22/09/2021

MINUS – Wohnanlagen ohne Spielplätze (1)

Investorenwohnanlagen ohne Spiel- und Aufenthalts- bereiche in Graz, Teil 1

Kommentar von Elisabeth Kabelis-Lechner

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22/09/2021

Triesterstraße, Hof 1

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Triesterstraße, Hof 2

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Triesterstraße, Spielplatz im privaten Vorgarten

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Idlhofgasse 40, Hof

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Idlhofgasse 40, Hof

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Idlhofgasse 48

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Karlauerstraße, "City Suites"

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Karlauerstraße, "City Suites", Rendering

In diesem Kommentar werden vier Wohnanlagen im Bezirk Graz-Gries beschrieben. Alle Projekte sind als Anlegerprojekte realisiert. Ich verzichte bewusst auf das Nennen der Architektennamen. Denn es wäre möglich, dass diese mehr Qualität und vielleicht auch bessere Außenanlagen mit Kinderspielplätzen und Nachbarschaftsbänken beabsichtigten, jedoch die Vorgaben der Entwickler und die Renditeerwartungen diese menschengerechte Ausstattung verhinderten. Kinderspielgeräte müssen gewartet und überprüft werden und das verursacht Kosten, wenn auch geringe. Die beteiligten Architekten werden mit Buchstaben bezeichnet.
Das Ergebnis ist überall ähnlich problematisch: Hohe Dichten, qualitätslose mehr oder weniger unbenutzbare, weil unmöblierte und ungestaltete Außenanlagen. Bei drei Beispielen gibt es Wohnen im Erdgeschoss, die dazugehörigen EG-Gärten sind einsehbar und fressen notwendige Allgemeinflächen auf. Fast immer hat man mit den Schaubildern einladend schöne Grünanlagen mit Spielplatz versprochen. Nie wurden diese Versprechungen realisiert. Und das obwohl in allen hier aufgezeigten Beispielen Wohnbauförderung gewährt wurde. Das heißt, es wurden öffentliche Gelder für Anlegergewinne aber auch Investoren- und Bauträgerprofite eingesetzt.

Wie konnte das passieren? Laut Steiermärkischem Baugesetz sind Kinderspielplätze in einer gewissen Größenordnung abhängig von der Wohnungsanzahl vorgeschrieben. Die Bauträger und leider auch das Bauamt interpretieren das oftmals als lediglich vorhandene Grünfläche.  Was nutzt eine blanke Grünfläche den Kindern und den Eltern? Oftmals stellen sich dann die insofern privilegierten EG Wohnungen private Spielgeräte in ihre Minigartenflächen, siehe u.a. Beispiel 1).

1) Wohnanlage Triester Straße bzw. Lazarettgürtel 100
82 Mietwohnungen, Auftraggeber Soravia/IFA, Planung Architekt X,
Widmung Kerngebiet, Dichte 0,8-2,0, kein Bebauungsplan
Diese Anlage wird auf der Webseite des Architekten so beworben: „Die Anordnung der Baukörper zoniert das Areal in private, überschaubare Nachbarschaften und vermeidet somit die Anonymität einer Großanlage. Die kommunikative Verflechtung der Außenräume ermöglicht den Bewohnern das Erlebnis eines urbanen Quartiers.“ Kommunikation und Urbanität? Wie soll das gehen ohne entsprechende Räume und urban ist eine 100% Wohnnutzung im Kerngebiet sicherlich nicht.
Der Totalunternehmer beschreibt die Anlage so: „Pongratz Bau wurde im Namen SORAVIA/IFA als Totalunternehmer für den Wohnbau beauftragt. Um den verfügbaren Raum optimal zu nutzen, wurde der Grundriss des Baukörpers in E-Form und in mehreren Geschoßen errichtet. (..) Die komplexe Wohnanlage mit 82 Wohneinheiten wurde trotz herausfordernder Gegebenheiten termingerecht und zur vollen Zufriedenheit an die Bauherren übergeben.“ 
Die Mieter*innen hat wohl noch niemand über ihre Zufriedenheit befragt.

2) Wohnanlage Idlhofgasse 40 / Ungergasse 38, 70
Mietwohnungen, Bauträger und Totalunternehmer Pongratz, Planung Architekt X, Auftraggeber: Erste Immobilien Kapitalanlagegesellschaft m.b.H
Widmung zur Zeit des Bauverfahrens: WA 0,8-1,4, bebauungsplanpflichtig, jedoch wurde kein Bebauungsplan erstellt. Mittels Einzelgutachten wurde eine Dichteüberschreitung auf 1,6 ermöglicht.
Der Bauträger beschreibt die Anlage so: „Intelligenter Wohnraum für alle Generationen. Die Wohnanlage mit 70 Wohneinheiten in optimaler Lage mit bester Infrastruktur, wurde teilweise als „anpassbarer Wohnbau“ ausgeführt. (…)“
Die einzige Spielmöglichkeit für Kinder ist das Radfahren mit gefährlichen Abenteuern auf der überdimensionalen Außentreppe. Für Kleinkinder gibt es nicht einmal eine Sandkiste.

