Ein Blick in die Berge ist immer auch ein Blick auf die Architektur*en und die Versprechen und Sehnsüchte, die damit einhergehen, vor allem hier, vor allem in den Bergen. Eines der Größten in diesen Landschaften ist das Chalet.
Die Distanz zwischen Ursprung und Gegenwart des Begriffes sowie dessen Funktion*en könnte nicht weiter sein, erzählt nicht zuletzt konsequent die Formulierung von Leerstellen einer Erlebnisgesellschaft. Am Beginn des Chalets steht der Schutz, der geschützte Ort. Abgeleitet vom präromanischen cala (1) meint es zu Beginn bzw. im 18. und 19. Jhd. ein seit dem 14. Jhd. in der frz. Schweiz dokumentiertes, praktisches, meist auf einem Steinfundament errichtetes Haus, einen gut bewirtschafteten Bauernhof. In diesen Häusern wird nur selten geschlafen, und wenn, dann nur zu bestimmten Zeiten im Jahr. Auf die Hütte gehen bedeutet bis zum 19. Jhd., im Frühjahr und Sommer auf der Alm zu arbeiten. Die an den Hang geduckten Häuser, (...), sind vor allem Nutzbauten, sie sind Teil einer regionalen und ländlichen Wirtschaft (2), solange, bis der Tourismus des 18. Jahrhunderts auf seinem Weg zu den Ruinen der römischen Antike die Alpenlandschaften der Schweiz für sich entdeckt und mit diesen die Chalets an und in den Hängen. Es ist die Geschichte einer ersten Begegnung, wie es in der Dokumentation weiter heißt. Sich durch diese Geschichte einer Begegnung, die Geschichte des Chalets zu lesen, hören und sehen, bedeutet, wie der Historiker Patrick Boucheron feststellt, zu den Wurzeln der wirtschaftlichen, politischen und existenziellen Moderne zurückzukehren (3). Die Beobachtungen und Begegnungen der Reisenden werden überführt in Bilder, Bilder, die einer Idee entsprechen und Sehnsucht folgen. Einer Sehnsucht, die zunächst formuliert wird in den Parks der Aristokratie, später und angetrieben durch die Produktionsbedingungen und -möglichkeiten der Industriellen Revolution sowie der damit einhergehenden Transportwege per Zug oder Schiff quer über den europäischen sowie den nordamerikanischen Kontinent. Das Chalet wird zur Nippesfigur, (...), die Architektur löst sich (...) von ihrem Herkunftsort und schwärmt aus (4), mehr noch, es wird zum Wirtschaftsgut, (...) zu einem mobilen Möbelstück (5), selbst zum Ausdruck kolonialer Eroberung.
Das 20. Jahrhundert sieht einen verstärkten Fokus auf die Chalets im Alpenraum. Mittlerweile völlig losgelöst von seiner ursprünglichen Funktion, ist es die Fortschreibung einer ästhetischen Idee und Vorstellung, einer Idee und Vorstellung, in deren Zentrum Flucht und Rückzug aus der Stadt, dem Alltag, der Arbeit stehen, die Sehnsucht nach einem ruhigen, einfachen Leben. Bis heute reichen die exotisierenden Sehnsuchtsbilder, die Formulierung einer Fiktion der Aristokratie und des Bürgertums des 18. und 19. Jahrhunderts. Es sind dies Sehnsuchtsbilder, die mittlerweile erweitert und verstärkt werden, um die wants und needs einer weiter oben genannten Erlebnisgesellschaft, Bilder, die sich der Begrifflichkeiten, ebenso wie deren Herkunft und -leitung entweder nicht (mehr) bewusst sind oder für die es auch keine Rolle spielt.
An den sich daraus ergebenden Leerstellen wird weiter konsequent und konsequenzlos gleichermaßen gearbeitet. Was es bräuchte, als Wunsch formuliert, wäre ein Verständnis und Bewusstsein für die Landschaft und die Geworden- und Gemachtheit dieser sowie für die Architektur*en, die aus ihr heraus entstanden sind.
______________ Quellen
1 Sylvain Malfroy: Chalet, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 14.07.2005, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/011001/2005-07-14/
2 Unterschiedliche Sprecher*- bzw. Erzähler*innen in der ARTE Dokumentation Das Chalet. Online: https://www.youtube.com/watch?v=6erWvtIjKeY
3 Ebda.
4 Ebda.
5 Ebda.