14/03/2022

Modulbauweise im Wohnbau

Im Herbst 2021 wird das erste Wohnbau-Projekt der Firma Kiubo, einem Tochterunternehmen der ÖWG, nach dem Entwurf und der Planung von Hofrichter-Ritter Architekten, in enger Zusammenarbeit mit Behörden und ausführenden Firmen umgesetzt. Eine Architektur, die statische und dauerhaft mobile Elemente vereint und damit an technische, aber auch legislative Grenzen stößt, um diese im Zuge der Projektentwicklung und -umsetzung neu zu verhandeln.

14/03/2022

Strassenquerschnitt Starhemberggasse mit Kiubo auf der rechten Seite

©: Thomas Kain

Hofansicht

©: Thomas Kain

Grundmodul mit 25m²

©: Thomas Kain

Grundmodul mit kompakter Küche

©: Thomas Kain

Grundmodul mit kompakter Küche und optionaler Waschmaschine

©: Thomas Kain

Sanitäreinheit eines Moduls

©: Thomas Kain

In der Starhemberggasse, am südlichen Ende des Smart City Areals im Bezirk Lend, steht ein kürzlich fertiggestellter und bezogener, experimenteller Wohnbau, der aufgrund des Straßenquerschnitts und der markanten Optik der Nachbargebäude, an die er anschließt, im ersten Moment nicht übermäßig ins Auge fällt. Die Gegend in der das Gebäude steht, ist ein städtebaulicher Cocktail aus Plattenwohnbauten, Logistik- und Gewerbebauten, Industrieleerstand, den Gleisanlagen des nahen Bahnhofs, und in Richtung Norden, jenen Wohn-, Bildungs-, und Gewerbebauten, die seit einigen Jahren im Rahmen des „Smart City“ Masterplans umgesetzt werden. Öffentlichen Raum abseits der Verkehrsinfrastruktur sucht man hier eher vergeblich. Dennoch ist der Andrang bei der Wohnungsvergabe groß. „Die Wohnungen waren innerhalb von zwei Wochen weg. Das ist absoluter Rekord bei der ÖWG.“ erzählt Gernot Ritter von Hofrichter-Ritter Architekten Anfang Februar bei der Projektpräsentation in der Halle für Kunst Steiermark, am Burgring in Graz. Tanja Gurke, die Initiatorin der Veranstaltung, spricht an diesem Abend mit dem Architekten und der Wohnbauforscherin Andrea Jany über die Eigenschaften und Potenziale modularer und mobiler Architektur. Das besprochene Projekt „FlexLiving“ wird 2021 auf der Biennale in Venedig ausgestellt und dort als logischer Schluss einer fast 100-jährigen Entwicklung von modularen Bausystemen präsentiert. Die spezielle Bauweise wird, mithilfe eines eigens gegründeten Unternehmens, in Form des Prototypen in der Starhemberggasse zur Umsetzung gebracht. „Kiubo“, so der Name des Unternehmens, ist eine Tochterfirma der ÖWG, einer der größten Wohnbaugenossenschaften Österreichs. Das gesamte Projekt ist die inhaltliche und technologische Weiterentwicklung einer Idee aus der gemeinsamen Studienzeit von Gernot Ritter und Hans Schaffer, einem der Geschäftsführer der ÖWG.   

