21/08/2024

Der Autor beleuchtet die Ausstellung „Holzbau Architektur mit MENSCH.ORT.HAUS.VERSTAND“ im Kunsthaus Mürz aus unterschiedlichen Blickwinkeln: einmal aus der Sicht eines gelernten Zimmermanns, andererseits als Wissenschaftler, der inzwischen hauptberuflich Lehrender im Masterstudiengang Architektur an der FH Joanneum ist. „In den drei Wohnbaubeispielen (Neues im Dorfzentrum Teufenbach, Inhauser Salzburg und Ortszentrum Stanz) wird sehr deutlich herausgearbeitet, welche Qualitäten sich im verdichteten Wohnbau gerade aus gesellschaftlicher und baukultureller Sicht erzeugen lassen... Neben dem Entstehungsprozess, der durch die Bedürfnisse der Gemeinde gelenkt wurde, ist das Objekt (Teufenbach) aus meiner Sicht ein besonderes Beispiel für Baukultur", fasst er eine seiner Beobachtungen zusammen.
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Die Ausstellung läuft noch bis 22. September 2024, bei freiem Eintritt, Kunsthaus Mürz, Mürzzuschlag.

21/08/2024

Holzpräsenz im Ausstellungsraum

©: Tim Wakonig-Lüking

Modelle von Studierenden Projekten

©: Tim Wakonig-Lüking

Multimediale Ausstellung mit Texten, Plänen, Fotografien, Modellen und Videos

©: Tim Wakonig-Lüking

Fragestellungen zu übergeordneten Themen

©: Tim Wakonig-Lüking

Fassadenmuster und Skizzen

©: Tim Wakonig-Lüking

Ausstellungssystem, das den zukünftigen Anforderungen an den Holzbau entspricht: leichte Demontierbarkeit und Wiederverwendbarkeit.

©: Tim Wakonig-Lüking

Derzeit findet im Kunsthaus Mürz die Ausstellung „Holzbau Architektur mit MENSCH.ORT.HAUS.VERSTAND“ statt. Laut Presseaussendung ist das Ziel der Kuratoren Eva Hierzer (NOW Architektur) und Tom Kaden (Professur für Architektur und Holzbau, TU Graz), einen umfassenden Blick auf die zeitgenössischen Herausforderungen in der Architektur zu bieten. Das ist ein dickes Brett, das gebohrt werden soll, neben Nachhaltigkeitsfaktoren aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie und soziale Aspekte auch Entwurfs-bestimmende Prozesse bis zur Konstruktion herauszuarbeiten. Als gelernter Zimmermann hat mich an der Ankündigung besonders getriggert, dass der Einfluss von Zimmermannshandwerk und Holzingenieurbau auf die Gestaltung der Häuser beleuchtet werden soll. Das sollte bei diesen Kurator:innen interessant sein.

Die Ausstellung hält das Versprechen. Es ist alles da; allerdings – zumindest in meiner Wahrnehmung – nicht sämtliche Informationen für jedes der acht Projekte. Aber seien wir ehrlich: Das ist auch kaum zu machen. Man sollte sich bewußt machen, auf welchem Wissensniveau der Einstieg passiert. Das Kunsthaus Mürz ist nicht das Az W. Die Mehrheit der Besuchenden sind sicherlich Menschen ohne spezifischen Bau-Hintergrund und entsprechend ist die Ausstellung angelegt. Aber sie schafft den Spagat und geht punktuell derart in die Tiefe, dass auch Personen mit einschlägiger Vorbildung Neues erfahren.

