22/03/2021

MINUS – Realität versus Wettbewerb

Unattraktive Erdgeschoßzonen im Quartier OST. – Wohnen am Stadttor in Graz-Liebenau

City Gate, Graz (so hieß das Projekt beim Wettbewerb)nördlich des Liebenauer Stadions – sollte ein Tor in die Stadt werden.

Das geladene Verfahren haben Scherr + Fürnschuss Architekten mit Arch. Freiszmuth und DI Waltraud Körndl, Landschaftsplanung, gewonnen.

Die gebaute Realität sieht anders aus. Die VENTAgroup und der Totalunternehmer PORR hatten Anderes vor.

.

Kommentar von Elisabeth Kabelis-Lechner

22/03/2021

Platzgestaltung, Ansicht Süd-West

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Erdgeschoßzone, Ansicht mit Spiegelung des Liebenauer Stadions

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Erdgeschoßzone, Ansicht Süd-Ost

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ansicht von der Conrad-von-Hötzendorf-Straße

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Quartierpark (!)

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Nachbarschafts-Grün

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Ergeschoßwohnungen mit Gärten

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Private Einfriedungen vor Schlafraum und Küche

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Citygate (so hieß das Projekt beim Wettbewerb, s. unten) oder Ost. Wohnen am Stadttor wurde seit Projektstart mit großen Vorschusslorbeeren versehen. In der Projektbroschüre, die sich auf der Homepage des Projektentwicklers VENTA REAL ESTATE GROUP findet, tummeln sich (Eigen)Lob und diverse Superlative. Ein „einzigartiges Projekt, ein architektonische Meisterwerk“  wird versprochen. Die gebaute Realität präsentiert sich durchschnittlich bis ziemlich enttäuschend, vor allem was die Qualität der Erdgeschoßzonen betrifft. Ausschließlich um diese geht es in diesem Kommentar.
Dabei mangelte es bei diesem Projekt nicht an qualitätsichernden Planungsmaßnahmen. Es gab im Vorfeld Bebauungsstudien von zwei Architekturbüros (Architektur Consult und Architekt Klaus Kada) sowie einen Bebauungsplan, der auf der Studie von Architekt Kada aufbaute. Im Anschluss lobte der Liegenschaftseigentümer, die Ulrich Lichtensteingasse 8 GmbH & Co K, einen geladenen zweistufigen Architekturwettbewerb nach Grazer Modell mit 7 TeilnehmerInnen aus. Ziel des Verfahrens war die Ausarbeitung eines Entwurfkonzepts für ein Wohn-, Büro- und Geschäftsgebäude mit Studentenheim und Platzgestaltung. Für die Nutzung des Erdgeschoßes waren ca. 4000m2 Handelsflächen vorzusehen. Neben einem Lebensmittelmarkt sollten auch kleinere Handelsflächen untergebracht werden.
Das Architekturbüro Scherr und Fürnschuss gewann in Zusmammenarbeit mit Architekt Freiszmuth und DI Waltraud Körndl – diese waren für die Platzgestaltung verantwortlich – den Wettbewerb und wurde auch mit der Planung beauftragt, allerdings nicht vom Auslober, der Ulrich Lichtensteingasse 8 GmbH & Co KG, ein Zusammenschluss von VENTA Real Estate Group und der 6B47 Real Estate Investors AG, sondern vom Totalunternehmer Porr (!), wie mir Architekt Fürnschuss in einem Gespräch mitteilte.
Auf meine Frage, warum der versprochene Quartierpark nicht realisiert wurde und die Außenanlagen auf Ebene+1 derart qualitätslos ausgeführt sind, verwies der Architekt auf die dafür verantwortliche VENTA. „Die Durchsetzung von Wettbewerbsqualität zeichnet VENTA nicht aus“. Meiner Kritik an den unpassenden EG-Gärten bei einer Dichte von 2,75 setzt er entgegen, dass der Bauherr diese unbedingt wollte, weil sich diese „Gartenwohnungen“ besonders gut verkaufen. In der VENTA-Broschüre (s. Download) ist dazu zu lesen: „Zu den Wohnungen im Gartengeschoß gehört ein Privatgarten, der Ihnen die Vorteile des Landlebens in die Stadt holt“. Architekt Fürnschuss selbst spricht sich entschieden gegen EG-Gärten im urbanen Raum aus, da diese auf Kosten der Allgemeinflächen gehen.
Der Kritik an der offenen EG-Parkgarage entgegnet der Architekt, dass ursprünglich kein offenes Parken für PKWs im Erdgeschoß geplant war. Es waren Handel-und Dienstleitungsflächen und eine attraktive Durchwegung des Areals mit einem Spielplatz vorgesehen. Die VENTA hat letztlich das EG-Parken für den Großmieter durchgesetzt.

