denkmalschutz, noch die Altstadt-Kommission Auflagen verordnen können, es hat sich hier einfach der gute Geschmack und der Stolz der Eigentümer durchgesetzt; oder waren doch „übergeordnete“ Kräfte der Stadt am Werk? Die durchsichtige Lärmschutzwand an der Straßenfront könnte darauf hindeuten.

Dieses Anwesen ist das schöne Beispiel eines heute noch funktionierenden landwirtschaftlichen Unternehmertums. Wohnhaus (lt. Inschrift 1801 erbaut) und Wirtschaftsgebäude wurden fachkundig restauriert und zeugen eindrucksvoll vom Bekenntnis zum historisch gewachsenen Stil.

Fraglich ist der Erhalt der folgenden Objekte, deren Bewahrung ganz sicher das einzigartige Bild von Engelsdorf abrunden könnte.

Die östliche Seite der Hauptstraße weist noch immer vier der fünf Häuser auf, die auf der Riedkarte von 1839 eingezeichnet sind. Nr. 227 (lt. Inschrift 1849 erneuert, Bild 10) dürfte nicht gefährdet sein, die anderen scheinen – trotz einiger schmückender Elemente, wie der zwei Figurennischen oder des Vorbaus (Bild 11), auf ihr Ende zu warten. Leider war es mir zeitlich nicht möglich, konkrete Angaben zu diesen Fragen zu erhalten.

Etwas weiter nördlich befindet sich eine Baugruppe, die auch ihren bäuerlichen Ursprung nicht verleugnen kann, es ist Liebenauer Hauptstraße 207 (Bild 12). Auch hier scheint man in Wartestellung zu sein. 

Schlussfolgerung: Wenn sich niemand der Reste alter bäuerlicher Baukultur annimmt, wird man die Gebäude unserer landwirtschaftlichen Vorfahren bald nur mehr in Freilichtmuseen bewundern können. Geht der Verlust in diesem Tempo weiter, werden sich Denkmal- und Ortsbildschutz bald fragen müssen, warum sie die Zeichen der Zeit nicht rechtzeitig erkannt haben – besonders im Weichbild der Stadt Graz.

Gerd Herud

Bei meinen Recherchen für mein Buch Liebenau einst und jetzt kam ich auch bei der Baustelle Liebenauer Hauptstraße Nr.236 vorbei.
Ein großes Schild hatte folgenden Inhalt:
"Für diesen Bau wird vom Land Steiermark eine Wohnbauförderung gewährt"
https://gis.stmk.gv.at/wgportal/atlasmobile/map/Basiskarten/Kataster
Dienst: Vulgonamen
Für das Haus LH Nr. 236 wird "Kutscherhans" als Vulgonamen ausgewiesen.
Hat Tradition und Geschichte in der Steiermark keinen Stellenwert???
Häuser Liebenauer Hauptstraße 221, vulgo Großschneider und Haus Nr.223
warten auch schon auf die Spitzhacke, bei Nr.225, vulgo Mühlhans ist es wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis der dörfliche Charakter gänzlich verschwunden ist. Ist das wirklich notwendig?! Nr.227, vulgo Krispel wird wohl noch überleben.
Gerd Herud

Do. 27/04/2023 23:30 Permalink
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