Gezeigt werden insgesamt acht Projekte. Darunter sind Wohnbauten, Schulen, ein Krankenhaus und ein gewerblicher Bau. Für Laien ist es eventuell enttäuschend, dass kein als nachhaltig etikettiertes Einfamilienhaus dabei ist. In den drei Wohnbaubeispielen (Neues im Dorfzentrum Teufenbach, Inhauser Salzburg und Ortszentrum Stanz) wird sehr deutlich herausgearbeitet, welche Qualitäten sich im verdichteten Wohnbau gerade aus gesellschaftlicher und baukultureller Sicht erzeugen lassen. Zwei dieser drei Projekte sind übrigens keine reinen Wohnbauten, sondern angereichert mit gewerblich genutzten Flächen bis hin zu Räumen der Gemeinde. Die Schwerpunkte sind bei den drei Projekten jeweils anders gesetzt. Bei dem Projekt Wohnanlage Friedrich-Inhauser-Straße in Salzburg (cs-architektur und stijn nagels architecture atelier), der einzige reine Wohnbau, liegt ein Schwerpunkt auf dem sozialverträglichen Umbauprozess unter Begleitung eines „Kümmerers“. Es galt einen sozialen Wohnungsbau umfassend zu sanieren. Eine Herausforderung war der Umgang mit den Mieter:innen, die alle einen unbefristeten Mietvertrag besaßen. Nebenbei werden bei diesem Projekt Themen wie Baukultur und Aufwertung des Bestandes abgehandelt.

Der Titel „Neues im Dorfzentrum“ (Lendarchitektur und Schreiberlammer Architekten) erscheint mir etwas irreführend für das zweite Wohnbauprojekt, denn das Dorfzentrum entstand meines Erachtens erst durch dieses Projekt; ein schönes Projekt, das mit sehr viel Gefühl und Verstand einen Akzent im Herzen der Gemeinde Teufenbach setzt. Neben dem Entstehungsprozess, der durch die Bedürfnisse der Gemeinde gelenkt wurde, ist das Objekt aus meiner Sicht ein besonderes Beispiel für Baukultur. Das geht hinunter bis in die Details, bei denen im Bereich der Erschließungsbalkone modern umgesetzte traditionelle Holzverbindungen eingesetzt wurden. Da war er nun, der Einfluss des Zimmermannshandwerks auf das Gebäude! Für einen Laien kaum wahrnehmbar, für mich hingegen eine große Freude. Unspektakulär daherkommend, sich unterordnend und doch den feinen Unterschied ausmachend.

Beim dritten Wohnbau im Bunde, dem Ortszentrum Stanz von Nussmüller Architekten, haben die Kurator:innen den Schwerpunkt auf die technische Komponente gelegt. Trotzdem wird aufgezeigt, wie fünf Wünsche der Bewohner:innen ebenfalls im Rahmen der Baumaßnahmen berücksichtigt wurden. Es ist nicht nur ein Wohnbau mit betreutem Wohnen und Starterwohnungen, sondern gleichzeitig auch ein Nahversorger, Hauptplatz und ein Gemeindesaal entstanden. Ebenfalls einen haustechnischen Schwerpunkt hat die Betrachtung des Landwirtschaftlichen Zentrums in Sales (CH) mit der Architektur von Andy Senn. Wobei es in diesem Schulbauprojekt eher um den Verzicht auf klassische Haustechnik geht. In beiden Projekten kommt eindeutig heraus, wie wichtig die Kommunikation und der gemeinsame Entwicklungsprozess für einen Projekterfolg sind. Anders wurde der Prozess für einen weiteren Schulbau mit angeschlossenem Internat, nämlich der Landwirtschaftlichen Fachschule Grottenhof in Graz dargestellt. Casper Wichert Architektur ZT GmbH und OSNAP Open South North Architecture Practice mussten in diesem Projekt die Vision des Schuldirektors in Räume übersetzen.

Beim dritten Schulbau, situiert in Vaduz und entworfen von Studio Saal, liegt der Fokus in der Ausstellung auf der Wiederverwendbarkeit von Bauteilen. Der Projekttitel MATADOR verweist auf die traditionellen Kinderspielbaukästen, deren bearbeitete Holzbausteine eine flexible Nutzung für die unterschiedlichsten Ergebnisse und eine unendliche Wiederverwendung der einzelnen Bauteile ermöglichen. Das ist grundsätzlich ein hervorragender Ansatz, insbesondere da die Schule nur ein Übergangsbau sein soll. Die Qualitäten in der Schule, die sich aus den Fotos herauslesen lassen, liegen weit über denen anderer temporären Bauten. Die Räume bieten die architektonische Grundlage für einen Wohlfühlort. Allerdings wird das Holzbau-System nicht wirklich erklärt und die gewünschte Demontierbarkeit kann nicht nachvollzogen werden. Es wäre die Chance gewesen, zum zweiten Mal in dieser Ausstellung, den Einfluss des Ingenieurbaus stärker herauszuarbeiten. Leider fehlen an dieser Stelle die Details, um etwas von diesem wichtigen und guten Ansatz mitzunehmen.

