03/09/2024

Jenseits von Werturteilen, jenseits von Gut und Böse liegt eine Welt, in der die Angst regiert – oder, besser gesagt, reagiert, denn regieren wollen andere und ihre Strategie lautet, dass sie ein Heilmittel gegen unsere Angst haben, nachdem sie uns jedoch zuvor das Gift der Angst in unsere Köpfe injiziert, in unseren Köpfen initiiert haben. Die Angst ist ein Bild – ein Bild das Angst macht.

Zu Themen, die die Gesellschaft aktuell bewegen. Jeden 4. Dienstag im Monat.

03/09/2024

ohne Titel, Severin Hirsch, 2024

©: Severin Hirsch

„Es geht immer darum, Angst zu machen zu wissen, zu terrorisieren zu wissen, indem man wissen macht. Und dieser Terror ist, auf beiden Seiten der Front, unleugbar effektiv, real, konkret, selbst wenn diese konkrete Effektivität die Gegenwärtigkeit des Gegenwärtigen zu einer Vergangenheit oder Zukunft des Traumas hin überschreitet, das nie mit Gegenwart gesättigt ist. Doch obwohl all dieses Wissen, dieses Gewußt-wie, dieses Wissen-machen durch die irreale und fabelhafte Inkonsistenz der Medien oder des Kapitals hindurchgeht […], berührt dieses Wissen-machen-Wissen, dieses zum Wissen gemachte Machen um nichts weniger effektiv, affektiv und konkret die Körper und die Seelen. Ebendies ist das wesenlose Wesen des Schreckens, des Terrorismus-Werdens des Schreckens […], sowohl des Terrors gegen den Staat als auch des Staatsterrors, sei er aktuell oder virtuell.“ (Jacques Derrida, Das Tier und der Souverän I. Seminar 2001-2002. Wien 2015. S. 70.)

„Im Flüssigen gehen die Gegensätze leichter ineinander über. Das Flüssige ist das Element des pharmakon. Und in das Wasser, in die Reinheit des flüssigen, kann das pharmakon am leichtesten und mit den gefährlichsten Folgen eindringen und es alsdann verderben, indem es sich sogleich vermischt und zusammensetzt.“ (Jacques Derrida, Dissemination. Wien 1995. S. 171.)

Wir leben in einer Welt, die von Bildern regiert wird – von Bildern des Schreckens, der Gewalt, des Terrors. Die Macht der Bilder ist allgegenwärtig, tagtäglich werden wir tausendfach mit ihnen konfrontiert, von ihnen überwältigt und vergewaltigt, sind ihrem Eindringen, ihrer Zudringlichkeit, ihrem Drängeln, ihrer Dringlichkeit schutzlos ausgeliefert. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, ein Sprichwort, das sich nicht nur die Werbeindustrie gegenüber einer immer lesefauleren Klientel zunutze macht, sondern auch die Medien. Dabei steht vielmehr die Manipulation als die Information im Vordergrund, da im Gegensatz zum Wort, den tausend Worten, die sensiblen und weniger die intelligiblen Fähigkeiten des Menschen angesprochen werden. Ein Bild prägt sich ein, erzählt aber nichts über den Entstehungskontext und die Einbettung in eine, vielleicht sogar in die Geschichte. Daher eignen sich Bilder besonders gut, um Effekte, um Affekte zu erzeugen und etwas in uns hervorzurufen – in den meisten Fällen Angst. Angst vor den Flüchtlingen, Angst vor dem Krieg, Angst vor der Armut, Angst vor dem Tod, Angst vor Gewalt, Angst vor den Fremden, Angst vor dem eigenen (sich selbst) Fremdsein. Die Angst ist ein hungriges Ungeheuer, das uns mit Haut und Haaren frisst und nichts von dem überlässt, was oder wer – die Frage nach dem Subjekt – wir zu sein glauben wollen. Die Angst ist das Pharmakon unserer Gesellschaft, Gift und Heilmittel zugleich. Frei nach Paracelsus: „Allein die Dosis macht das Gift.“

