Die Lehrveranstaltung Raumplanung im Bachelorstudium Bauplanung und Bauwirtschaft an der FH Joanneum in Graz stand anlässlich des 30-Jahr-Jubliläums von Hermann Knoflachers Werk Verkehrsplanung für den Menschen im Sommersemester 2017 unter dem Schwerpunkt Mobilität & Verkehr. Die Studiereden analysierten 16 in- und ausländische Planungsprojekte auf ihre Verkehrsinputs und erstellten Empfehlungen zu deren verstärkter Zukunftsfähigkeit. Vier Beispiele aus dem Grazer Raum werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Regionales Verkehrskonzept Graz – Graz Umgebung (RVK G-GU) offenbart Widersprüche zwischen Verkehrszielen und Finanzmittelzuteilungen für Bauprojekte
LEONHARD STEINBAUER legt in seinem Fachartikel Regionales Verkehrskonzept Graz - Graz Umgebung mit Schwerpunkt Radverkehr die konzeptinternen Widersprüche bei der nachhaltigen Ausrichtung des Verkehrs dar. Wenngleich das RVK G-GU auf eine Reduktion des motorisierten Verkehrsaufkommens abzielt und darauf verweist, dass in der verkehrspolitischen Leitlinie der Stadt Graz eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen motorisiertem Individualverkehr (MIV) und Umweltverbund (Öffentlicher Personennahverkehr/ÖPNV, Fahrrad- & FußgängerInnenverkehr) von 45: 55 auf 40:60 festgelegt ist, fehlen konkrete Vorschläge zur Forcierung des Radfahrverkehrs, wie die Konzeption eines alltagstauglichen, durchgängigen Fahrradnetzes, Maßnahmen zum erleichterten Umstieg vom Fahrrad auf den ÖPNV oder zumindest die Nennung des erforderlichen Finanzmittelbedarfs. Im Gegensatz dazu werden trotz der als ausreichend angesehenen Angebote im MIV für diesen hochdotierte Straßenausbauprojekte, wie der zwei km „kurze“ Ausbau des Süd-Gürtels mit 128,50 Mio. € und die Umfahrung Hausmannstätten mit über 50 Mio €, genannt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Graz beim aktuellen Greenpeace Verkehrsranking der Landeshauptstädte den letzten Platz belegt. Steinbauer empfiehlt neben einem dichteren, attraktiven Fahrradnetz mehr Begegnungszonen, eine Benachrangung des MIV durch schmälere Fahrspuren sowie eine CO2-Steuer.
Stadtteilentwicklung Graz – Bahnhofsviertel: Breite Straßen und fehlende Radwege als Problem, externe Prüfung von Straßenbauvorhaben empfehlenswert
PETER SONNBICHLER beschäftigt sich in seiner Arbeit Stadtteilentwicklung Graz – Bahnhofsviertel mit der Stadtteilentwicklungsplanung des Architekturbüros Zechner & Zechner, welche das Gebiet von der FH Joanneum im Westen bis zum Esperantoplatz im Osten umfasst. Grundsätzlich positiv werden die neuen Fußgänger- und Fahrradverbindung zwischen Hauptbahnhof und Fachhochschule Joanneum, die urbanen Zentrumsplanungen um den Hauptbahnhof sowie die teilweise autofreie Konzeption des Wohnparks West (an der Eggenbergerstraße) gesehen. Die auf Kosten bestehender Betriebe konzeptionierte, boulevardartige Straßenverbreiterung der Eggenbergerstraße sieht Sonnbichler kritisch, vor allem, da diese keinen eigenen Fahrradfahrstreifen beinhaltet und die Kreuzung Eggenbergergürtel/ Bahnhofgürtel–Eggenbergerstraße/Annenstraße nicht berücksichtigt. Er verweist alternativ zur Straßenverbreiterung auf das aktuell vorhandene Raumpotenzial durch überbreite Kfz-Fahrspuren. Bei der Aufwertung der Annenstraße durch deren Umfunktionierung zu einer Einbahnstraße wird ebenfalls das Fehlen von klar definierten Radwegen bemängelt. Im Sinne eines sparsamen und effizienten Umgangs mit öffentlichen Mitteln sollten Straßenplanungen bzw. die diesen zugrundeliegenden Ausschreibungen zukünftig von Vornherein von externer Stelle (z.B. dem VCÖ) und unter Mitwirkung der AnrainerInnen auf ihre Zukunftstauglichkeit geprüft werden.
Bebauungsplan Liebenauer Hauptstraße – Engelsdorfer Straße: Kurze Wege primär für den motorisierten Verkehr?
PATRICK PELZMANN prüft in seinem Fachartikel Die Rolle der Bebauungsplanung für eine 'Stadt der kurzen Wege', analysiert am Beispiel Liebenauer Hauptstraße – Engelsdorfer Straße in Graz unter zusätzlicher Berücksichtigung des geplanten Grünraums, inwiefern sich die seitens der Stadt Graz verfolgte Intention der Stadt der kurzen Wege auch in der Bebauungsplanung wiederfindet. Die öffentlichen Geh- und Radwege an den nördlichen und östlichen Grundstücksgrenzen des Planungsgebietes weisen in die richtige Richtung, sind aber für die fahrradmäßige Gesamtgebietserschließung zu umständlich und nicht ausreichend. Insbesondere fehlt eine Direktverbindung zwischen Engelsdorferstraße und Liebenauer Hauptstraße, auch eine Anbindung an die Konrad-Hopferwieser-Gasse wäre anzudenken. Andererseits sind teilweise unnötige Doppelerschließungen zu den angrenzenden Wohnblöcken vorgesehen. Erforderlich wäre weiters die Anbindung der Radwege an das bestehende Radwegenetz (Murradweg im Westen sowie Murpark im Nordosten). Im Unterschied zum Fahrradverkehr stehen dem motorisierten Verkehr von allen angrenzenden Straßen direkte Verbindungen in das Bebauungsplangebiet und neben Tiefgaragen auch hochwertige siedlungsinterne Freiflächen als Kfz-Parkplätze zur Verfügung. Problematisch sieht Pelzmann zudem die fehlende Darstellung des siedlungsinternen Wegenetzes, wodurch ein falscher Eindruck vom Ausmaß und der Nutzbarkeit der Grünflächen entsteht.
