Sieben unlautere Fragen, die sich die Baukulturvermittlerin manchmal über kommunale Raumplanung stellt und deren Diskussion sie sich in der Baukulturpolitik wünschen würde.
Was ist Raumplanung und wer weiß das überhaupt?
Ich bin keine Raumplanerin. Gerne wäre ich Urbanistin geworden, wofür es in Österreich aber leider kein Studium gibt. Wenn ich sage, „mein Bruder ist Raumplaner“ (mit ihm habe ich als Studentin jahrelang zusammengewohnt und auch diesen Artikel mehrfach diskutiert), stellen sich gar nicht so wenige Nicht-Architekten-oder-Planer-Freunde einen Innenarchitekten vor. Wenn vom Studium Raumplanung und Raumordnung die Rede ist, denken manche: „Eigentlich ganz praktisch, wenn der Innenarchitekt auch noch Ordnung schafft.“ Oder gar: „Seit wann muss man denn studieren, um zusammenräumen zu gehen?“ Gut, auch über die Arbeit von ArchitektInnen gibt es viele Missverständnisse und vielleicht steht es um das Unwissen über Raumplanung nicht mehr ganz so schlimm wie vor zehn oder zwanzig Jahren, aber es scheint (noch) nicht allgemein bekannt zu sein, was RaumplanerInnen machen. Und man kann dieses Wissen auch in der Baukulturvermittlungsarbeit in Gemeinden nicht voraussetzen.
Wo bleibt der Raum?
Der Flächenwidmungsplan (in anderen Ländern Flächennutzungsplan genannt) ist das wichtigste Werkzeug der modernen Raumplanung. Der FläWi-Plan (wohlgemerkt Fläche und nicht Raum) zeigt die Gemeinde in ihren Grenzen (und keinesfalls darüber hinaus), wobei jedes Grundstück in einer bestimmten Farbe ausgemalt wurde. Die vielen kleinen Figuren, die die Gebäude darstellen, wurden einfach übermalt; Bäume wurden erst gar nicht eingezeichnet. Weiß bleibt nur .... die Straße, wenn überhaupt.
Hier beginnen schon gewisse Schwierigkeiten: Aus Raum wird Fläche. Schließlich lassen sich Privatisierung und Abgrenzung schwer vereinbarer Nutzungen in der Fläche (zumindest auf dem Papier) sehr viel leichter regeln als im Raum. Die raumbildenden Elemente verschwinden hinter der Farbe der festgeschriebenen Funktion und hinter den Kürzeln und Ziffern des mancherorts integrierten Bebauungsplans. Durch farbenfrohen Funktionalismus entsteht ein scheinbar vernünftig geordnetes Bild. Im Vordergrund steht leider oft die kurzfristig gedachte Verwertung der Flächen, deren mögliche langfristige räumliche, soziale und ökologische Folgen zu wenig bedacht und nur selten visualisiert werden.
Wo bleibt die Vielfalt?
Wo sich auf einer Fläche mehrere Nutzungen etabliert haben – im Erdgeschoß Geschäftslokale, darüber Wohnungen, dazwischen vielleicht Büros, eine Werkstatt, ein kleiner Kindergarten oder gar ein nutzungsoffener Raum – findet sich die Bezeichnung GB – Gemischtes Baugebiet. Oft sind das jene Bereiche, die schon lange vor der Einführung von Flächenwidmungsplänen bestanden haben. Falls Multifunktionalität auch in Neubaugebieten gewünscht ist, wird z.B. ein Quartiersmanagement eingerichtet, das Nutzungsmix und Multikulti bringen soll. Der Flächenwidmungsplan ist ja schließlich nicht das einzige Instrument der kommunalen Raumplanung: Leitbilder, BürgerInnenwerkstätten, Entwicklungs- und Mobilitätskonzepte, Befragungen und ExpertInnenworkshops ergänzen mittlerweile den Werkzeugkoffer. Aber am Ende und meist als einziges verbindliches Dokument neben der Bauordnung stehen dann doch wieder der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan.
Wo bleibt die Frage nach Raum und Zeit?
Raumplanung ist dem Wesen nach untrennbar mit Raum und Zeit verbunden. Es gibt zwar eine grobe Unterscheidung in Bau- und Bauerwartungsland und als Reaktion auf die Unzulänglichkeit der Widmungspolitik, Spekulation zu verhindern, mittlerweile Versuche der „Baulandwidmung mit Ablaufdatum“ als Teil der Vertragsraumordnung. Manche Gemeinden, wie etwa Weyarn in Bayern, experimentieren auch mit Erbbaurechtsmodellen, was der Gemeinde langfristig mehr Spielraum lässt, da der Boden im kommunalen Eigentum bleibt. (1)
Insgesamt bleibt jedoch die Zeit ein stark vernachlässigtes Element. Nirgends ist festgeschrieben, dass etwa Grundstücke am Ortsrand erst dann bebaut werden dürfen, wenn alle zentrumsnahen Flächen aufgebraucht sind. Und kaum jemand stellt sich bei der Erschließung von EFH-Gebieten vor, was es bedeutet, wenn aus Einfamilienhäusern nach und nach Ein-Senioren-Häuser werden. Wenn die Zeit ins Spiel kommt, dann oft weit unter dem Maß, das eine notwendige Strukturierung eines langfristigen Prozesses leisten könnte. Und dazu gehört auch das Mitbedenken des Obsolet-Werdens und sich Zeit zu nehmen für Erfassung von Brachen, Umnutzung von Leerständen, Abriss und Rückbau.
