Einen bis heute noch wenig erforschten und geheimnisumwitterten Bereich in der Geschichte der Publizistik bilden die so genannten Tarnschriften. In unverdächtigem Gewand sollten sie in Form von Broschüren oder Büchern dazu dienen, politisch brisante Informationen und subversives Material vorwiegend in autokratischen Systemen unters Volk zu bringen. Diese Tarnschriften zeichnen sich dadurch aus, dass im Regelfall Titelblatt bzw. der Umschlag oder der Einband der Publikation einen anderen Inhalt der Lektüre vortäuscht. Diese mit wenigen Ausnahmen anonym hergestellten Schriften versuchten, mit Hilfe ihrer tarnenden Hülle die Zensur zu umgehen, und wurden mit Vorliebe in heißen oder kalten Kriegen häufig als Propagandamittel in unterschiedlichsten Formen eingesetzt.
Die Ausstellung Tarnschriften – verborgene Information zeigt noch bis 22. Februar 2013 im ehemaligen Entlehnsaal der Steiermärkischen Landesbibliothek Graz (Joanneumviertel) eine repräsentative und in diesem Umfang noch nie gezeigte Auswahl zu einem bislang wenig beachteten Thema der mitteleuropäischen Kulturgeschichte. Unter der Projektleitung von Christian Marczik (Intro-Graz-Spection) haben die Kuratoren Emil Gruber und Wenzel Mraček auf begrenztem Raum eine gelungene Übersicht zu dieser bemerkenswerten Literaturgattung geschaffen. Der Schwerpunkt der Präsentation liegt auf dem 20. Jahrhundert, die sich in drei inhaltliche, sich ergänzende Abschnitte gegliedert ist.
Der erste Block gibt einen Eindruck vom politischen Publikationsmaterial von der Widerstandsliteratur im Nationalsozialismus und alliierte Propaganda über den kalten Krieg bis hin zur Autonomen Szene der Gegenwart. Eine wichtige Ergänzung bilden Briefmarken und Banknoten als Propagandainstrumente in der psychologischen Kriegsführung.
Als Vehikel für die Präsentation dient die Installation Sphinx (Ortlos Space Engineering), die mittels Folien Innen- und Außenansichten vermittelt sowie per Touchscreen auch eine interaktive Auseinandersetzung mit den Medien ermöglicht, deren rare Originale geschont werden sollen. Am Kopf der Sphinx wird den BesucherInnen in einem Video die Funktion der Tarnschriften vermittelt.
Den zweiten Bereich der Ausstellung bilden Beispiele für erotische Literatur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren Verbreitung in der Monarchie wie auch in den autoritären Systemen mit strengsten Strafandrohungen verfolgt wurde, insbesondere wo sie gleichgeschlechtliche Sexualität thematisierte. Häufig erfolgte hier eine Tarnung als wissenschaftliches Werk.
Im dritten Teil stehen Tarnschriften in der modernen Kunst im Mittelpunkt, wie Ellsworth Kellys Drawings on Bus, die sich in einem Einband mit dem Titel Bauen in Eisenbeton verbergen. Für lokales Kolorit sorgen Beispiele von Kunstobjekten von fünf Grazer bzw. einem Berliner Künstler(team), die eingeladen wurden, anhand eines medizinischen Nachschlagewerks aus der Zeit um 1900 eigene Ideen gestalterisch in Form von Installationen einzubringen. Die sehr verschiedenen Ergebnisse anhand des jeweils gleichen Ausgangsmaterials von Fedo Ertl, e. d gfrerer, pappsatt, Arnold Reinisch, Herbert Soltys und zweintopf sind durchwegs originäre Kunstwerke, die sich kreativ und auch humorvoll mit dem Thema verborgene Information auseinandersetzen. Ein informativer Begleitkatalog im tarnenden Gewand einer Tageszeitung liefert interessante Textbeiträge sowie eine reiche Auswahl an Illustrationen zu diesem faszinierenden Thema.