3) Wohnanlage Idlhofgasse 48/ Ungergasse 31
61 Mietwohnungen, Auftraggeber Soravia/IFA, Planung Architekt X,  kein Bebauungsplan obwohl bebauungsplanpflichtiges Gebiet. Dichte 2,5
Diese Wohnanlage wurde seitens der Fa. Pongratz Bau als Totalunternehmer für Soravia/IFA ausgeführt. 
Die Auritas Finanzmanagement schreibt zu diesem Bauherrenmodell der IFA: „Die steirische Landeshauptstadt, die zweitgrößte Stadt Österreichs, wird von immer mehr Unternehmen und Privatpersonen zum Lebens- und Arbeitsmittelpunkt erklärt. (…). Laut aktuellen Schätzungen wird die Bevölkerung bis 2050 um 25% steigen, dieses prognostizierte Wachstum bildet eine besondere Herausforderung für die Stadtentwicklung und verdeutlicht uns, wie wichtig es ist, einen besonders lebenswerten Platz zum Wohnen, Arbeiten und Studieren zu schaffen.“
Den „lebenswerten Platz zum Wohnen“ sucht man hier vergeblich, dafür gibt es Wohnen am erdgeschossigen Laubengang und 0% Spielplatz. Na ja, war ja eh nur die Verkaufsbroschüre für die Anleger*innen, da darf schon geflunkert werden.

4) Wohnanlage City Suites, Karlauerstraße / Köstenbaumgasse 107
Mietwohnungen, 4 Geschäftslokale, Auftraggeber Soravia/IFA, Planung Architekt Y, Dichte Kerngebiet und Wohnen 08-2,0
Im Bebauungsplan wurde eine Überschreitung auf 2,18 ermöglicht.
Die IFA schreibt auf ihrer Webseite: „Trotz der turbulenten vergangenen Monate konnte IFA das Projekt 'City SUITES Graz' drei Monate rascher als geplant fertigstellen und an die Investoren übergeben. Diese profitieren schon jetzt von langfristig soliden Mieterträgen, denn rund 60% der 100 topmodernen Neubauwohnungen in Größen von 37 – 67 m2 waren bereits vor Baufertigstellung vermietet.“ Im IFA-Leistungsbericht 2021 liest man: „Zentrumsnah bietet dieses Objekt leistbaren und qualitativ hochwertigen Wohnraum mit privaten Freiflächen.“
Der im Rendering versprochene hochwertige Innenhof mit viel Grün und einem zentralen Nachbarschaftsplatz wurde nicht realisiert, wozu auch, die Investoren profitieren ja eh schon von den Mieterträgen. Wie es den Mieter*innen mit unbrauchbaren Außenanlagen geht, kümmert die Investoren nicht. Und offensichtlich auch nicht die zuständigen Stellen der Stadt Graz.

Qualitätsvolle Innenverdichtung sieht anders aus.

Unser Bürgermeister verspricht ein neues Themenjahr für 2022: Das Jahr der Kinder. Es wäre schön, wenn das nicht ein ähnliches Eventjahr werden würde wie das Sportjahr, sondern nachhaltige Verbesserungen für Kinder geschaffen würden. Dazu gehören neben dem angekündigten Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtung auch gut ausgestattete Kinderspielplätze in Wohnanlagen.

DI Gerda Missoni

Diese schlüssige Befundung von Architektin DI E. Kabelis-Lechner sollte umgehend weitergeschickt werden an unsere - seit gestern neue - politische Spitze. 
Nun sind wir ja vielleicht erlöst von derlei behördl. „Willkür“ im Grazer Baugeschehen. Diese Bezeichnung stammt aus einem vernichtenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, einen ähnlich  gelagerten Fall in Graz betreffend, welches mir vorliegt. 
Und falls die Frage auftaucht, warum die Wahl so ausgegangen ist, wie sie ist: die von Architektin Kabelis-Lechner aufgezeigten Beispiele sind nur einige der Antworten an den Herrn Ex-Bürgermeister.
Es gibt aber noch einen anderen Weg, sich gegen diese „willkürliche“ (Zitat) Sichtweise der Baugesetze in Graz zu wehren, nur wissen muß man’s: nämlich bis zum Verfassungs-Gerichtshof zu gehen und zwar gleich nach dem Erkenntnis des VwGH, dem Ende des Instanzenwegs. Dieser gibt wiederholt der örtl. Baubehörde Recht, ohne überzeugende Argumente.
Wenn man aber die Kraft (und das Geld) aufbringen will, zahlt sich folgendes immer wieder aus: nämlich zum Schluß des Instanzenwegs beim Verfassungsgerichtshof vorstellig zu werden!
Wie oben schon angedeutet haben wir das in meiner Nachbarschaft durchgezogen - mit größtem Erfolg!
DI Gerda Missoni, Graz

Di. 28/09/2021 7:37 Permalink
Anselm Wagner

Vielen Dank für diesen Beitrag. Allein der Vergleich der verlogenen Renderings mit der gebauten Realität spricht Bände. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Stadtregierung diesen Unfug abstellt. Man hätte die Namen der Architekturbüros aber schon auch erwähnen können. Auch wenn diese für die ganze Wohnbaumisere nicht allein schuld sind, kann man sie nicht ganz aus der Verantwortung entlassen.

Di. 28/09/2021 9:43 Permalink
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