06/08/2021

Sommerreprise
Stahlstadt-Lebensräume von 1969

Eine Leoben-Donawitz Erinnerung von Emil Gruber

Text und kommentierte Bilder, 2018

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In Memoriam Emil Gruber
1959 bis 2021

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06/08/2021

Unverändert wie vor 50 Jahren – Leobens Hausberg „Mugel“ mit dem 88 Meter hohen Sendeturm.

©: Emil Gruber

Eines der ersten größeren Nachkriegsbauvorhaben in Donawitz wurde in den 1950er Jahren in der Johann Sackl-Gasse realisiert. Die wieder Fahrt aufnehmende Wirtschaft verlangte nach mehr und mehr Arbeitskräften. Die Alpine Montan Gesellschaft ließ neue Werkswohnungen bauen. Fünf in Serie geschaltete dreistöckige Blöcke mit vier Wohnungen je Etage. Jeweils zwei Gebäude hatten die Eingänge zueinander gerichtet. Nur das Fünfte musste sich dem Gesetz des Ungeraden beugen und in eine Rückseite, in dem Fall die unseres Hauses, schauen.

Je Einheit standen zur persönlichen Entfaltung einer mehrköpfigen Arbeiterfamilie dreieinhalb quadratische Zimmer auf 60 Quadratmetern zur Verfügung. Ein winziger Vorraum, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer waren wie ihre Hülle geradlinig geschnitten. Schaute man durch den damals noch vorhandenen Briefschlitz und standen alle Türen offen, konnte man am Ende der Wohnung in eine Böschung schauen, an der die Schrebergärten angesiedelt waren. Der einzige Ausreißer war eine kleine, enge Toilette rechts des Vorraums. Das Bad teilten sich zwei Mieter und befand sich vor der Wohnungstür. Die zeitliche Nutzung wurde von der Werksverwaltung festgelegt. Unser Badetag war immer am Dienstag. Das bedeutete, nicht nur den Badeofen mit Festbrennstoffen selbst einzuheizen, sondern auch die Blechbadewanne vom Kellerabteil ins Badezimmer zu schleppen. Für meine Eltern, die nach 1945 jahrelang in einer Barakensiedlung lebten, war trotzdem das alles ein Luxusappartement.

Zwischen den Objekten taten sich großzügige Wiesen auf, die jedoch Betretungsverbot für jedermann hatten, sah man vom fallweisen Rasenmähen ab. Verbots-Erfahrung hatte diese Generation ja noch aus der Nahdistanz miterlebt und somit regte sich auch nie eine Überlegung einer Alternativnutzung. Um diese kargen Wiesen zu verschönern, wurde von der Alpine in ein Eck jedes Rasens ein kleines Strauchpotpourri gepflanzt. Entlang der Außenränder der Grünanlage waren auf der einen Seite Klopfstangen und nur marginal davon entfernt Wäsche-Aufhängeplätze. Dieser Platz war nicht nur für die Reinigung bedeutend, sondern auch für die Präsentation konjunkturbedingter Besitztümer wie Perserteppiche oder neuem Gewand. In unmittelbarer Nähe der Stangen gab es noch zwei betonierte Bänke mit Holzauflagen. Durch diese nicht restlos durchdachte Positionierung waren kleinere Dispute zwischen kurz Erholung und Ruhe suchenden und mit Kluppen oder Klopfer gewappneten Nachbarn immer wieder eine Würze des Alltags.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Wiese befand sich ein betonierter, nach allen Seiten praktisch offener Unterstand für sechs runde Blechtonnen. Eine deutlich eingefräste Trennlinie in der Mitte des Unterstandes und eine dahinter solitär in die Wiese gepflanzte Birke markierten die Demarkationslinie. Über das Einhalten von jeweils drei Behältnissen je Haus für die Alles-In-Eine-Abfalltrennung wachten eigene Haus-Kommandos, die meistens ebenerdig wohnten, um so schnell Zugriff auf Grenzverletzungen zu haben.