Getrennter Rohbau und Ausbau

Das Grundprinzip ist simpel: es gibt ortsgebundene Terminals, welche in Form von Stahl-, Holz-, oder, wie in diesem Fall, als Ortbeton- Skelettbauten die statische und technische Infrastruktur bereitstellen. Dort werden industriell vorgefertigte Module in Holzbauweise hineingeschoben. Der Rohbau und der Ausbau bleiben auf konzeptueller, technologischer und baulicher Ebene bis kurz vor der Fertigstellung voneinander getrennt. Die Module kommen laut dem Projektteam nicht nur für Wohnnutzungen, sondern auch für andere Bereiche, wie zum Beispiel Büros, kleinere Gewerbe, und vieles mehr in Frage. Neben Terminals, die auf leere Grundstücke oder in Baulücken gestellt werden, würde sich die Bauweise durch den hohen Vorfertigungsgrad ideal für die Überbauung von Supermärkten eigenen, ohne den Betrieb zu lange zu beeinträchtigen. Wenn ein Terminal zur Verfügung steht, verspricht die Modulbauweise der Boxen, wie hier im Wohnbau, den Bewohner*innen die Erweiterung oder Reduktion der Wohnfläche durch das Zuschalten oder Wegnehmen weiterer Einheiten. Auch der Umzug mit den eigenen Modulen an einen anderen Standort, in die nächste Stadt, sofern es dort ein Terminal gibt, oder in den ländlichen Raum, sei möglich. Bei letzterem Fall können die Module aufgrund des Ausführungsstandards, mit Ausnahme eines Fundaments und eines Dachs, ohne weitere konstruktive Schutzmaßnahme gegen die Witterung, auf die grüne Wiese gestellt und bewohnt werden. Die Infrastruktur für Wasser, Strom und Kanal muss dort selbstverständlich bereit stehen. 

Mieten oder Kaufen?

Momentan gibt es nur die Möglichkeit seine Module zu mieten, wobei die Eigentumsoption in Zukunft möglich sein soll. Als Mieter*in oder Eigentümer*in startet man mit einem 25qm großen Grundmodul, mit 2,68m Raumhöhe, das mit einer Sanitäreinheit, einer Küche inklusive eines schmalen Kleiderschranks, einem Tisch mit Stühlen und einem Bett mit Matratze ausgestattet ist. Die Waschmaschine in der Küche ist optional, wenn es, so wie beim Projekt in Graz, im Terminal einen kleinen Waschraum gibt, der Teil eines Gemeinschaftsraummoduls ist. Jedes weitere, der maximal drei zusätzlichen Module je Bewohner*in, hat ebenfalls 25qm Grundfläche. Der allgemein hohe Ausführungsstandard der Boxen bildet sich in der Starhemberggasse anhand der Mietkosten von ca. 17€/qm Warmmiete inkl. Betriebskosten und Internet, exklusive Strom, ab. Damit liegt der Mietpreis, selbst wenn man einen Schätzwert für das inkludierte Internet abzieht, eher im Bereich des österreichweiten Durchschnittswertes, den die 10% der Bevölkerung mit den teuersten Wohnkosten im privaten Mietbereich  bezahlen.(1) Entgegen dieser gehobenen Mietpreise verspricht die Firma Kiubo im Eigentumssegment aber einen leistbaren Einstieg. Wobei dies in erstere Linie über die Wachstumsoption der Wohnfläche möglich ist, sofern es die Lebenssituation erlaubt und freie Stellplätze für zusätzliche Module zur Verfügung stehen. Umziehen können die Bewohner*innen aus der Starhemberggasse aktuell übrigens nur auf das freie Grundstück am Land, da es noch keine weiteren Terminals gibt. Geeignete Standorte werden jedoch bereits in der Projektentwicklungsabteilung akquiriert. 

Wohnraum erweitern

Seine Wohnung erweitern oder neu hinzuziehen kann man am aktuellen Standort nicht, weil alle Stellplätze der 19 Haushalte, die sich aus 33 Modulen zusammensetzen, belegt sind. In einem Gespräch über das Projekt fragt Thomas Kalcher, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Wohnbau an der TU Graz, welche Auswirkungen leerstehende Stellplätze im Terminal auf die Kosten für Mieter*innen und Eigentümer*innen hätten. Wären diese als zusätzliche Allgemeinflächen nutzbar, und wenn ja, in welcher Form hätte man darauf als Bewohner*in Zugriff? Außerdem sei, laut Kalcher, in diesem Zusammenhang das Alternativmodell zur gängigen Eigentümer*innengemeinschaft, die sich beispielsweise die Kosten für Renovierungen am Dach und dergleichen teilen müsste, spannend. Denn das Terminal gehöre ja definitiv nicht den Moduleigentümer*innen oder -mieter*innen. 