Die Marketingleiter von VENTA konfrontierte ich mit der offensichtlichen Diskrepanz zwischen dem, was VENTA in den Broschüren an Superlativen verspricht und der gebauten Realität. Die verblüffende Antwort: „Na so schlimm ist es nicht, das ist bei allen großen Wohnprojekten so“. „Der versprochene Quartierpark komme sicher nicht mehr, da ja die EG-Gärten viel Platz beanspruchen“. Ihrer Meinung nach profitieren die EG-Wohnungen mehr von einem Privatgarten als von Gemeinschaftsflächen, es werden auch keine siedlungsöffentlichen Sitzbänke aufgestellt.

Nachfrage von mir: wo findet Kinderspiel und nachbarschaftliches Leben dann statt? Antwort VENTA-Marketing: „Das kann ja dann am öffentlichen Platz stattfinden!“ Wo erkennt man die Einzigartigkeit dieses Projektes? Antwort VENTA-Marketing: „Das ist das einzige Großprojekt auf der richtigen Murseite“. Nachfrage: sagten Sie gerade auf der richtigen Murseite?  Marketingleiterin VENTA: “Ich meinte die linke Murseite, aber man hat halt noch immer so seine Vorbehalte. Auch die gute Infrastruktur mit der ÖV- Anbindung, die Nähe zur Autobahn und dem Murpark machen das Projekt einzigartig.“ Nicht das Gebäude sondern die örtlichen Gegebenheiten würden das sogenannte Einzigartige darstellen.

Schlussfolgerung: Eine vielfältige, lebendige EG-Sockelzone mit Durchwegung des Quartiers war eine der Aufgabenstellungen des Architekturwettbewerbes, die das Siegerprojekt erfüllte. Vom Bauträger wurde das Wettbewerbsprojekt jedoch stark abgeändert. Statt einer Vielzahl an Handels-und Dienstleistungsflächen mit Durchwegung gibt es nun einen 2000m2 großen Supermarkt und großflächiges, offenes Parken für diesen.
Der Quartierpark mit dem geforderten Spielplatz für die Wohnungen auf Ebene +1 wurde wegrationalisiert, mit dem Resultat, dass die zum unattraktiven Abstandsgrün degradierten Flächen nun, wie die vielfach hinterlassenen Exkremente bezeugen, missbräuchlich als Hundewiese verwendet wird. BewohnerInnen der Gartenwohnungen verbarrikadieren sich mit Behelfen aus dem Baumarkt gegen die ungewollte Einsehbarkeit. Es entsteht eine sehr unschöne Optik. Der Marketingschmäh von VENTA, dass mit dem Angebot an Gartenwohnungen „die Vorteile des Landlebens in die Stadt geholt werden“, erweist sich als totaler Unsinn. Hier ging es wohl eher darum, mit dem Verkauf von Gartenwohnungen höheren Gewinn zu machen, zu Lasten des Erscheinungsbildes und der Nachbarschaft.
Dass die Architekten nicht vom auslobenden Bauträger sondern von dem später hinzugekommenen Totalunternehmer beauftragt wurden ist eigentlich ein Skandal und schwächte die Position der Architekten und vermutlich auch deren Honorar. Die VENTA-Verantwortlichen wurden um Stellungnahme gebeten, eine in Aussicht gestellte Videokonferenz ohne Ersatztermin abgesagt.

Bei diesem Projekt wird wieder einmal besonders deutlich, dass mit Architekturwettbewerben nicht automatisch Baukultur entsteht. Projektentwickler und Investoren, die keine Partnerschaft mit Architekten auf Augenhöhe eingehen, sondern diese dem Totalunternehmer als Subunternehmer unterordnen, haben offensichtlich nicht das notwendige Interesse und Engagement an einer qualitätsvollen Umsetzung von Wettbewerbsergebnissen. Es reicht nicht, bloß von Architekturqualität und Urbanität zu reden und darüber in Verkaufsbroschüren zu schreiben. Man muss diese auch bauen.

