08/10/2024

Wenzel Mračeks Kolumne zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat! 
Heute: steirischer herbst ´24, Kunst Heimat Kunst Revisited – Ausstellung bis 13. Oktober 2024 im Forum Stadtpark zusehen.

08/10/2024

Vadim Zakharov, "Pastor's Flowers", 1992, Jöss, Schloßpark Eybesfeld (Foto: Mraček)

©: Wenzel Mraček

Matta Wagnest, Mio Shirai, “Watched While Sleeping”, 1994 (Foto: Mraček)

©: Wenzel Mraček

Horáková & Maurer, „Tramway 530“, 1992 (Foto: Mraček)

©: Wenzel Mraček

Clara Ianni, “Resurrection”, 2024, Videostill (Foto: Mraček)

©: Wenzel Mraček

In einer Ausschreibung an Künstlerinnen und Künstler, datiert mit 1. Oktober 1992, luden die Unterzeichner Werner Fenz, Michael Zinganel und Ruth Maurer zur Teilnahme an einem „längerfristigen Kommunikationsprojekt mit dem Titel KUNST HEIMAT KUNST“ ein. Das als „interkulturell“ beschriebene Projekt entstammte einer Idee des Grazer Kunsthistorikers und Kurators Werner Fenz (1944 - 2016) und fand schließlich in drei Phasen von Mai 1992 bis Oktober 1994 als Programmteil des steirischen herbst statt.

Aus heutiger Sicht und im PS der Einladung vermerkt, ein für das „Kommunikationsprojekt“ nicht uninteressantes Detail zur damals noch beabsichtigten Schlusspräsentation im steirischen herbst ´93 (ein Durchgang sollte dann doch noch folgen): In der Zeit kurz vor Etablierung des www war beabsichtigt, ein gerade noch angewendetes und nur auf Apple laufendes „Hypercardprogramm“ als dokumentarischen Katalogzusatz zu erstellen, was sich spätestens 1994 als obsolet erwies.

Jetzt, im steirischen herbst, der unter dem Motto Horror Patriae mit diversen Zugängen zum Begriff Heimat befasst ist, sind im Forum Stadtpark Dokumente aus dem Archiv von Werner Fenz zu sehen, die KUNST HEIMAT KUNST als REVISITED in Erinnerung rufen. Fenz, der ab 1993 (bis 1997) die Neue Galerie leitete, auf dessen Initiative später, 2006, das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark (Leitung bis 2011) eingerichtet wurde, monierte in einer Konzeptschrift zu KUNST HEIMAT KUNST (hier in der Folge KHK) von 1993, dass sich der „Ausstellungsbetrieb im Umbruch“ befinde. KHK sei ein Modell gegen „die Idee der Grossausstellung [sic.] oder der grossmäuligen [sic.] Inszenierung“. Deshalb verschreibe sich KHK „dem Prinzip der Dekonstruktion, […] der Virtualität und der Fraktalisierung“. Was in Revision dem damals üblichen Kunstsprech gleichkam und sich angesichts der umgesetzten künstlerischen Konzepte meines Erachtens auch heute nicht so recht erschließt, propagierte Fenz als „dialogische[s] Prinzip von vernetzten Strukturen“ und als „Innovation im Ausstellungsbetrieb“. Dem „Kommunikationsprojekt“ freilich wurde man mit der Intention gerecht, das Graz mit der Umsetzung von KHK „der Ort der Bündelung eines interkulturellen Netzwerkes“ war. Dagegen aber müsste man sich fragen, was im organisatorischen Sinn denn so neu gewesen sein mag, wenn man von zentraler Stelle Kunst(werke) initiierte, abgesehen von einem Konzept, nach dem sich internationale Künstler:Innen mit dem aus dem Deutschen nicht zu übersetzenden Begriff Heimat beschäftigen.

Und wiederum in Nachbetrachtung und angesichts der rezenten Ausstellung im Forum Stadtpark erweist sich, dass es weniger um den Begriff von Heimat, vielmehr um mit dem spezifischen Ort verbundene Kunst(werke) ging, die schließlich in Präsentationen in Graz dokumentiert wurden. Also wie auf dem Hypercardprogramm als Abbildung übermittelt wurden (resp. werden sollten) und eigentlich in weiten Teilen nicht anders wahrgenommen werden konnten als jetzt in KHK Revisited. Nichtsdestotrotz seien hier einige Projekte aus der Zeit 1992 bis 1994 hervorgehoben aus etlichen, die ausgeführt waren in Baden, Antwerpen, Berlin, Korsika, Potsdam, Ljubljana, St. Petersburg, Jöss, Tokio, Kapstadt und Graz.