Keine Revierstreitigkeiten gab es damals noch bei Parkplätzen. Es führte zwar eine betonierte Zufahrtsstraße mit Einmündungen zu den jeweiligen Häusern. Doch davor Parken war kein Thema. Einerseits war die Autodichte in unserer Siedlung sogar für damals unterm Schnitt der Zeit. Andererseits blockierten die Häuserfronten Kinderwagen, Scheibtruhen, Fahrräder, Mopeds und Motorräder – genau in dieser Reihenfolge, wenn man nach der Stückzahl geht.

Die eigentliche Straße führte parallel zu den Mistkübeln etwas erhöht, durch einen kleinen grünen Hügel von der Zufahrtsstraße getrennt, vorbei. Sie war breit genug für das Parken der wenigen Kleinwagen, die sich ein paar Arbeiter unter Verzicht aufs sonstige Leben vom Lohn abgespart hatten.

Die meisten der Autos hatten unter der Woche Ausfahrverbot, der Großteil blieb unter dicken, grauen Planen versteckt. Die schweren Kunststoffe schützten vor mechanischen Beschädigungen wie Fingerabdrücken von Neugierigen, jedweder Wetterattacke und zumindest weitgehend vor dem notorischen roten Belag, der sich als Essenz des vorwiegend nächtlich ausgestoßenen Werksrauchs kontinuierlich zu Boden senkte.

Echte Aktivität war entlang des Hügels immer nur sonntags zu bemerken. Nach Kirche und oder Frühschoppen tauchten mehr und mehr interfamiliäre Putzkolonnen auf, die akribisch ihre gemeinsame Freizeit mit Autoliebhaben verbrachten. Manche Wagen wurden nur sporadisch gefahren, oftmals wurde das Vehikel, nachdem auch der letzte Schmutz aus dem Reifenprofil entfernt wurde, wieder mit der auch beidseitig gesäuberten Plane hermetisch verschlossen und umweltfreundlich stehen gelassen.

Jenseits des Parkhügels, auf der anderen Seite der Häuser öffnete sich der Blick zu den lokalen Kornkammern, den Schrebergärten. An deren einem Ende war auf einem kleinen Plateau ein weiterer Trockungsplatz für großflächigere Textilien errichtet worden, diesmal für alle Häuser in der näheren Umgebung als Erweiterung, wenn der häufig synchrone Bettwäsche/Tischtücher/Vorhang-Waschtag war. Rechteckige Metallrohrkonstruktionen in vier parallelen Reihen erinnerten an viele verkleinerte Fußballtore. An kleinen Haken beiderseits der Querbalken wurde der persönliche Wäschestrick in einer Slalomtechnik gespannt.

Kinder und Jugendliche nützten den Platz für eigene Fußballturniere, wenn keine Wäsche hing (was selten vorkam) oder freie Tore genügenden Abstand zu behängten hatten (was von uns immer sehr subjektiv interpretiert wurde). Mangelnde Distanz und Fehlschüsse erzeugten häufig lautstarke Generationskonflikte. Gemeinsam mit dem staubigen, nicht betonierten Untergrund, auf dem auch der rote Staub von Donawitz sich ablagerte, zwang nicht selten starker Wind oder ein Platzregen die Hausfrauen zu einem Mehrwaschgang in den in jedem Hauskeller sich befindlichen Gemeinschaftswaschküchen.

So tanzte an Großwaschtagen hier ein abwechslungsreiches Ballett von sich bauschenden Tüchern, flatternden Arbeitsmontur-Ober- und Unterteilen, oder um die eigene Achse sich drehenden Socken. 2005, als ich entlang der wehenden „Gates“ im New Yorker Central Park flanierte, sah ich wenig Bezug zu japanischen Toriis. Ich vermute noch immer, Christo und Jeanne-Claude haben ihre Jugend in Donawitz verbracht.

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