14/11/2023

Architekturkritikerin Karin Tschavgova erfährt vom Tod der österreichischen Architekturpublizistin, Autorin und Künstlerin Renate Ilsinger, verstorben am 2. November 2023, und schreibt.

14/11/2023

(v.l.) Landeshauptmann Waltraud Klasnic, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Michael Szyszkowitz, Landesbaudirektor Dipl.-Ing. Gunther Hasewend und Mag. Renate Ilsinger. Foto: Gerhard Dusek

Wann beginnt das Alter, in dem man die Todesanzeigen der Tageszeitung liest? Eine Manie, ein Fluch oder einfach nur eine neu hinzuwachsende Gewohnheit im Älterwerden? Ist’s ein immer noch wachsendes Interesse an Menschen und dem Füllstoff ihres Lebens (das natur- und platzgemäß in Todesanzeigen und Nachrufen nur angedeutet werden kann)? Wie auch immer: ich bin eine bekennende Leserin von Todesmeldungen und Todesanzeigen.

Vor wenigen Tagen gelesen, in winziger 8-Punkt-Schrift unter Todesfällen: Renate Ilsinger, 62, gestorben in Spielfeld. 

Ich kenne oder kannte nicht viel mehr als ihren Namen und ihre „öffentliche“ Tätigkeit zu Beginn der 2000er Jahre. Renate Ilsinger fungierte mit Michael Szyszkowitz als Herausgeberin der beiden Architekturführer Architektur_GRAZ und Architektur_STMK, die  2005 in einem bei Politikern dazugehörigen großen Zeremoniell im Weißen Saal der Grazer Burg und wenn ich mich recht erinnere, später noch einmal öffentlich auf der Murinsel vorgestellt und kostenlos verteilt wurden. Zum Verfassen der Baubeschreibungen steirischer Baukultur war aufgeboten worden, was Rang und Namen hatte: Peter Blundell Jones, Frank R. Werner, Marie-Hélène Contal, Martin Tschanz sorgten fürs internationale Renommee, Maria Welzig, Franziska Leeb, Walter Titz als Anker in der Kleinen Zeitung und sogar Eugen Gross als Architekt, der die Bauwerke seiner Kollegen bewerten durfte, sollten wohl für österreichweite Verbreitung garantieren.*) Die Bücher im Paperback-Format waren handlich, schlecht gebunden, aber gut gestaltet „mit Luft“, was das Lesen angenehm machte. Kurze Objektbeschreibungen mit großen Abbildungen und briefmarkengroßen Grundrissen. 

Einige Zeit konnten sich die Architekturführer in der größten Buchhandlung am Platz und im HDA am Präsentiertisch in vorderster Reihe halten, die Grazausgabe erlebte sogar, wie ich nun entdecke, eine dritte Auflage. Dann verschwanden sie in stiller Versenkung, auch das naturgemäß, wenn man bedenkt, wie rasch architektonische Anthologien vom Baugeschehen der Zeit überrollt, unaktuell werden.

Ein ähnliches Schicksal in Bezug auf Architektur und Fachpublikationen muss Renate Ilsinger widerfahren sein. Ich glaube nicht, dass sie nur aus meinem Blickfeld verschwand. Obwohl man dem Curriculum Vitae ihrer Homepage entnehmen kann: Mehrjährige Vorstandstätigkeit im Haus der Architektur Graz. Aufbau und Leitung eines internationalen Architektur- und Kunstverlags. Zahlreiche Publikationen zu zeitgenössischer Kunst, Kultur und Architektur. ward sie nicht mehr gesehen bei Veranstaltungen im Haus der Architektur, von mir nie entdeckt in den einschlägigen Zirkeln von Größen der Grazer und Steirischen Architektur, nicht in einer Rezension.

Was war geschehen? Die Autorin dieser Zeilen, die immer darauf geachtet hat, als Architekturkritikerin (respektvollen) Abstand von Architekten, auch von Kollegen und Kolleginnen zu halten, um nicht vereinnahmt zu werden und frei analysieren, beurteilen und schreiben zu können, weiß es nicht. Gestorben in Spielfeld? Erstmals öffne ich ihre Homepage und lese erstaunt – und beschämt über mein eigenes Nichtinteresse, was Renate Ilsinger alles gemacht hat und war. 

Ihren Verlag nannte sie, deren Heimatort laut Eigenangabe Spielfeld als Grenzort war, Spielfeld für Buch, Kunst, Literatur. 

In einer Selbstbeschreibung charakterisiert Renate Ilsinger sich und ihr Tun: … schreibt und macht, gestaltet Kunstwerke und Bücher, experimentiert mit Text und Textil. Sie verbindet literarische und bildende Kunst, Kunst und Natur. Initiiert, entwickelt und realisiert seit 2005 transkulturelle Projekte – ilsinger editions. Die Welt des Schönen, Lebensfreude, Lebendigkeit wird fühl- und sichtbar und kann sich entfalten. Sie sucht sie in ihrem eigenen Rhythmus handschriftlich in Worte und Bilder zu fassen, mit Farben zum Singen zu bringen und stimmig auf Zeilen zu übertragen. Mit Papier und anderen Geweben stellt sie sie ins Licht und macht sie, immer auch mit der Magie des Buches spielend, körperhaft greifbar.

Was ist geschehen? Warum weiß ich, warum hörte und las man nie etwas über Renate Ilsingers Arbeit auf den Kulturseiten der regionalen Tageszeitung? Warum findet man, mit Ausnahme der Erwähnung einer Ausstellung im KULTUM von Johannes Rauchenberger (BERESHIT – Buchstäblich von Anfang | From the Beginning: Daphna Weinstein und Renate Ilsinger, 2012) nicht einmal etwas über die Poetin, Schriftstellerin, Künstlerin (Selbstbezeichnung) im weltweiten digitalen Netz? Kann es sein, dass künstlerisches Engagement und eine Arbeit, die bereits mit einer außerordentlich schön und fein gestalteten Website beginnt, nicht erwähnenswert, nicht gut genug war für mediale Aufmerksamkeit? Kaum denkbar. Oder liegt es daran, dass Renate Ilsinger sich keine Seilschaften aufbauen wollte oder konnte. Dass sie nicht eingebettet war in akademische Kreise, die sich mit Professuren und immer neuen, hoch dotierten Forschungsaufträgen lebenslang ihre Existenz sichern? Hatte sie keine Liebhaber ihrer Arbeit, keine einflussreichen Kontakte, waren ihre Arbeiten zu enigmatisch, zu versponnen?

Das glaube ich nicht. Schauen Sie sich ihren Beitrag Sag mir, was ist das Po-e-sie? zum Tag der Poesie an, schenken Sie dieser Frau Aufmerksamkeit (sträflich spät, wie leider auch ich), indem Sie sich in ihre Website vertiefen. Renate Ilsinger hätte es sich verdient, zu ihren Lebzeiten bemerkt und für ihre Arbeit anerkannt zu werden.

 


 

________*) die Verfasserin dieser Zeilen, die zu dieser Zeit als (einzige) Architekturkritikerin und Publizistin die Steirische Architektur national und international in der Tageszeitung Die Presse und in zahlreichen deutsch- und englischsprachigen Fachzeitschriften bekannt machte, war – retrospektiv gesehen und mit Thomas Bernhard gesagt – damals naturgemäß nicht als Autorin eingeladen worden. Wie tröstete die gute Freundin sie immer: In Graz giltst du so lange nichts, bis du von anderswo erfolgreich und geehrt, zurückkehrst in die Stadt.

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