09/03/2024

Die bis Ende 2024 zu erwartende Rezension veranlasste Wirtschaftskammer und Vertreter der Bau-Holz-Gewerkschaft, jüngst ein Konjunkturpaket für die kränkelnde Baubranche zu schnüren. Die darin vorgesehene nicht rückzahlbare Förderung für Häuslebauer mit bis zu 100.000 Euro war allerdings rasch wieder vom Tisch.

09/03/2024

Landschaft und Lebenssinn

©: David Schreyer

Sophie Ronaghi-Bolldorf

©: Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen Arch+Ing

Daniel Fügenschuh, Foto: Katharina Schiffl

©: Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen Arch+Ing

Peter Maydl

©: Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen Arch+Ing

Günter Katherl, Foto: Sandra Schartel
 

©: Kammer der ZiviltechnikerInnen Wien, Niederösterreich, Burgenland

Klaus Thürriedl, Foto: Katharina Schiffl

©: Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen Arch+Ing

Kritik daran ließ nicht lange auf sich warten. Auch die ZT Bundeskammer der Ziviltechniker:innen Österreichs meldete sich zu Wort. Der Grundtenor: Angesichts des bereits hohen Bodenverbrauchs in Österreich sei die Förderung weiterer Zersiedelung und Versiegelung der Landschaft untragbar. Der Fokus müsse vielmehr auf Sanierung und Verdichtung liegen. Mittlerweile haben die Regierungsparteien ein umfassendes Wohnbaupaket angekündigt. Neben der Förderung von 20.000 neuen Wohnungen, soll es den Handwerkerbonus mit maximal 2.000 Euro für jeden geben und die Möglichkeit für die Länder Leerstandsabgaben einzuheben. Der Häuslebauerbonus scheint Geschichte.

Verantwortungsvoll agieren

Die Berufsvertretung der Architekt:innen und Zivilingenieur:innen Österreichs ist sich ihrer Verantwortung bewusst. Mit einem Positionspapier „Klima, Boden & Gesellschaft“ möchte man ein radikales Umdenken in Bodenpolitik und Baubranche anstoßen. Verfasst im Ressort Zukunft Lebensraum der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen will man Politik und Wirtschaft auffordern, gemeinsam nach Lösungen zu suchen und alte Muster hinter sich zu lassen. Zu den Bereichen „Boden“, „Rohstoffe, Ressourcen und Kreislaufwirtschaft“ und „sozialer Frieden, Wohnbau und Leerstand“ sollen Lösungsansätze zum radikalen Umdenken der Gesellschaft und der Bauwirtschaft beitragen. Produktive Böden täglich weiterhin im Umfang der oft zitierten 16 Fußballfelder zu verbauen, bedeute einen Verlust biologischer Vielfalt und Versorgungssicherheit und ein Anheizen des Klimawandels. Das Haus auf der grünen Wiese könne und wolle man sich nicht mehr leisten. Höchste Zeit zu handeln, gemeinsam.

Nachverdichten, nicht Zersiedeln

Österreich ist bereits fertig bebaut“, heißt es dazu etwas provokant formuliert in einer Presseaussendung der ZT Bundeskammer. „Aktuell auf Neubauten und somit auf Versiegelung zu setzen, um die Bauwirtschaft anzukurbeln wäre, als würden Ärzt:innen eine weitere Pandemie fordern, um mehr Patient:innen behandeln zu können. Planer:innen sind ein wichtiger Teil der Bauwirtschaft. Architekt:innen und Zivilingenieur:innen wissen: Wir müssen Verantwortung für die Zukunft tragen und daher konsequent die Nachhaltigkeit in den Fokus der Bauwirtschaft stellen“, so Architekt Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der Ziviltechniker: innen.

Kreislaufwirtschaft und Ressourcen

Anstatt hochwertigen Bestand zu sanieren, fällt oft die Entscheidung für Abbruch und Neubau. Denn: je größer die neu geschaffene Nutzfläche, desto größer der ökonomische Profit – aber auch dementsprechend mehr verbrauchte Ressourcen, emittierte Treibhausgase und Abfallproduktion“, kritisiert Peter Maydl, stellvertretender Vorsitzender des Ressorts Zukunft Lebensraum der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen. Ein Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter sei unbestritten dringlich, so Maydl. Energiegewinnung aus Verbrennungsprozessen müsse ein Ende haben. „Wir haben kein Energieproblem, sondern ein Emissionsproblem, ein Versorgungs- und Verteilungsproblem. Eine Umstellung von fossiler zu erneuerbarer Energiegewinnung muss schnell erfolgen“, meint Maydl. Und die Zeit dränge. Daher brauche es zukunftsorientierte Lösungen wie etwa die Energieraumplanung, in deren Rahmen sich mehrere Liegenschaftseigentümer in Quartieren zusammenschließen und erneuerbare Energie wie Photovoltaik, Erdwärme o. Ä. gemeinsam nutzen.

