Noch eine Roboterin
Daß es nur Kunst war, verdeckte die Kunst. Pygmalion staunte …
(Ovid, Metamorphosen, Zehntes Buch)
Die Eltern der neunzehnjährigen Kyoko Date betreiben eine Sushi-Bar in Tokyo. Kyoko fotografiert gerne und interessiert sich für Pop-Musik. Als Kind wollte sie zwar Detektivin werden, stattdessen begab es sich aber, dass Kyoko als Radio- und Fernsehmoderatorin reüssierte. Mit ihrem Hit-Song Love Communication, selbstverständlich inklusive Videoclip, schaffte sie es schließlich auch in die japanischen Charts. Kyoko Date allerdings war kein Mensch, sondern eine Computer-Animation, die über zwei Jahre vom Visual Science Laboratory Tokyo entwickelt wurde und ab 1996 als „virtuelles Idol“ unter anderem als Hologramm in Live-Shows auftrat, um dort von ihrem Leben als Star zu erzählen. Inzwischen hat sich Kyoko Date offenbar in den Tiefen des Internets aufgelöst beziehungsweise haben sie und die Entwicklerfirma Horipro bestenfalls Datenspuren hinterlassen.
Merkwürdig immerhin, dass im selben Jahr des Auftritts von Kyoko Date auch William Gibsons Roman IDORU erschienen ist, der von der Geschichte der Beziehung des US-Rockstars Rez mit seiner japanischen Kollegin Rei Toei erzählt. Rei Toei nämlich ist eine Cyber-Identität, eine IDORU, die ebenfalls als 3D-Projektion in der erzählten Wirklichkeit auftritt.
Müßig nun, hier die Geschichte von Vorläufern seit der Antike herunter zu spulen, über die eine Erwartungshaltung vielleicht erfüllt werden sollte, künstlichen Wesen etwas wie Selbstbewusstsein oder Leben im weitesten Sinn zu attestieren. Vielleicht geht und ging es immer nur um den Wunsch, verblüfft zu sein, von menschenähnlichen Maschinen, denen man die Maschine nicht gleich ansehen will. In der Literatur, und gegenüber den Androiden des 17. und 18. Jahrhunderts, ist immer wieder von wohliger „Angstlust“ des Publikums die Rede, wenn etwa Wolfgang von Kempelen seinen Schach spielenden Türken vorführte, von dem man damals schlicht nicht wusste, wie er funktioniert. Der klandestine Aspekt dürfte wohl auch gegenüber Joseph Weizenbaums körperlosem Programm ELIZA bestanden haben, dass er 1966 am MIT schrieb. Damals ging es zunächst darum, mittels „natürlicher Sprache“ als Mensch mit einem Computer kommunizieren zu können. In psychotherapeutischen Versuchen etwa „sagte“ ein User: „Ich habe ein Problem mit meinem Vater.“ Und die Maschine antwortete: „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Familie.“ Die vermeintliche Intelligenz von ELIZA basierte auf einem strukturierten Wörterbuch, in dem nach „Matches“ mit dem eingegebenen Satz gesucht wurde. Inzwischen gehen Kommunikations-Suchmaschinen wir Siri und Alexa nach diesem Schema vor, während deren Thesaurus das Internet ist. Weizenbaum gab seinem Programm den Namen ELIZA in Anlehnung an die Protagonistin in G. B. Shaws Drama Pygmalion, das wiederum auf den antiken Mythos um den Bildhauer verweist, dessen Steinskulptur durch Aphrodite zum Leben erweckt wird. Ein (künstliches) Gebilde also wurde Mensch. Und dann war da noch Karel Čapek, dessen Drama Rossums Universal Robots 1921 uraufgeführt wurde. Daher stammt der Begriff Roboter (von tschechisch Frohnarbeiter), während in Rossum das tschechische rozum in der Bedeutung Vernunft oder Verstand anklingt. Čapeks Roboter nämlich entwickeln Selbstbwusstsein und Intelligenz.
Sophia wiederum ist ein erneuter Versuch, einen Roboter respektive eine Roboterin zum Menschen zu machen. Gebaut wurde Sophia, die Weisheit, vom Hongkonger Unternehmen Hanson Robotics. Sie kann Gesichter erkennen, imitiert menschliche Mimik und kann Gespräche führen, weil sie mit künstlicher Intelligenz ausgestattet ist – etwa in einer kurzweiligen Unterhaltung mit dem Schauspieler Will Smith auf Youtube. Sophia wurde am 11. Oktober 2017 bei den Vereinten Nationen vorgestellt und konversierte mit deren Vize-Generalsekretärin Amina J. Mohammed. Und schon am 25. Oktober 2017 wurde Sophia die saudi-arabische Staatsbürgerschaft verliehen. Wozu wissen wir nicht. Aber damit hat Sophia etwas wie menschlichen Status, als erster Roboter mit Staatsbürgerschaft. Und nochmals: was Sophia weiß, was sie kommunizieren kann, weiß Sophia nicht, weil sie denken kann, sondern weil sie Matches mit dem Internet schafft wie Siri, Alexa oder ein intelligentes Auto (ohne Staatsbürgerschaft).
Wozu jetzt eigentlich, müsste man salopp fragen, wird Ai-Da als die erste „ultrarealistische Roboterkünstlerin“ präsentiert? Für mich noch am originellsten ist die Namengebung nach Ada Lovelace, die Programme für die Maschinen von Charles Babbage schrieb, nach Aiden Meller, maßgeblich für Ai-Das Entwicklung der britischen Firma Engineered Arts, und AI (Artificial Intelligence) ist auch noch dabei. Auch Ai-Da könnte ebenso gut ein sich selbst lenkendes Auto sein oder eine körperlose, sprechende Suchmaschine. Ai-Da aber ist eine Roboterin und Künstlerin, die Selbstporträts malt und zur Eröffnung der gerade laufenden Ausstellung im Londoner Design Museum Vorträge über ihre Auffassung von Kunst hält. Ihr Wissen, einmal mehr, bezieht Ai-Da aus dem Internet. Irgendetwas dreht sich dennoch um die schon genannte Angstlust gegenüber einer Maschine, die an Menschliches erinnert. Der Guardian titelte zur Ausstellungseröffnung: „‘Some people feel threatened’: face to face with Ai-Da the robot artist“.