Wissenschaftliche Begleitung und Diskussionsbedarf

Der Demonstrativbau in der Starhemberggasse scheint in Bezug auf diese und weitere Fragen ein erster Versuch zu sein, um das Bauprojekt aus wirtschaftlicher und organisatorischer Sicht zu bewerten und um ein Feedback von den Nutzer*innen zu bekommen. Was bereits angedacht worden ist, sei der Wiederverkauf von gebrauchten Boxen oder solchen mit geringerem Ausstattungsstandard für ein breiteres Einkommensspektrum, erklärt Wohnbauforscherin Andrea Jany. Sie ist bei Kiubo für die begleitende wissenschaftliche Forschung verantwortlich, unterstützt damit die Projektentwicklung und liefert Grundlagen für die konzeptuelle Ausrichtung. 

Diese immanente wissenschaftliche Begleitung im Rahmen eines kommerziellen Wohnbauprojektes ist eine ausgesprochene Seltenheit, ebenso wie der Umstand, dass man im Rahmen der Umsetzung eines Gebäudes die Gesetzmäßigkeiten bestehender Regelwerke neu verhandeln muss. Denn die modularen und mobilen Elemente des Konzeptes kollidieren mit den Grenzen des Baugesetzes, der Besitzfrage im Verkauf, der Vermietung und dem Erhalt, sowie der Honorarordnung für die Planer*innen. Das Baugesetz betreffend braucht man ein angepasstes Bewilligungsverfahren, damit ein Gebäude, dessen Dichte und Fassade sich stets ändern könnten, eingereicht werden kann. Das Projektteam hat sich in diesem Fall durch die enge Zusammenarbeit mit der Behörde auf ein vereinfachtes Änderungseinreichverfahren geeinigt. Darüber hinaus wäre es notwendig zu diskutieren, was diese Entwicklungen für Stadtentwicklungskonzepte, Flächenwidmungs- und Bebauungspläne bedeuten. Die Bauträger*in, die in diesem Fall auch die Betreiber*in und Vermieter*in ist, muss sich Eigentums- und Mietmodelle überlegen, in welchen sie den veränderlichen Wert einzelner (temporärer) Stellplätze berücksichtigt, die, je nachdem, belegt oder frei sein können. Die vorgefertigten und mobilen Boxen wiederum sind der Grund, weshalb man sich die Frage stellen muss, welchen Leistungsumfang Architekt*innen in Rechnung stellen können, wenn Teile des Gebäudes, so wie diese Module, fertig entwickelte Objekte sind. Man spürt bezüglich der vielen Fragestellungen den Enthusiasmus und die Motivation zum Experiment, den Gernot Ritter und seine Kooperationspartner*innen an den Tag legen müssen, um über diese Punkte hinaus zu einer tatsächlich gebauten Architektur zu gelangen. Auch wenn diese, was den Prototypen betrifft, noch erheblich weniger flexibel ist, als das Konzept, das ihr zugrunde liegt. 

Nichtsdestoweniger wird hier versucht, eine von zig möglichen Antworten auf aktuelle Wohnbedürfnisse zu liefern. Und vielleicht bringt das wieder eine breite Diskussion zu den vielschichtigen Anforderungen der Nutzer*innen in Gang. 

Das Projekt ist durchaus eine Inspiration im Hinblick darauf, Experimente zu wagen, legislative und operative Grenzen neu zu verhandeln, und das Durchhaltevermögen an den Tag zu legen, um diese auch zur Umsetzung zu bringen. Gernot Ritter sieht das Konzept ohne Frage auch im kommunalen Wohnbau angesiedelt. In diesem Zusammenhang ist aber nicht zuletzt aufgrund der hohen Mietpreise in der Starhemberggasse klar, dass über die bestehenden und dafür notwendigen, neuen Modelle des Förderwesen gesprochen werden muss. Erst dann wird man sehen, ob diese Bauweise außerhalb eines geschlossenen, ökonomisch erfolgreichen Geschäftsmodells, bis hin zum sozialen Wohnbau, funktionieren kann.