Die Aufenthaltsqualität steht auch im Mittelpunkt des Grazer Kinder- und Jugendpsychiatrie von NOW Architektur und Architekt DI Tinchon. Bei diesem Projekt ist sehr schön ein weiteres Mal der Entwicklungsprozess in den Vordergrund gerückt worden. Durch Gespräche mit den Nutzer:innen vollzogen die Architekt:innen Abläufe nach und nutzten dieses Wissen für die Übersetzung in den Neubau. Gewinnbringend ist an dieser Stelle eins von zwei Fassadenmustern in der Ausstellung eingesetzt. Anhand des Musters ist die Herausforderung spezieller sicherheitstechnischer Anforderungen und deren architektonische Übersetzung optimal nachvollziehbar.

Das achte Projekt ist eine Maschinenhalle, entworfen von Florian Nagler Architekten. Hier konnte „Holz technisch“ aus dem Vollen geschöpft werden, da für den Bau Holz aus einem eigenen Wald entnommen werden konnte. Es wurde auf verleimte Hölzer und aufwendige Stahlverbindungen verzichtet, stattdessen entstand ein faszinierendes Objekt durch die zeitgenössische Übersetzung traditioneller Holzbauweisen. Es wäre schade gewesen, wenn in so einem Objekt nur landwirtschaftliche Maschinen abgestellt werden. Zum Glück wird die Halle neben einer alltäglichen Nutzung auch für kulturelle Zwecke genutzt. Die rhythmische Holz-Konstruktion ist mehr als ein Tragwerk, sie ist raumbildendes Element und Zierde. Die Schönheit des Projektes lässt sich auch gut in einem Modell ablesen.

Abgerundet wird die Ausstellung mit den Modellen von Studierendenprojekten, die sich mit den Qualitäten des Holzbaus auseinandersetzen.

Habe ich mein Zimmererhandwerk in der Ausstellung wiedergefunden? Ja. Die Maschinenhalle befindet sich wie auch das MATADOR-Projekt und das Teufenbacher Dorfzentrum im „Haus“-Abschnitt der Ausstellung, wo der konstruktive Fokus bei den Projekten stärker herausgearbeitet wurde. Zwei der drei Projekte lösen aus meiner Sicht das in der Ankündigung getätigte Versprechen ein, den Einfluss des Holzbaus auf den Entwurf abzubilden. In diesem Kontext stellten die Ausstellungsmacher:innen die Frage: „Eine Katze hat angeblich sieben Leben, ein Holzbalken auch?“ Das ist eine wichtige und richtige Frage. Der Balken sollte die Chance bekommen, Lösungsansätze dafür werden in den Projekten aufgezeigt. Unmittelbar ist dieser Ausblick vor allem dem Ausstellungssystem eingeschrieben, das auf Hölzern des gleichen Querschnitts basiert, die sich am Ausstellungsende leicht demontieren lassen und in anderer Konfiguration zusammen baubar sind. Durch das System ist Holz in der Ausstellung sehr präsent. In vielen Projekten steht Holz hingegen nicht im Vordergrund, weil es nur ein Bestandteil der Entwurfsebene ist. Letzten Endes ist das eine gute Entscheidung von Eva Hierzer und Tom Kaden, die Qualitäten des Holzbaus nicht mantramäßig in den Vordergrund zu rücken, sondern die vielen anderen interessanten Aspekte dieser acht überzeugenden Projekte herauszuarbeiten. 

Von mir gibt es deshalb die Empfehlung für einen Tag auf Sommerfrische in das obersteirische Mürzzuschlag zu fahren, um sich die Ausstellung anzuschauen.

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Die Ausstellung läuft noch bei freiem Eintritt bis 22. September 2024.
Die Öffnungszeiten sind donnerstags bis samstags jeweils 10 bis 18 Uhr und sonntags 10 bis 16 Uhr.

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