Für KHK I (1992) installierte Kurt Buchwald eine Schwarze Scheibe im Bereich des Marx-Engels-Forum in Berlin. Durch eine Öffnung in der Scheibe war der Blick von Besuchern auf Details der Umgebung fokussiert, ähnlich dem Blick durch ein Kameraobjektiv. 1994 dann, während KHK III, hatte Buchwald im Grazer Künstlerhaus das Amt für Wahrnehmungsstörung eingerichtet, von dem alle Grazer:Innen aufgefordert waren, „sich wahrnehmen zu lassen“. Wahrgenommenen wurde ein „Wahrnehmungsvetrag“ ausgehändigt.

Der ab 1993 involvierte Schweizer Kurator Paolo Bianchi brachte die Züricher Marcel Biefer und Beat Zgraggen ins Programm. Mit Vertikale Evakuierung thematisierten die Künstler die „heilige Formel des schweizerischen Zivilschutzes“, im Kriegs- oder Katastrophenfall „alles unter der Erde zu verbunkern, um nach der Zerstörung […] wieder zum ‘Weiterleben’ aufzutauchen“. Biefer und Zgraggen schaufelten Löcher in die Landschaft, um „die über der Kultur lagernde Gesellschaft zu untergraben“ (Interview mit Franz Niegelhell in Neue Zeit).

Die Österreicherin Matta Wagnest und die Japanerin Mio Shirai fotografierten 1994 für Watched While Sleeping in Tokio. Ausgehend von dem Phänomen, dass Japaner in U-Bahnen, Zügen oder öffentlichen Plätzen zwischendurch Schlaf suchen, luden die Künstlerinnen Menschen ein, in einer Galerie zu schlafen.

In der Zeit der Jugoslawienkriege errichtete die Künstlerformation IRWIN 1993 unter dem Titel Transcentrala in einem Laibacher E-Werk einen imaginären Staat namens NSK, Neue Slowenische Kunst. 1994 bezogen sie das NSK Passport Office im Grazer Künstlerhaus und stellten unter anderem Werner Fenz einen NSK-Pass aus.

Wirklichkeit, Bild und Abbild thematisierte das österreichische Duo Horáková & Maurer, indem sie das vergrößerte Deckblatt einer Polaroid-Bild-Packung auf eine Grazer Straßenbahngarnitur affichierten. Die Tram war damit Bildträger, die Fenster Bilderrahmen.

Im Palais Attems war im selben Jahr 1992 das art office eingerichtet, in dem „ein Echo der externen Auftragswerke von KUNST HEIMAT KUNST“ in Form von Mail Art, Faxen, Briefen, Zeitungs- und Fernsehberichten“ einlangte. Bevor, wie schon erwähnt, das Internet erfunden wurde.

Teil der Ausstellung ist auch das vom steirischen herbst und der Stadt Graz vergebene Werner-Fenz-Stipendium für Kunst im öffentlichen Raum. Nach Juryentscheid (https://www.kultur.graz.at/kulturamt/189) erging die Vergabe an die Brasilianerin Clara Ianni für ihr Projekt Resurrection. Ein Video der Performance vom 21. September beginnt mit einem Ritual im Grazer Mausoleum zu Chormusik, es folgt ein Umzug in den Stadtpark, wo die Errichtung eines ephemeren Denkmals inszeniert wird. Die eigentlichen Protagonisten sind dabei aber Requisiten aus den Depots der Vereinigten Bühnen: Künstliche Steine, Bäume und Blumen werden quasi „zurück in die Natur gebracht“, so die Erläuterung in der Ausstellung, „um eine politische und ökologische Fiktion zu schaffen, in der nichts stirbt und Menschen und Nichtmenschen zu Kameraden werden“.

„Der Worte“, sagt der Direktor im Faust, „sind genug gewechselt“ – meint der Wolkenschaufler, weil Clara Ianni in ihrer Arbeit auch noch „die Beziehung zwischen Natur, Kapitalismus und Religion“ erforscht. Das muss mir angesichts des Videos wohl entgangen sein.

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