23/09/2021

Graz-Wahl 2021

Die ZT-Kammer fragt im Vorfeld der Gemeinderatswahl 2021 bei Grazer Parteien nach, wie sie es mit Stadtenwicklung, Wohnbau, Leerstand, Mobilität, Grünraum, Stadtklima, Wettbewerben etc. halten.

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23/09/2021

Graz wählt am 26. September 2021 einen neuen Gemeinderat. Bild: Screenshot Red. GAT, siehe Link graz.at

©: Stadt Graz

Anlässlich der Gemeinderatswahlen am 26. September 2021 hat die Kammer der ZiviltechnikerInnen für Steiermark und Kärnten die kandidierenden Spitzenkandidat*innen der aktuell im Gemeinderat vertretenen Parteien um ihre Stellungnahme zu Fragen, die den Berufsstand von Interesse sind, gebeten. Antworten sind von der SPÖ, den GRÜNEN sowie den NEOS eingelangt. ÖVP, FPÖ und die KPÖ haben leider keine Positionen übermittelt.

Folgende Fragen wurden gestellt

1) Wieviel und für wen soll in Graz gebaut werden?
Im Spannungsfeld zwischen notwendiger Nachverdichtung, Flächenversiegelung an der Peripherie und Wohnen als Investitionsobjekt wird die öffentliche Debatte zurzeit zunehmend emotional geführt – die Stichworte „Zubetonieren“, „Betongold“ oder „Bauwut“ bestimmen immer häufiger den öffentlichen Diskurs. Zu einer sachlichen Diskussion – die aus Sicht der ZT Kammer dringend erforderlich wäre – fehlen aber grundlegende Daten. Eine offizielle Leerstandserhebung seitens der Stadt existiert ebenso wenig wie Analysen und Prognosen, die den tatsächlichen Bedarf darstellen. Wohnungen werden teilweise für einen „Markt“ geplant und gebaut, der nicht aus den Wohnungssuchenden besteht, sondern aus Personen und Institutionen, die in Wohnraum investieren wollen. Diese Marktlogik führt unter anderem zu Klein- und Kleinstwohnungen, die dem realen Bedarf an Wohnraum für die Bevölkerung oft nicht entsprechen.
Von Seiten der ZT Kammer vertreten wir die fachliche Meinung, dass eine zukunftsfähige Stadtentwicklung auf belastbaren Analysedaten und Entwicklungsszenarien basieren muss. Die letzte globale Wirtschaftskrise hat uns gelehrt, dass ein nachhaltiger Immobilienmarkt genaue Ziel- und Qualitätsvorgaben benötigt. Führende europäische Städte (von Kopenhagen über Paris bis Basel und Barcelona, aber auch Brno oder Wien) zeigen, dass eine zukunftsfähige urbane Wohnbauentwicklung nur auf Basis von fundierten Bedarfsanalysen (fokussiert auf die jeweiligen Altersgruppen und sozialen Bevölkerungsschichten), umfassenden Leerstandserhebungen und einer zukunftsweisenden Sozialraumstrategie erfolgen kann.

  • FRAGE 1: Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Informationen über Leerstand und tatsächlichen Wohnraumbedarf zeitnah zur Verfügung stehen werden und Stadtentwicklung sich somit besser an den Bedürfnissen der Menschen orientieren kann, die in Graz leben?

2) Entwicklung lebenswerter Stadtquartiere
Bebauungsplanung sollte nicht erst auf Zuruf von Bauinteressierten geschehen, und sich auch nicht auf einzelne Baufelder beschränken. Ziel muss es sein, lebenswerte multifunktionale Stadtquartiere zu entwickeln, bei denen auch Fragen des Freiraumes und der Mobilität ausreichend mitgedacht werden. Modellhafte Pilotprojekte multifunktionaler Quartiersentwicklung können ihrerseits positive Impulse auf die Baukultur in Städten und Regionen ausüben.
Interdisziplinäre Planung und Projektvorbereitung auf Basis raumplanerischer Grundsätze und städtebauliche Ideen- und/ oder architektonische Wettbewerbsverfahren sollten jeder Quartiersentwicklung vorangehen.
Anstelle von Einzelbebauungen muss das Ziel das (Weiter-)Entwickeln von Siedlungen mit entsprechendem Freiraumangebot sein. Nicht das Objekt oder das einzelne Baufeld sollten im Focus stehen, sondern immer die Schaffung gesamtheitlich geplanter Qualitäten, die ermöglichen, auch das Sozialleben zu fördern.