Der Bausektor als größter Verbraucher von Rohstoffen ist mit 75 Prozent unseres gesamten österreichischen Abfallaufkommens auch dessen größter Verursacher. Recycling allein werde nicht ausreichen, es brauche Bestandserhaltung und Sanierung. Die 2007 in einer Studie des Wirtschaftsförderungsinstituts geforderte Sanierungsquote von 3 Prozent sei nicht einmal annähernd erreicht. „Wir müssen in Zukunft eine Lebenszyklus-Treibhausgasbilanz bei Gebäuden erstellen, beginnend mit der Planung bis zum voraussichtlichen Ende der Nutzungsdauer, über etwa 50 Jahre oder länger. Bestand sanieren, heißt, die Tragstruktur eines vorhandenen Gebäudes nicht rückzubauen, was mit Emissionen verbunden ist, sondern weiterzunutzen, um die Reduktion eines erheblichen Anteils an Rohstoffverbrauch, Abfall und Treibhausgasemissionen sicherzustellen. Die Aufgabe der Ziviltechniker:innen muss sein, Auftraggeber:innen über die Möglichkeiten zu informieren, und so unter Berücksichtigung deren Interessen auch für Umwelt und Volkswirtschaft die optimale Lösung zu finden“, schließt Maydl.

Jedes Kind lernt heutzutage, seinen Müll zu trennen. Wenn man bedenkt, dass 75 Prozent der Abfälle aus der Baubranche kommen, erkennt man, dass hier die großen Hebel liegen, die endlich bewegt werden müssen. Wir haben jahrelang zugesehen und waren auch ein Teil des Problems. Jetzt soll damit Schluss sein“, fordert Architekt Günter Katherl, der Vorsitzende des Ressorts Zukunft Lebensraum. Ziviltechniker:innen möchten Ihr Knowhow verstärkt einsetzen und Problemlöser sein.

Klaus Thürriedl, Vizepräsident der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen und Experte für Wasserwirtschaft ergänzt: „Der Paradigmenwechsel stellt auch auf unseren Umgang mit Ressourcen ab. Unsere Anforderungen an den Wasserbedarf werden sich ändern müssen, weshalb wir heute zum Beispiel schon vermehrt auf Rückhaltebecken für Regenwasser setzen sollten“.

Zivilgesellschaft einbeziehen

Bewusstseinsänderungen anzustoßen sei auch eine Frage der Bildung, unterstreicht Maydl. Und meint hier nicht die Ausbildung von Fachleuten, sondern die Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung. Auch wenn ein emotionsloser Diskurs, auf der Suche nach der besten Lösung nicht immer einfach zu führen sein wird, wie die jüngste Diskussion über die Eigenheimförderung zeigt. „Wir brauchen eben alle mit an Bord. Der Green Deal geht nicht, ohne dass alle den Konsens mittragen“, ergänzt Thürriedl.

Man möchte Innovationen stärken, dabei aber auch das Wiedereinsetzen und Recyceln von Bauteilen und Materialien durch normative Rahmenbedingungen vermehrt gefördert wissen. „Wichtig ist es dabei auch Best-Practice-Beispiele entsprechend zu kommunizieren“, wie Sophie Ronaghi-Bolldorf einwirft.

Mit dem Positionspapier richtet man sich nicht nur an Bauwirtschaft und Behörden, sondern, möchte auch bei den eigenen Kammermitgliedern meinungsbildend sein. „Das ist ganz wichtig, denn unsere Berufsgruppe zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie im direkten Kontakt mit der Bevölkerung steht, auf Augenhöhe, nicht wie die Politik, die meist nur über öffentliche Kanäle kommuniziert“, meint Fügenschuh und hebt weiter hervor: „Wir kämpfen mit unseren Argumenten für die gute Sache und trachten, die öffentliche Diskussion wieder auf Spur zu bringen“. Vor allem in den Bereichen Energie und Wohnen müssten Bürger:innen vermehrt eingebunden werden.

Wenn wir billig bauen, zahlen wir in der Zukunft drauf. Darum brauchen wir Kostenwahrheit, indem wir neben Umwelt- und Lebenszykluskosten die soziale Integration mitdenken“, unterstreicht Architektin Ronaghi-Bolldorf. Die Ziviltechniker:innen sind sich dessen bewusst, dass auch in Zukunft gebaut werden wird, „aber wir müssen mit dem aktuellen Umfang an Flächen auskommen. Unterstützen würde dies ein Bundesrahmengesetz für Raumordnung und Energieplanung“, wünscht sich Klaus Thürriedl.

Auch in Bezug auf Leerstand müssen Maßnahmen gesetzt werden. „Solange es rentabler ist, eine Immobilie leer stehen zu lassen, läuft etwas schief. Ein erster Schritt, dies zu beenden, wäre die Einführung eines bundesweiten Leerstandsmonitorings“, meint Ronaghi weiter. Ziviltechniker:innen stehen an der Schnittstelle zwischen Politik, Bauherr:innen, Auftraggeber:innen und letztlich den Nutzer:innen. „Ein wichtiger Anteil unserer Tätigkeit als Architekt:innen war es schon immer Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Günther Katherl – das nun vorgestellte Positionspapier möchte genau diese Intention verstärkt nach außen tragen – auch wenn allen bewusst ist, dass nicht morgen alles gelöst sein kann.


Gesprächspartner:innen:

Architecte d.p.l.g. Sophie Ronaghi-Bolldorf, Ressort Zukunft Lebensraum der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen

Arch. DI Daniel Fügenschuh, Präsident der Bundeskammer der Zivilterchniker:innen

BR h.c. DI Klaus Thürriedl, Vizepräsident der Bundeskammer der Zivilterchniker:innen

Arch. DI Günter Katherl, Vorsitzender Ressort Zukunft Lebensraum der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen

Univ.-Prof. DI Peter Maydl, stellvertretender Vorsitzender Ressort Zukunft Lebensraum der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen

 

 

 

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