Zur Erweiterung der Dauerausstellung 360 GRAZ
Eine Geschichte der Stadt im GrazMuseum
Wie manifestierte sich Grazer Bürgerlichkeit? Wie hat Graz zur jeweiligen Zeit ausgesehen? Wie sind die jeweils Mächtigen mit den „Fremden“ umgegangen? Wie ging es den Geschlechtern miteinander?
Vier Fragen stellt 360 Graz – Eine Geschichte der Stadt, die Dauerausstellung des GrazMuseums, an 1000 Jahre Stadtgeschichte. Nun wurde das vorläufig letzte Kapitel hinzugefügt: Von der Nachkriegszeit in Graz bis zum Jahr der Kunsthauptstadt 2003.
Das Konzept, assoziativ und im selbstbestimmten Schlendergang durch die Exponate zu streunen, wurde beibehalten. Der Besucher entscheidet sich, aus einem Bouquet von Blickwinkeln frei zu wählen; so die Absicht und Hoffnung der Ausstellungsmacher. In Summe sind nun für alle Epochen 160 signifikante Objekte ausgewählt: Solitäre, für sich selbst stehende Exponate, ins Rampenlicht geholt. Die Verknüpfung, die Verbindung untereinander bleiben bewusst ohne Beschreibung. Überlieferung wird von Lücken begleitet, manche Rückkehr ins Vergangene führt ins Fehlerhafte oder ist zu einem späteren Zeitpunkt einer Revision unterworfen. Um diese Konflikte, die wohl jede museale Ausstellung in sich birgt, sichtbar zu machen, stehen zehn weiße, leere Rahmen für Themen, zu denen sich keine schlüssigen Objekte finden ließen.
360 Graz setzt sich zum Ziel, Symbole und Artefakte zu finden, die nicht nur Vergangenheit bedeuten, sondern auch aktuelle gesellschaftspolitische Positionen und Wechselwirkungen konterkarieren. Das GrazMuseum sieht seine permanente Schau als einen „vielfach gebrochenen Spiegel“, in dem jeder Besucher und jede Besucherin mit seiner eigenen Erinnerung konfrontiert werden soll, vom reinen Betrachter zum Zeitzeugen sich wandelt.
Fünfunddreißig nun neu hinzugekommene Ausstellungsstücke geben auf sehr breiter Ebene jedem eine Chance, sich seine eigene Vergangenheitsmatrix zu erstellen. Dabei fasziniert immer wieder, wie einstmals Triviales später zu einem zeitlosen, aussagekräftigen Teil der Geschichte werden kann.
Der Overall vom einzigen posthumen Weltmeister in der Formel-1 Ära, dem 1970 verunglückten Jochen Rindt, verklärt sich zu einer Welt fernab von penibler Reglementierung und Ultratechnisierung.
In einer Fotografie von 1964 des Grazer Fotografen Werner Amsüss ist einer, für seine späteren Konturen noch sehr zarter, junger Arnold Schwarzenegger in angespannter Bizeps-Muskel-Pose zu sehen. An den Blicken der beiden vor ihm sitzenden, weiblichen Teenager mit der typischen Pony-Frisur, amüsiert die – vielleicht nur aufgesetzte? – Langeweile, die darin zu entdecken ist. Nur Rollenspiel? Oder doch schon Emanzipation?
Die Terrassenhaussiedlung. Ist die Metapher? Role model? Menetekel? Wo werden die gigantischen Vorhaben rund um die Reininghausgründe in vierzig Jahren eingeordnet werden?
Warum konnte sich in den 1970ern eine breit aufgestellte Bürgerinitiative bilden, die die Verantwortlichen dazu zwang, den bereits geplanten Trassenbau der Pyhrnautobahn durch Graz wieder abzublasen? Wo sind heute die Aktivisten, die anstatt weinerliche Emoticons auf Facebook zu setzen, wieder laut und deutlich auf der Straße einer Stadtregierung zeigen, dass sie historische Bausubstanz gegenüber Immobilieninteressen zu schützen hat?
Die Suche nach dem Wesen der Stadt kann als ein Fundament von 360 Graz gesehen werden. Diese Suche muss sich immer wieder mit dem Sakrosankten messen und wird meistens polarisieren – wie das Duell von Markus Wilflings Uhrturm Schatten, der 2003 das Original am Schlossberg herausforderte.
Heute fristet, bald nach Ende des Kulturhauptstadtjahrs rasch von der Stadt Graz verkauft und delogiert, eine der gelungensten Installationen ihr Dasein als Litfasssäule für die jeweiligen Bedürfnisse des Einkaufszentrums in Seiersberg. Auch das ist Geschichte. Wenigstens das Modell dazu ist noch im GrazMuseum zu sehen.
360 GRAZ I Eine Geschichte der Stadt
KuratorInnen: Otto Hochreiter, Annette Rainer, Martina Zerovnik
Projektleitung: Sibylle Dienesch
Gestaltung: MVD Austria
Wissenschaftliche Mitarbeit: Wolfram Dornik, Katharina Mracek-Gabalier, Franz Leitgeb