  • FRAGE 2a: Wie stehen Sie zur Forderung nach flächendeckender Bebauungsplanung, wie sie bereits in anderen Städten existiert, sowie der Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen?
  • FRAGE 2b: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der ZT Kammer zur Durchführung eines interdisziplinären Stadtentwicklungsdialogforums mit dem Ziel der Diskussion von Modellen für eine zukunftsweisende, stadträumliche Entwicklung von Graz und Graz Umgebung?

3) Konzepte für Öffentlichen Personalnahverkehr (ÖPNV)
    und Individualverkehr für eine lebenswerte Stadt
Lösungen für den Einpendlerverkehr, Einbindung des Grazer Umlandes, Verbindung von Grazer Randbezirken untereinander, die Anbindung bisher unterversorgter Stadtviertel, die Einbindung der bereits bestehenden öffentlichen Verkehrsmittel in den Ausbau des ÖPNV, die Engmaschigkeit des Netzes, die Verfügbarkeit auch abends und am Wochenende sind nur die wichtigsten Schlagwörter für die Probleme des Grazer ÖPNV. Ein zukunftstaugliches Konzept bedarf darüber hinaus jedenfalls der Einbindung der Grazer Umlandgemeinden. Auch was die Fahrradmobilität betrifft, besteht unbestrittener Handlungsbedarf.

  • FRAGE 3a: Wie sieht Ihr Konzept zur Zukunftstauglichkeit des Grazer Verkehrs angesichts der oben skizzierten Problemfelder aus? In welcher Form werden Sie anstreben, die Umlandgemeinden in den Dialog einzubinden?
  • FRAGE 3b: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der ZT Kammer, städtebauliche Wettbewerbe zur hochwertigen Umsetzung der Fahrradachsen in Graz zu forcieren, z. B. um Straßenraum für aktive Mobilität wiederzugewinnen und smarte Fahrradstraßen für Mikro-E-Mobilität sowie Last Mile- und City-Zustelllogistik nutzen zu können?

4) Öffentlicher Freiraum
Die Lebensqualität einer Stadt hängt wesentlich vom Angebot an öffentlichem Freiraum ab, der allen zur Verfügung steht. Verschiedene Altersgruppen haben hier unterschiedliche Bedürfnisse. der Freiraum wird immer mehr privatisiert, Konsumzwang ist oft die Folge. Die Stadt Graz könnte sich Flächen für grüne Infrastruktur sichern, vor allem in Bestandsquartieren (Stichwort Nachverdichtung).

  • FRAGE 4a: Wie stehen Sie zur Schaffung und Erhaltung von ausreichendem öffentlichen Raum, der allen Bewohner*innen von Graz (ohne Konsumzwang!) zur Verfügung stehen sollte, insbesondere der Forderung der ZT Kammer zur Stärkung der Gebäude- und Baumanagement Graz GmbH (GBG) zur strategischen Sicherung von Grün- und Freiräumen?
  • FRAGE 4b: Wie stehen Sie zur Forderung, die Qualität des öffentlichen Raumes verstärkt durch stadtplanerische und architektonische Wettbewerbsverfahren sicherzustellen?

5) Leistbarer Wohnraum
Derzeit ist Wohnen der mit Abstand größte Kostenfaktor des täglichen Lebens. Die Wohnkosten sind in den letzten Jahrzehnten weitaus stärker gestiegen als Löhne und Gehälter. Das ist – neben dem Bauen für Investoren (siehe oben) – ein weiterer Grund für das Überhandnehmen von Kleinwohnungen, die zwar nicht den Bedürfnissen ihrer Bewohner entsprechen, aber oft das einzige leistbare Angebot darstellen. Wohnen ist kein Konsumgut und nicht nur Investitionsobjekt, sondern ein Grundbedürfnis und Menschenrecht. Leistbarer, bedarfsgerechter Wohnraum ist eine Grundvoraussetzung für eine lebenswerte Stadt.

  • FRAGE 5a: Wie stehen Sie zu Mobilisierungsmaßnahmen des Wohnungsbestands, wie z. B. einer Meldepflicht für Leerstände oder einer Leerstandsabgabe? Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht in diesem Zusammenhang geeignet?
  • FRAGE 5b: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der ZT Kammer zur Stärkung der Gebäude- und Baumanagement Graz GmbH (GBG) zum Ankauf von Vorrangflächen für die Bereitstellung von leistbaren Baugrundstücken und der Ermöglichung von vorbildhaften Baugruppenwohnbauvorhaben in Graz (siehe auch Frage 4a)?

