Form follows Function, Form follows Feedback, Structure follows Strategy. Und da manchmal auch reine Schönheit es schafft, ein Biest zu zähmen, Form follows Beauty.
Seit sich der Designbegriff, die Ideen, die Konzeption und die Umsetzung in den Köpfen der Menschheit festgesetzt haben, werden Grundgesetze dafür formuliert. Für die einen sind sie Gebrauchsanweisungen, für die anderen werden sie zum Glaubenssatz. Waren und sind der Thesen viele, als grundsätzliches Fundament gilt allen gemeinsam: Design nimmt Einfluss auf gesellschaftliche Zustände. Soziales Design rückt nicht nur den Menschen ins Zentrum, soziales Design will ändern. Wäre Design eine Religion, hieße die Dreifaltigkeit dazu: Nachhaltigkeit, Verantwortlichkeit, Relevanz.
Karl Stocker, Leiter der Studiengänge Informationsdesign und Ausstellungsdesign an der FH Joanneum in Graz, hat in einem gerade frisch erschienen Buch Fallbeispiele von Initiativen versammelt, wie Designwerkzeuge effektiv und konstruktiv eingesetzt werden können:
Socio-Design: Relevante Projekte – entworfen für die Gesellschaft
Seit Detroit seine Automobilindustrie verloren hat, gilt die größte Stadt in Michigan als eine No-Go-Area. Arbeitslosigkeit ließ viele Menschen abwandern. Lange Zeilen desolater, verfallender und großteils leerstehender Häuser waren die Folge. Die Infrastruktur löste sich nach und nach auf. Der öffentliche Verkehr brach zusammen, die Müllbeseitigung hörte auf, zu funktionieren. Die Kriminalitätsrate flößte Angst ein. Maria Luisa Rossi, italienische Designerin, reizte gerade diese auf den ersten Blick hoffnungslose Ausgangssituation und begann am College für Creative Studies in Detroit zu unterrichten. Seitdem untersucht sie, wie aus der Not geborene Selbsthilfevereine es schaffen, mal mit und mal ohne staatliche Unterstützung, die Stadt in Teilbereichen zu reanimieren und urbane Kreisläufe wieder in Gang zu bringen. Gemeinsam mit ihren Studierenden versucht Rossi für diese Graswurzelbewegungen ein Organisationsraster zu formen, damit die Ideen, die Infrastruktur und Lebensqualität zurückbringen, weiter wachsen können und immer mehr Nachahmer finden. Design lässt sich hier in erster Linie als soziale Innovation definieren, die den gemeinnützigen Organisationen helfen soll, die zur Verfügung stehenden Mittel noch effizienter und nachhaltiger einzusetzen.
Als ein anderer italienischer Designer, Enzo Mari, in den 1970ern zum heiligen Gral Design einen simplen Do-it-Yourself-Bastelbogen lieferte, waren viele seiner Profikollegen sehr erzürnt. Sein Buch Autoprogettazione zeigte, wie mit simplen Mitteln auch ein Laie sich ästhetische und funktionstüchtige Möbel zugleich bauen kann.
Maris Gedanken mit der aktuellen Flüchtlingssituation kombiniert das Berliner Projekt Cucula. Das Wort stammt aus der in Zentralafrika weit verbreiteten Handelssprache Hausa und bedeutet sowohl „etwas gemeinsam machen“, aber auch „aufeinander aufpassen“. In einer Kooperative in Kreuzberg stellen Flüchtlinge gemeinsam mit Designern und anderen Betreuern Mobiliar her. Die mit fünf afrikanischen Migranten begonnene Werkstatt wächst und wächst. Durch internationale Präsentationen wie auf der Möbelmesse in Mailand ist Cucula mittlerweile auch über die Grenzen von Deutschland bekannt. Ziel ist es, aus dem aktuellen gemeinnützigen Verein in absehbarer Zukunft eine sozial-nachhaltige GmbH zu machen, die sich selbst finanzieren kann und laufend Flüchtlingen die Möglichkeit zur Eigeninitiative bietet.
Friends-International, ein Projekt in Süd-Ost-Asien wieder verhilft in einem Mix von Interventionen Kindern und Jugendlichen zu Schule und Ausbildung. Es unterstützt Eltern bei der Erziehung und entwickelt Präventionsprogramme zum Schutz von Minderjährigen.
Als ein Beispiel vor Ort stellt Stockers Kollege an der FH, Josef Gründler, seine praxisbezogenen Arbeiten mit StudentInnen vor, die ebenfalls soziale Gedankenanstöße in ihrer gestalterischen Herangehensweise geben wollen. So wurde mit dem gemeinnützigen Verein BAN, der als Arbeitsmarktförderungsprojekt für Langzeitarbeitslose Räumungen und Entrümpelungen durchführt, über die Möglichkeiten zur Verwertung von bisher entsorgtem Material nachgedacht. In einem anderen Projekt wieder wurden kreative, sowohl inhaltlich als auch technisch auffällige Plakate zur Flüchtlingssituation gestaltet und zum Verkauf angeboten. Der Erlös kam wieder der Flüchtlingshilfe zugute.
Erika Thümmel, Restauratorin, Ausstellungsgestalterin und ebenfalls Lehrende an der FH Joanneum in Graz, widmet sich der Neugestaltung des Paulinums. Das Hauptquartier der Caritas in der Grabenstraße in Graz war umzugestalten, eine größere Verkaufsfläche und ein Cafe waren neu zu planen. Thümmel gibt viele spannende Einblicke, wie komplex ein Zugang zu einer Formensprache sein kann. Für die Caritas als gemeinnützigen, kirchlichen Verein ist das Auftreten ins Außen ein sensibles Kapitel. Zu auffällig und aufwändig war selbstverständlich genauso kein Thema, wie eine allzu billige Umsetzung, die später wieder zusätzliche Kosten verursacht. Eine weitere Herausforderung lag in der Austarierung von Niederschwelligkeit und Attraktivität bei einem extrem heterogenen Publikum. Vom Flüchtling und anderen Menschen aus sozial schwachem Milieu bis hin zu durchaus gehobenen Kunden, die Besucher ziehen sich durch alle Schichten der Bevölkerung. Akribisch wird beschrieben, wie sich nach und nach Teile zu einem großen Ganzen zusammensetzten, ständig hinterfragt und auch immer wieder revidiert. Paulinum ist eine Blaupause, wie Verantwortung und Design zu ziemlich besten Freunden werden können.