Thomas Pucher

Liebe Elisabeth Kabelis-Lechner,
vielen dank für den bericht. Ich denke es würde helfen wenn wir zur kenntnis nehmen würden dass es sich bei gebäuden wie diesen nicht um städtebau oder architektur sondern um ein business handelt. Ein geschäftsmodell, dessen einziger zweck darin liegt € gewinn zu erzielen. Gegenüber der stadt, den architekten, der bevölkerung wird noch mit schönen worten "mitgespielt", beim wettbewerb, beim fachbeirat, bei der politik. Solange bis die baugenehmigung erteilt wird. Danach fallen dann die letzten hüllen und jegliche scham. Das ergebnis ist zynisch und unwürdig.
Es ist mir dennoch wichtig zu erwähnen dass nicht alle bauträger so arbeiten, wir haben auch sehr viel positive erfahrung gemacht.
Um das schlimmste zu vermeiden würden wir aber eine striktere begleitung der projekte über die baugenehmigung hinaus benötigen und eine benützungsbewilligung nur erteilen wenn alle auflagen aus wettbewerb oder fachbeirat auch eingehalten wurden. Das festzuschreiben muss sich letztlich die politik (zu)trauen. Ich denke die angst davor ist unbegründet denn die bevölkerung weiß eine höhere qualität ihres lebensraumes sehr wohl zu schätzen und würde mit sicherheit dahinterstehen.

Di. 23/03/2021 11:45 Permalink
alter Langzeit-Beobachter

Antwort auf von Thomas Pucher

Schon die Baugenehmigung darf nur dann erteilt werden, wenn alle qualitätsbildenden Grundzüge des Projekts, das die Fachjury ja genau deshalb zum "Sieger" eines Wettbewerbs gemacht hat, in der Einreichung zur Baugenehmigung noch enthalten sind. Dabei spreche ich nicht von Fassaden (die in einem Rendering verschönert dargestellt werden können) sondern von essentiellen Qualitäten, etwa wie EG-Zonen genützt werden, wie Freiräume gestaltet werden, ob Gemeinschaftsräume erhalten bleiben, Müllräume nicht ungeschützt ins Freie wandern ect. EG-Wohnungen mit Schlafräumen haben in so einer engen Nachbarschaft, mit so wenig Abstand von den Nachbarn und Passanten, sowieso nichts zu suchen, sie dürften meiner Meinung nach gar nicht genehmigt werden, weil das eine grawierende Einschränkung privaten Lebens bedeutet. Privatgärten für einige wenige übrigens auch nicht. Schweizer Gäste bei meinen Architekturtouren sind immer erstaunt und zugleich entsetzt, wenn ich ihnen den Wohnungsbau in der Laimburggasse zeige, wo zugunsten einiger weniger, die große private, eingezäunte Gartenflächen ihr eigen nennen können, sogar auf den obligatorischen Spielplatz verzichtet werden durfte. Man schaue sich einmal die Gestaltung der für alle Hausbewohner:innen verbliebenen Restgrünfläche an. In Zürich sei eine derartige EG-Verbauung mit Wohnungen nicht genehmigungsfähig, erklärte man mir. Also gesetzlich vorgegeben ....

Di. 23/03/2021 4:05 Permalink
Steinegger

Bravo, E. Lechner!
Langsam scheint ja der Diskurs zu Urbanität
auch im rektionären Graz in Gang zu kommen....
Besser 50Jahre zu spät als gar nicht.

Mo. 22/03/2021 11:33 Permalink
Liebeskind

Ich möchte mich bei Ihnen für Ihren Betrag bedanken !
Sie sprechen nicht nur mir, sondern mit Sicherheit auch vielen anderen Bewohnern der Stadt Graz mit Ihrer Projektanalyse aus der Seele.
Wie kann die Stadt Graz derartige Ausführungen von Bauträgerprojekten zulassen ? Die Antwort kann leider nur "Korruption" aus den Reihen der für die Stadtentwicklung verantwortlichen ÖVP lauten (= Politbüro Nagl).
Eine unabhängige Überprüfung wurde hier mit Sicherheit einige äußerst interessante Verbindungen zu Tage fördern.
Beispiele:
Venta = GF Schützenschofer (Verwandtschaft Landeshauptmann)
Immola = GF Lampersberger (ehemaliger Baureferent der Stadt Graz)
C&P = Wohnungen als reine Kapitalanlage
Es geht hier schon lange nicht mehr um "Wohnraumschaffung oder Bauqualität", sondern um reine Profitgier. Daher müsste dringend verhindert werden, dass Baukonzerne bei Wohnbauprojekten als Totalunternehmer auftreten. Auf die Bedürfnisse der Menschen (Bewohner) wird kein Wert gelegt und die Stadt verliert mit jedem neuen Projekt an Lebensqualität.
"Architektur muss viel stärker vom Nutzer ausgehen, dem, der darin lebt, und nicht dem, der damit spekuliert und reich wird"
Zitat Daniel Liebeskind.

Di. 30/03/2021 9:42 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+