6) Nachhaltigkeit und Stadtklima
Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde. Richtig verstanden geht sie über den Nachweis ausreichender Wärmedämmung weit hinaus. Nachhaltigkeit bedeutet Ressourcenschonung, Hintanhaltung der Flächenversiegelung, Berücksichtigung des Energieverbrauchs über den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie, Bereitstellung von öffentlichem Verkehr und viel mehr. Die Feinstaubbelastung in Graz ist ein seit vielen Jahren bekanntes Problem. Darüber hinaus leiden unserer Städte unter zunehmender Überhitzung in den Sommermonaten, eine Entwicklung, von der wir leider annehmen müssen, dass sie sich noch verschärfen wird.
Die ZT Kammer schlägt die Gründung eines interdisziplinären Expertenteams mit Einbeziehung von erfahrenen österreichischen Ziviltechniker*innen aus den Bereichen der Stadt-, Raumplanung und Infrastrukturplanungen (Mobilität, Grünraumplanung und Hochwasser, Informations- und Kommunikationstechnik etc.) vor: Die Aufgabe des Expert*innenteams ist die Definition der stadträumlichen und infrastrukturellen Stadtentwicklungsschwerpunkte für Graz im Fokus des Klimawandels.

  • FRAGE 6a: Welche regulativen Maßnahmen und Anreizsysteme werden Sie konkret einsetzen, um das Stadtklima (Feinstaubbelastung, Überhitzung, Bodenversiegelung...) nachhaltig zu verbessern?
  • FRAGE 6b: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der ZT Kammer zum Aufbau eines eigenen interdisziplinären Stadtentwicklungsteams mit dem Ziel der Definition der stadträumlichen und Infrastrukturellen Stadtentwicklungsschwerpunkte für Graz im Fokus des Klimawandels (s.o.) und werden Sie sich für die Einrichtung eines solchen einsetzen?
  • Frage 6c: Wie wollen Sie sich dafür einsetzen, dass die vereinbarten Europäischen Klimaziele von Paris in Graz in den nächsten 10 Jahren auf kommunaler Ebene umgesetzt werden?

7) Erhaltung von Bestand
Nachhaltige Stadtentwicklung setzt auch den behutsamen Umgang mit dem Gebäudebestand voraus. Das ist oftmals komplexer als Abbruch und Neubau und bedarf einerseits einer eingehenden Befundung des Bestandes, andererseits könnten auch Anreizsysteme für private Eigentümer zur Bereitschaft beitragen, Bestand zu erhalten.

  • FRAGE 7a: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der ZT Kammer zur Forcierung von architektonischen Wettbewerben zur Modernisierung des Immobilienbestandes der Stadt Graz anhand der Zielvorgaben der EU-Gebäuderichtlinie?
  • Frage 7b: Werden Sie sich für eine aktive Unterstützung seitens der Stadt Graz für die Befundung von Altbauten in privater Hand einsetzen?

8) Rolle der Ziviltechniker*innen und Kooperation mit der ZT Kammer
Staatlich befugte und beeidete Ziviltechniker*innen sind freiberuflich aufgrund der vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort verliehenen Befugnis auf ingenieur- oder naturwissenschaftlichen Fachgebieten tätig. Derzeit sind Architekt*innen und Zivilingenieur*innen in über 60 Befugnissen tätig. Ziviltechniker*innen, aber auch die ZT Kammer als gesetzliche und überparteiliche Standesvertretung, können Unterstützung und Expertise zu den Problemstellungen einer lebenswerten und nachhaltigen Stadtentwicklung bieten.

  • FRAGE 8a: Welche Unterstützung benötigt die öffentliche Hand, um Graz in eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft zu führen, und welche Rolle sollten Ziviltechniker*innen in diesem Prozess spielen?
  • FRAGE 8b: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag der ZT Kammer zum kontinuierlichen gemeinsamen Erfahrungsaustausch und der berufsbegleitenden Weiterbildung von Expert*innen aus Verwaltung und ZTK Kolleg*innenschaft im Fokus der klimaaktiven Stadtteil- und Quartiersentwicklung?

Die Antworten der Parteien entnehmen Sie dem downloadbaren Dokument Gemeinderatswahl Graz 2021

Elisabeth Kabelis-Lechner

Dass die ÖVP als stärkste Partei der Ziviltechnikerkammer keine Antworten übermittelt, zeigt von großer Ignoranz und fehlender Wertschätzung gegenüber dem Berufsstand.

Fr. 24/09/2021 2:40 Permalink
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