19/04/2021

PPP und ein Antidot

Gabu Heindl:
Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung

Rezension
von Wenzel Mracek

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19/04/2021

Cocer

©: Mandelbaum Verlag

Public Private Partnership, PPP, die vertraglich geregelte Zusammenarbeit von öffentlicher Hand und privatwirtschaftlichen Unternehmen, sollte eigentlich so funktionieren, dass private Unternehmen die effiziente Erstellung einer Leistung übernehmen, während öffentliche Institutionen Sorge tragen, dem Gemeinwohl dienliche Ziele zu erreichen. In ihrem im Vorjahr erschienenen Band Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung hält die Architektin, Stadtplanerin, Theoretikerin und Aktivistin Gabu Heindl eingangs fest, dass sich PPP im Zuge der „Austeritätspolitik der letzten Jahrzehnte“ durchgesetzt hat. Dies vor allem bei der Planung und Realisierung öffentlicher Bau-Aufgaben und städtischer Infrastrukturprojekte. Dabei allerdings führten die Profitinteressen der Privaten auch zur Entscheidungsautorität in eigentlich öffentlichen Aufgabenstellungen, „öffentliche Infrastrukturen jeder Art wurden damit zu Anlageprodukten“, und PPP wurde seit den 1990er Jahren „zu einem Inbegriff neoliberaler Planung“. Damit verbunden sind sukzessive Privatisierungsprozesse in deren Folge Städte-, Wohn- und Schulbau sowie öffentlicher Raum einer zivilgesellschaftlichen Teilhabe entzogen werden.
Auf gut 270 Seiten entwickelt Heindl nun ihr Konzept einer Gegensteuerung und Re-Demokratisierung dieser Situation, neben anderen entlang Ernesto Laclaus und Chantal Muffes Begriff einer radikalen Demokratie, nach dem, gegenüber dem Konsens, der politische Konflikt im Vordergrund steht. Infolge legt Heindl diverse Strategien der (Eigen-)Ermächtigung vor, die zur zivilgesellschaftlichen Teilhabe an Stadtplanung respektive Entwicklung weitgehend öffentlicher Infrastruktur führen mögen.
PPP steht demnach bei Heindl für Politik, Planung und Popular Agency. Die ausführlich verhandelte Zeit des Roten Wien bildet quasi einen Spiegel gegenüber gegenwärtigen „Entwicklern“, wenn auf den Fassaden der Gemeindebauten „ … aus den Mitteln der Wohnbausteuer“ zu lesen ist, während 2011 in der Rotenturmstraße um internationale Anleger geworben wurde: „You don’t have to live in these apartments to love Vienna, owning them will do“. Dass im Roten Wien mit dem neuen Wohnraum auch etwa der Zwang zur Vereinheitlichung beziehungsweise Unterdrückung individueller Gestaltung der Wohnungen verbunden war, führt bei Heindl in die Überlegungen eines „kritischen Erbens“ des Vermächtnisses des Roten Wien hinsichtlich der „Ermächtigung in diesem austromarxistischen Framework“, in dem Ausschlusskriterien keine geringe Rolle spielten.
Planung: Marktführer*innen (Schreibweise Heindl) geben zusehends Normen für die Planung vor. Planer*innen und Architekt*innen werden von öffentlicher oder privater Hand bezahlt und planen wiederum für künftige Nutzer*innen. Diese können sich zwar immer wieder in partizipative Prozesse einbringen, erreicht wird damit aber nur ein Teil der Nutzer*innen, vorwiegend der gebildeten Mittelschicht angehörig. Wenn Letztentscheidungen dann bei den Investor*innen liegen, wird Beteiligung wirkungslos. Heindl schlägt „Equity Planning“ vor, nach dem Planer*innen, anstatt basisdemokratisch vorzugehen, entsprechende Positionen in Politik und Verwaltung einnehmen.
Popular Agency: Die Ermächtigung der Nutzer*innen von Wohnbau und Infrastruktur muss mit der Entmächtigung der Architekt*innen einhergehen. Expertise wird damit gleichberechtigt verteilt, und Heindl führt Ihre „Planungsarbeit“ am Intersektionalen Stadthaus in Wien an, nämlich das „Sich-zusammen-Tun und Zusammen-tätig-Sein von Leuten aus diversen marginalisierten Gruppen“.
Ein markanter Abschnitt behandelt das Konzept des „Vermessens“, zu verstehen in mehrfachem Sinn als fehlerhaftes Messen und als vermessenes Fordern. Die aktuelle Wohnbauinitiative Wiens beispielsweise zielt darauf ab, Wohnungen leistbar zu machen. Und zwar dadurch, dass Wohnungen kleiner werden. Wäre ein Mindeststandard der Größe von Wohnungen definiert, führte dieser nach neoliberalem Agieren wohl zur Gleichsetzung von Mindest- und maximaler Größe. Durch eine Allianz aus Planung und Popular Agency kann ein Gegenstandpunkt geschaffen werden, indem „vermessen“ auf Größe und Ausstattung der Wohnungen beharrt wird.

Gabu Heindl:
Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung
Mandelbaum-Verlag, Wien, Berlin 2020
270 Seiten, ISBN: 978385476-869-2
20,00 Euro

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