Widmen oder widmen lassen?
Selbst in Fachmedien kann man hierzulande Sätze wie folgende lesen: Die Bauherren „erwarben rund zwei Kilometer südöstlich des Halleiner Autobahnknotens ein Wiesenstück, das vor mehreren Jahren ein ansässiger Bauer zur Bauparzelle umwidmen hat lassen.“ Ein Grundstück, von dem aus „abgelegen vom dörflichen Leben kein Geschäft oder Lokal zu Fuß erreichbar ist.“ (2)
Solche Fälle wären etwa in Deutschland viel schwerer möglich, einerseits weil das Bauen im Außenbereich strenger reglementiert ist aber auch weil es in der Widmungspolitik mehr Kontrolle durch den Landkreis gibt. Doch auch in Deutschland werden kommunale Entscheidungsträger unter Druck gesetzt: „Der Investor der von uns abgelehnten Autohofs hatte angeboten, als Gegenleistung den Neubau des Kindergartens zu finanzieren“, berichtete ein Bürgermeister aus Bayern im Interview im Rahmen des Forschungsprojekts „Baukultur in ländlichen Räumen“.
Solange Bauen ein Geschäft ist, wird es neben dem Widmen auch das „Widmen lassen“ geben. Und wo Grundbesitzer nur zum Bürgermeister gehen müssen und sich keine übergeordneten Instanzen einmischen, haben private Widmungswünsche ein besonders leichtes Spiel.
Warum wird anders gebaut als geplant?
Die Farben, Kürzel und Zahlen des Plans und die dazugehörigen Gesetzestexte sagen genau, was wo erlaubt ist und welche Fläche in Zukunft in welchem Maß verwertet werden darf und soll. Entweder öffentlich oder privat! Entweder Gewerbe- oder Naherholungsgebiet! Entweder Kommerz oder Konsumzwangfreiheit! Ob dann gebaut und gelebt wird, was erlaubt ist, steht auf einem anderen Blatt. Dass ein enormer Anteil des öffentlichen Raums zur Abstellfläche von Privatfahrzeugen mutiert ist, während nach § 78 der StVO Fußgängern sogar das grundlose Stehenbleiben verboten ist, weil dies den Fußgängerverkehr behindern könnte, ist nur einer von vielen Widersprüchen.
Oder, wenn in der Umsetzung dann nicht-kommerzielle doch verwertbaren Nutzungen weichen müssen und sich das eine oder andere Einkaufszentrum von den zuerst genehmigten 5.000 Quadratmetern zusammenhängender EKZ-Fläche binnen weniger Jahre auf 50.000 Quadratmeter Verkaufsfläche ins ehemalige Grünland ausdehnt, wird schon mal ein Auge zugedrückt. Schließlich wurden 700 schöne Arbeitsplätze versprochen.
„Wo ist da die Raumplanung?“ fragt sich zu Recht Silvia Hartleb, Gründerin des Vereins Raumordnung Steiermark im Film „Global Shopping Village“ mit Blick auf die Arena Fohnsdorf und die sterbende Judenburger Innenstadt. (3)
„Man braucht keine neuen Raumplanungsgesetze zu erfinden, man müsste sich nur an die halten, die es gibt“, heißt es immer wieder von ExpertInnenseite.
Wenn die Dinge trotz der vielen nützlichen Gesetze etwas anders gebaut wurden, als vorgesehen, gibt es das ebenfalls sehr nützliche Werkzeug der Planänderung. Manch junger Raumplaner oder junge Raumplanerin hat als ersten Job die Aufgabe, die etwas anders gebauten Dinge im Flächenwidmungsplan nachzutragen, sodass es am Ende wohl oder übel so aussieht, als wären sie von Anfang an so geplant gewesen. Das ist sehr lehrreich, denn so weiß der junge Raumplaner gleich zu Beginn seiner Karriere, wie der Hase läuft.