„Es handelt sich dabei um jene Angst, um jenen Schrecken oder jene Panik, von der Hobbes im Leviathan erklärte, dass sie/er die politische Leidenschaft par excellence, die Triebfeder der Politik sei. Wenn wir eine Geschichte des Terrors und des Terrorismus, der national oder international genannten Terrorismen schreiben müssten […], jenes Gewußt-wie, das die Panik sogenannter Zivilbevölkerungen organisiert, um auf eine öffentliche, gouvernementale oder militärische Politik einen öffentlichen Meinungsdruck auszuüben, dann müssten wir all jene politischen Theorien rekonstruieren, die aus der Angst oder der Panik […] eine wesentliche Triebfeder der Subjektivität, der Subjektion, des Subjekt-seins, der Unterwürfigkeit oder der politischen Unterwerfung […] machen.“ (Ebda. S. 70f.) Ein Subjekt zu sein, bedeutet unterworfen zu sein (vgl. zeitenweise – 35) und die politische Macht erlangt diese Unterwerfung durch Angst- und Panikmache. Die Angst vor dem Unbeschreiblichen, Unsagbaren, dieses (oder jenes) Bild des Schreckens, das aus den Untiefen des Unterbewussten ins Bewusstsein gespült wird, lässt uns an den Schutz durch die Souveränität glauben. In Wahrheit stehen wir vor einem Henne-Ei-Dilemma, denn der Terror, der Schrecken geht zumeist von der (eigenen oder fremden) Souveränität aus Die Disziplinarmacht, das Schreckensregime waltet mit eiserner Hand und verbreitet die Angst vor Terror durch den Terror der Angstmache. Gewusst-wie.

Bilder können unbewusste, irrationale Ängste evozieren oder gar an Traumata rütteln und als Reaktion auf solche Bilder tritt Panik ein. Diese Wirkung von Bildern, der Bildterror, wird von seitens der politikgefügigen Medien genutzt, um die Kontrolle über die Zivilbevölkerung zu behalten und unter dem Deckmantel der inneren, eigenen Sicherheit Maßnahmen zu erzwingen, die Rechte und Befugnisse, die Freiheit und Selbstbestimmung der Individuen weiter einzuschränken. Die Angst ist ein Bild. Der Gegenstand der Angst ist ein Bild. Wir bewegen uns in einer Welt, einer (politischen) Wirklichkeit, die durch Bilder konstruiert ist. Bilder sind nicht real, kein Abbild der Realität, sie sind Teil der Realitätskonstruktion, während der Terror, der durch sie verbreitet wird, und die Reaktionen und Auswirkungen auf sie sehr wohl realen Charakter haben, der sich im Umgang des Staates mit den Menschen und der Menschen untereinander widerspiegelt. Der Staat sendet Signale, gibt uns Zeichen, schickt uns Bilder und wir tragen diese Bilder mit uns und verwechseln sie mit der Realität. Nicht die Gefahren lauern überall, sondern die Bilder – in uns, um uns, mit uns.

Letzten Endes geht es im kapitalistischen Wissen-machen und im politischen Gewusst-wie darum, Monopole in der medialen Berichterstattung zu schaffen, die von Widersprüchlichkeiten möglichst gereinigt sind und keine langwierigen Erklärungen oder Beweisführungen nach sich ziehen, um so eine Gleichschaltung aller (öffentlichen) Medien zu erwirken. Wozu mehr als tausend Worte zu ver(sch)wenden, wo doch ein Wort das andere ergibt und jede Erklärung neue Erklärungen nach sich zieht, wenn alles mit einem Bild (und dem Verweis, dass das die unumstößliche Realität ist) gesagt werden kann? Welcher Staat kann es sich schon leisten, in Erklärungsnotstand, Widersprüchlichkeiten oder Diskussionen über den Wahrheitsgehalt von Informationen zu geraten? Da auch mit Bildern Widersprüchlichkeiten, widersprüchliche Darstellungen geschaffen werden können, versuchen sich Regierungen spätestens seit dem 11. September 2001 frühzeitig Bildrechte zu sichern, um die Wahrheiten der medialen Berichterstattung in einem für sie möglichst guten Licht darzustellen. Auch die Kapitalisierung der Wahrheit – das Wissen-machen – ist eine politische Realität. Neben der Kapitalisierung und Monopolisierung (die es auch schon während der spanischen Inquisition durch die katholische Kirche gab) der Wahrheit hat uns der 11. September auch den Begriff des „Terrorismus“ als etwas Staatsfeindliches eingebrannt, auch wenn der Terror, der Schrecken – „la Terreur“, die als solche bezeichnete Schreckensherrschaft während der Französischen Revolution – durchaus auch vom Staat selbst ausgeht. Der 11. September war jedenfalls ein Wendepunkt nicht nur in der Politik, sondern auch in der politischen Darstellung und der öffentlich-medialen Berichterstattung. Die Schreckensherrschaft der widerspruchsfreien Wahrheiten, das Terrorregime der einseitigen Bilder, die unhinterfragte Bildung, die unzureichende Eigeninformation, die Diskurs- und Diskussionsunfähigkeit unter den Menschen, unter den verschiedenen politischen Lagern oder Glaubensbekenntnissen bringt uns an einen Punkt, an dem der Staat eine Gewaltherrschaft ausüben kann und Gewalt evoziert, ohne selbst Gewalt anwenden zu müssen. Die Souveränität zeigt sie/sich – in Form von Bildern.

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