Banngrabenweg in Graz ganzjährig zugänglich halten und für barrierefreie Anbindung an Umgebung sorgen
Auch AARON SCHRAMMEL geht in seiner Arbeit Die Bedeutung von Uferwegen für eine 'Stadt der kurzen Wege' am Beispiel des Banngrabenweges in Graz einer effizienten Erschließungsstruktur für FußgängerInnen und RadfahrerInnen nach und wählt dafür ein konkretes Beispiel aus dem Wasserbau. Der im Zuge der Hochwasserschutzmaßnahmen am Petersbach neu angelegte Banngrabenweg weist eine hohe städtebauliche Bedeutung als direkte, naturnahe Verbindung vom Südosten ins Ortszentrum von St. Peter auf. Öffentliche Sitzmöglichkeiten und Trinkwasserstellen wirken zusätzlich attraktivitätssteigernd. Der Weg ist bei der Bevölkerung sehr beliebt, umso größer ist das Unverständnis über seine winterliche Sperre. Diese erfolgt selbst dann, wenn keine winterlichen Verhältnisse vorliegen. Der Weg wird zwar aufgrund seiner Bedeutung trotz Sperre weiter begangen, für Kinder und ältere Personen kann dies aber sehr gefährlich werden. Ausfahrten mit gehbehinderten Menschen im Rollstuhl und Radfahren sind dann nicht mehr möglich. Auch die aktuelle Einschränkung der barrierefreien Querungsmöglichkeit zur Dr. Pfaff-Gasse wird bemängelt. Schrammel empfiehlt dringend, für diesen wichtigen Geh- und Radweg einen laufenden Winterdienst einzurichten. Bei der Anlage zukünftiger Uferwege legt er die Verwendung versickerungsfähiger Beläge anstatt von Beton nahe.
Zukunftsfähige Verkehrsausrichtung als Herausforderung
Die Fachartikel der Studierenden zeigen, dass der motorisierte Individualverkehr (MIV) in Graz noch immer vorrangig behandelt wird. Das äußert sich insbesondere in den Finanzzuwendungen, aber auch in den Räumen, die diesem zur Verfügung gestellt werden. Demgegenüber besteht insbesondere bei der Infrastruktur für bewegungsaktive Mobilität (zu Fuß gehen, Radfahren, Skaten,…) großer Aufholbedarf. Um die Straßenräume wieder für Menschen attraktiv zu machen und den Erfordernissen des Klimawandels Rechnung zu tragen, sind zudem verstärkt Alleebaumpflanzungen und die Verwendung versickerungsfähiger Beläge erforderlich.
Österreichweit hoher Flächenverbrauch und Grenzwertüberschreitungen durch motorisierten Verkehr
Die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) zeigt in ihrem aktuellen Raumordnungsbericht, dass der Verkehr in Österreich den höchsten Flächenverbrauch aufweist und die Hauptverantwortung für die Versiegelung trägt. Die planerischen und politischen Konsequenzen daraus lassen aber weitgehend auf sich warten. Nach wie vor werden jährlich Millionen für Straßenneu- und -ausbauten ausgegeben, oftmals auch in Gebieten, die derzeit bereits Grenzwertüberschreitungen von verkehrsbedingtem Lärm und Luftschadstoffen aufweisen.
Ursachenvermeidung statt Symptomreduktion als Herausforderung
Es ist daher höchste Zeit, dass die Raumplanung von einer symptomreduzierenden (Schallschutzwände neben Bauland) zu einer ursachenvermeidenden Planung (Reduktion des motorisierten Verkehrsaufkommens als Aufschließungserfordernis) übergeht. Verkehr ist kein Naturphänomen sondern wird planerisch und politisch gesteuert. Mit den Worten der beiden kanadischen Verkehrsökonomen Gilles Duranton und Matthew A. Turner heißt das: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“
Notwendigkeit von demokratischen Entscheidungsstrukturen und Planungstransparenz
Das hohe Ausmaß der in den Straßenbau fließenden öffentlichen Gelder erfordert eine verstärkte Demokratisierung der Verkehrsplanung. Die derzeit vielfach bürokratisch geprägte Entscheidungspraxis, die sich an Scheinnotwendigkeiten und Nichtmöglichkeiten orientiert, hat einer sachlichen, transparenten Entscheidungsfindung Platz zu machen. Die Politik muss klare Ziele vorgeben, die gesetzliche und administrative Basis zur Zielerreichung schaffen, sich für einen geeigneten Maßnahmenmix entscheiden und diesen regelmäßig evaluieren lassen. Eine möglichst breite Einbindung der Bevölkerung in diesen Prozess ist anzustreben.