17/12/2021

Expressiv bis zur Aktion

Günter Brus und Alfons Schilling um 1960. Ausstieg aus dem Bild.

Bis 13. Februar 2022 im BRUSEUM, Joanneumsviertel, 8010 Graz

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Rezension von Wenzel Mraček

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17/12/2021

"Ausstieg aus dem Bild", Ausstellungsansicht, Günter Brus (li.) und Alfons Schilling (re.) um 1960

©: Universalmuseum Joanneum/C. Nestroy

Alfons Schilling, "Ohne Titel", 1960-61. Mischtechnik auf Leinwand, 145 x 128 cm, THP Stiftung

©: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Günter Brus, "Ohne Titel (Informel)", 1960, Mischtechnik mit Tusche und Gouache auf Papier, 124,9 x 89,5 cm, BRUSEUM/Neue Galerie Graz, UMJ

©: Universalmuseum Joanneum/N. Lackner

Zu Ende der 1950er Jahre, in der Klasse für Malerei an der Wiener Akademie für angewandte Kunst, lernten Alfons Schilling (1934 - 2013) und Günter Brus (geb. 1938) einander kennen. Mit der Ausbildung an der Akademie waren die beiden jungen Künstler unzufrieden und suchten stattdessen Anregungen bei internationalen Tendenzen. 1960 verbrachten Brus und Schilling einige Zeit auf Mallorca, wo sie die amerikanische Künstlerin Joan Merritt trafen, deren abstrakt expressionistische Malerei die Österreicher nicht nur tief beeindruckte, sondern auch motivierte, neue Wege in der Malerei zu eröffnen.

Die nun von Roman Grabner eingerichtete Schau im Grazer BRUSEUM, Günter Brus und Alfons Schilling um 1960, vermittelt ein überraschend plausibles, wenngleich kaum bekanntes Bild einer Zeit, in der Alfons Schilling und Günter Brus – neben den frühen Protagonisten Hollegha, Mickl, Prachensky und Rainer – gegenstandslose respektive gestische Malerei und Informel entwickelten.
Nach Konflikten mit ihren Lehrern verließen die beiden Künstler 1959 die Akademie ohne Abschluss. Ab Jänner 1960 wohnten sie für einige Monate in zwei alten Bauernhäusern auf Mallorca. Unter dem Einfluss von Joan Merritt wendete sich Alfons Schilling von seiner bisherigen expressiven Malweise im Stil Gustav Courbets ab und arbeitete an nicht gegenständlichen Bildern, für die er als Malmittel neben Farbpigmenten auch Sand, Gips, Ziegel und Metallteile nutzte. Brus, obschon sichtlich noch an der Formensprache Fritz Wotrubas orientiert, experimentierte zunächst in freien Zeichnungen an Motiven, die einerseits an architektonische Räume erinnern, andererseits kenntlich die Auflösung des menschlichen Körpers in kubische Elemente (Wotrubas Liegende) variieren. In der Folge lösen sich die Zeichnungen sukzessive vom Motiv und es dominieren die dynamischen, zeichnerischen Spuren der zum Teil unwillkürlichen Bewegungen auf dem Bildträger bis zu einem All Over aus sich überlagernder Kreisformen.
Im Sommer 1960 besuchten die Künstler die Biennale von Venedig, wo sie sich gegenüber Originalen von Emilio Vedova, Francis Kline oder Philip Guston in ihren Bestrebungen bestätigt sahen. Wieder in Wien, spannten Brus und Schilling in ihren Ateliers großformatige Leinwände und Papier auf Wände und in den Raum und entwickelten eine Malerei, die im Grunde den Bildraum völlig ignoriert und stattdessen oft ekstatische Bewegungen der Maler im Raum auf den diversen Malflächen fixiert. Schilling proklamierte damit die „totale Malerei“ abseits jeglichen äußeren Motivs.
In einer gemeinsamen Ausstellung 1961 am Wiener Börsenplatz zeigten die Künstler erstmals großformatige Arbeiten. In Zeitungskritiken äußerten sich Rezensenten durchwegs konsterniert. Am ehesten noch deutete der spätere Direktor des 20er Hauses, Alfred Schmeller, im Kurier auf folgende Tendenzen hin: „Es ist eine Aktion gegen die Leinwand. Körper-Einsatz. Befreiung. Mehr ist es noch nicht.“
Von Wien enttäuscht, übersiedelte Alfons Schilling im Herbst 1961 nach Paris. Hier perfektionierte er die schon in Wien versuchte Methode, farbintensive Rundbilder auf einer sich schnell drehenden Vorrichtung zu malen, die informelle Malerei damit weitgehend, anstelle kompositorischer Idee, der Fliehkraft zu überlassen. Wiederum stieß Schilling damit auf wenig Anerkennung und zog 1962 nach New York, wo er sich ab Mitte der 1960er Jahre mit neuen fotografischen Techniken auseinandersetzte.
Nach Diskussionen mit Otto Muehl und Hermann Nitsch führte Günter Brus 1964 seine erste Aktion ANA aus. Die malerische Geste wird damit erstmals in den Raum selbst beziehungsweise auf die Körper der Protagonisten übertragen. In Nachbetrachtung bezeichnet Günter Brus ANA zwar als „intellektuelle Panne“, aber „ich strampelte mich irgendwie frei, stieß Räume auf und Hoffnungen“.

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