 

1) Statistik Austria, Hg. : Wohnen. Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik, Wien 2021

Thomas Kain

Werte*r anonym, werte anonyme,
es freut mich prinzipiell, dass die Möglichkeit zur Diskussion durch die Kommentar-Funktion der GAT-Seite genutzt wird, da diese ja ausdrücklich erwünscht ist. Persönlich denke ich, dass wir uns trauen können, beziehungsweise uns den Respekt entgegen bringen können, auf die Anonymisierung zu verzichten. So, als würde man sich gegenübersitzen oder -stehen. Aber das müssen Sie natürlich nicht genauso sehen, das ist lediglich meine Haltung dazu.
Gerne nehme ich Bezug auf die Kritik zum Artikel. Dazu möchte ich sagen, dass mir die zahlreichen Fragestellungen bewusst sind, mehr noch, sie sind beabsichtigt. Im Zuge der Recherche haben sich für mich, durch die Auseinandersetzung mit dem Bauprojekt, diese Fragen gestellt. Und ich will deren Beantwortung absichtlich nicht vorwegnehmen. Ich respektiere natürlich, dass es Ihnen, so wie allen Leser*innen, obliegt dies als gut oder schlecht zu beurteilen. Sollten aus Ihrer Sicht im Artikel spezifische Informationen fehlen, hoffe ich, dass es für Sie eine Möglichkeit gibt, zu diesen zu gelangen. Eine dieser Möglichkeiten wäre zum Beispiel eine konkrete Frage in einem Kommentar.
Betreffend des Begriffs „Projekt“, habe ich diesen im weiteren Sinne seiner Bedeutung für die Gesamtheit des Vorhabens (inklusive der baulichen Umsetzung) angewandt. Zugegeben könnte man das durch die spezifischere Bezeichnung als „Bauprojekt“ konkretisieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Kain

Do. 24/03/2022 14:20 Permalink
libeskind

Es stellt sich beim Betrachten der Fotos leider wieder einmal die Frage, warum die Projektausführung im Außen- bzw. Innenbereich so lieblos und hässlich sein muss?
Mehr "Gemein" als Nützig.

Di. 15/03/2022 10:49 Permalink
Gernot Ritter

Antwort auf von libeskind

Lieber Herr oder Frau Libeskind!
Dass Sie Ihren Namen ohne langes "ie" schreiben sollte uns nachdenklich machen, denn lieblos haben Sie mit langem "ie" geschrieben. (Oder sind Sie gar der Daniel Libeskind aus Polen?) Lieblos finde ich jedenfalls den Umstand, dass Sie sich auf Fotos beziehen und sich offensichtlich - im Gegensatz zum sehr gut recherchierten Artikel - nicht die Mühe gemacht haben das Projekt vor Ort zu besichtigen. Es gäbe am 2.4. die Möglichkeit das vor Ort zu besprechen, vielleicht haben Sie ja die courage (zu deutsch "Mut") Lust und Liebe das zu tun, ich würde mich freuen,
beste Grüße
Gernot Ritter

Do. 17/03/2022 11:15 Permalink
anonym

Antwort auf von Gernot Ritter

Wohl Zweiteres, denn wäre es ein Projekt, könnte man es real in seinem Umfeld am 2.4. noch gar nicht besichtigen. Aber dafür nebenbei Eigen-Werbung gemacht, gefinkelt.

Fr. 18/03/2022 16:38 Permalink
anonym

Antwort auf von Gernot Ritter

Was ist an diesem Artikel gut recherchiert? viele Frange,nicht wird wirklich erklärt und alles was an flexibliität versprochen wird funktioniert an diesme beispiel gar nicht. Flexibles wohnen ist immer teuer und schon ein wirklich uralter hut.
und überhaupt: architekten, die keine kritik verstehen, haben wenig distanz zu ihren arbeiten.

Fr. 18/03/2022 20:30 Permalink
Gernot Kupfer

Schön recherchierter und aufbereiteter Artikel.
In Zeiten wo jeder cm² ausgenutzt wird, ist dieses Projekt das mit variablen Dichten operiert, sehr erfrischend und hat das Potential eine festgefahrene Debatte über urbane Nachverdichtung neu zu befeuern.

Di. 15/03/2022 10:07 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+