Etwa, dass Planung vielfältig aussehen kann und nicht immer die vorausschauende Konzeption von Plänen und Strategien darunter zu verstehen ist, auf die sich eine Gemeinschaft geeinigt hat und die auch dementsprechend zur Umsetzung gelangen soll. Dass es bei einer guten Planung auch um genügend Offenheit für geänderte Rahmenbedingungen anstatt der Festschreibung starrer Korsette geht, sei hier nicht in Abrede gestellt. Doch wer genau bestimmt, dass sich die Bedingungen in einem so großen Maß geändert haben, dass auch der gefasste Plan geändert werden muss? Und wo liegt die Grenze zwischen gerechtfertigter Anpassung und Nachtragung, an der festgestellt werden müsste: Das hat jetzt mit Planung aber nichts mehr zu tun! Sondern eher mit einem Hinterherhecheln hinter den herrschenden Verhältnissen und ihren üblen Sachzwängen. Oder ist bei Licht betrachtet Raumplanung überhaupt nur in einem System sinnvoll möglich, wo es wirklich um einen gemeinsamen Beschluss über den Einsatz der Ressourcen für die Reproduktion geht?
Wer plant das Widmen und wer plant das Rückwidmen?
Zahlreiche Gemeinden legen in ihren räumlichen Entwicklungskonzepten kluge Leitlinien fest, um in Zukunft sorgsam mit ihren Räumen und Flächen umzugehen. Dann kommt Herr X (fast nie: Frau X) und sagt, er würde am Ortsrand gerne einen Supermarkt oder noch besser ein kleines Einkaufszentrum entwickeln. Die gewissenhaft agierenden Entscheidungsträger berufen sich auf ihr Leitbild und lehnen ab. „Na gut. Mir wäre es hier zwar lieber gewesen, aber die Nachbargemeinde hätte auch Interesse. Da das neue Center sowieso an der Gemeindegrenze liegt, werden Ihre Leute gerne dort einkaufen aber Ihre Gemeinde geht bei den Steuereinnahmen leer aus“, sagt Herr X. Die Errichtung eines umstrittenen Windparks und einer Großtankstelle werden mit demselben Argument beschlossen. Wie sehr die Hoffnung auf Steuereinahmen die Widmungspolitik beeinflusst, zeigt auch folgende Aussage eines Bürgermeisters aus Schleswig-Holstein: „Wenn ich dieses Jahr die neue Umfahrung bauen will, muss ich zusehen, dass sechs weitere Windräder im Gemeindegebiet genehmigt werden.“
Am Ende bauen fast alle Gemeinden ihr eigenes Einkaufszentrum beim jeweiligen Kreisverkehr an der jeweiligen Gemeindegrenze und wundern sich, dass die Geschäfte und Gasthäuser im Ortskern verwaisen oder einige Zeit später sogar die eine oder andere Fläche im neuen Einkaufszentrum wieder leersteht.
Diese Zusammenhänge kennen wir mittlerweile seit Jahrzehnten. Es fragt aber kaum jemand nach den Ursachen der Zwangslage, die die gegeneinander ausgespielten Gemeinden daran hindert, ihre klugen Pläne auch auszuführen. Wenn die Baukulturvermittlerin die Totalität der Konkurrenz ins Spiel bringt, aus der weder Gemeinden noch Individuen einfach ausbrechen können, wird von ihr nichtsdestotrotz eine Lösung gefordert werden, die der Gemeinde XY in ihrer aktuellen Lage irgendwie weiterhilft.
Einkaufszentren an ungeeigneten Standorten lassen sich vielleicht noch abwehren, insbesondere wenn die Entscheidungen darüber zumindest auf regionaler Ebene getroffen werden würden. Noch komplexer wird es allerdings, wenn es um das Übermaß an gewidmetem Bauland geht. Das betrifft fast jede Gemeinde Österreichs. Doch nur ganz wenige BürgermeisterInnen haben es gewagt, größere Flächen in Grünland rückzuwidmen. Anerkennung haben sie kaum bekommen, denn eine gerettete Wiese hinterlässt auch in der Medienlandschaft viel weniger Spuren als ein topinszenierter Spatenstich.
Eine großflächige Rückwidmung könnte nur durch eine bundesweite Maßnahme gelingen. Doch da das Prädikat Bauland u.a. von Banken als Kreditsicherung gewertet wird, wäre dies fast schon ein revolutionärer Akt.
Und Raumplanung und Revolution in einem Atemzug zu nennen, hat bis jetzt noch kaum jemand gewagt.
Judith Leitner ist Baukulturvermittlerin und Mitarbeiterin im Verein LandLuft mit Schwerpunkt Forschung und Vermittlung.
(1) Alle im Artikel genannten Beispiele aus Deutschland beziehen auf das
Forschungsprojekt „Baukultur in ländlichen Räumen“:
http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/Sonderveroeffe...
(2) Norbert Mayer: Der Mensch als Gast. In: architektur.aktuell, 5/2007, S. 100
(3) http://www.globalshoppingvillage.at/?nID=66&lang=1#Essay