03/10/2023

Die 14. Ausgabe des Urbanize! Festivals widmet sich unter dem Titel „Reality Check: Urban Commons“ auch der gerechten Verteilung von Grünräumen in der Stadt und lädt mit zahlreichen Veranstaltungen zur Erkundung der Welt urbaner Gemeingüter. Aus diesem Anlass haben wir Lilli Lička, Landschaftsarchitektin und Initiatorin des Westbahnparks, nach möglichen Maßnahmen rund um klimabedingte und sozial notwendige räumliche Veränderungen Wiens gefragt.   

Urbanize! Internationales Festival für urbane Erkundungen
„Reality Check: Urban Commons“ vom 3. bis 8. Oktober 2023, Wien

03/10/2023

Urbanize! lädt mit zahlreichen Veranstaltungen zum Flanieren, Diskutieren, Ausprobieren und Engagieren ein. ©: Matteo Gisler/unsplash

Die unbebaute Fläche entlang der Felberstraße soll auf der gesamten Länge der Bahntrasse vom Westbahnhof bis zur Schönbrunner Brücke unbebaut bleiben. ©: Thomas Moser

Der Westbahnpark bietet 7 Hektar Asphaltfläche zur Entsiegelung an. Neben den Gleisen und vor den Wohnhäusern in der Felberstraße. ©:Thomas Moser

Bis zu 200 Menschen pro Begehung fordern mehrheitlich die Realisierung des Westbahnparks. ©: Thomas Moser

Engagierte Aktionen zeigen das große Interesse an einer Realisierung des Westbahnparks. ©: Hannes Groblacher 

Knapp 10.000 Unterstützungsunterschriften zeugen vom Wunsch nach Realisierung des Parks. ©: Thomas Moser

Hannes Gröblacher, Karoline Seywald und Lilli Lička sind die Initiator*innen der möglichen Erholungsoase Westbahnpark. ©: BLA/T.Schwinn

Lilli Lička ©: Natascha Unkart
 

Von 3. bis 8. Oktober befasst sich Urbanize! diesmal unter anderem mit der gerechten Verteilung von Grünräumen in der Stadt und lädt mit zahlreichen Veranstaltungen zur Erkundung der Welt urbaner Gemeingüter. Aus diesem Anlass haben wir Lilli Lička, Landschaftsarchitektin und Initiatorin des Westbahnparks, nach möglichen Maßnahmen rund um klimabedingte und sozial notwendige räumliche Veränderungen Wiens gefragt.   

Christine Müller im Gespräch mit Lilli Lička
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Im „The World's 10 Greenest Cities 2020"-Ranking wurde Wien als „grünste“ Stadt der Welt ausgezeichnet. Ist sie das wirklich?

Nein. Diese Aussage spart die Verteilungsfrage aus. In manchen Bezirken fehlen öffentliche Grünräume. Und periphere Erholungsräume oder landwirtschaftliche Flächen, die nicht als Erholungsflächen nutzbar sind, werden inkludiert. Heruntergebrochen auf die besiedelten Gebiete, ist der Grünraumanteil viel kleiner. Und Parkanlagen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, schaffen es gerade in den niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Sie haben im Auftrag der Arbeiterkammer Wien mit drei Kolleg*innen an der BOKU – Jürgen Furchtlehner, Nora Heger und Daniela Lehner – die Studie zur „Grünraumgerechtigkeit für eine resiliente Stadt“ erstellt. Welche Bedeutung hat städtischer Grünraum?

Der Zugang zu Grünraum wirkt sich positiv auf die Psyche aus und hat Einfluss auf Lebensqualität und Klima. Interessant ist daran, dass dieser sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich meist korrespondiert: Wer mehr privaten Grünraum hat, hat auch mehr öffentlichen Grünraum.

Das widerspiegelt auch soziale Zusammenhänge.

Wir haben in unserer Studie zwei Vergleichsflächen untersucht: ein dicht bebautes Grätzl ohne Baum im öffentlichen Raum, ohne grüne Innenhöfe und das Cottageviertel mit einem öffentlich gepflanzten Baum pro Einwohner*in – zusätzlich zum eigenen Garten. Der offensichtliche Qualitätsunterschied ist eklatant. Zu einer gerechten Lebensumgebung und Lebensqualität gehören auch die Commons; Gemeinschaftsflächen wie der Anger in einem Dorf, gemeinschaftliche Weideflächen und in der Stadt etwa Flächen für urban gardening. Öffentlicher Raum, in dem die gemeinschaftliche Nutzung eine Rolle spielt. Eine wichtige Aussage unserer Studie lautet, dass man prioritär dort Maßnahmen setzen muss, wo die Unterversorgung am größten ist.

Gibt es hierzu auch Untersuchungen der Stadt?

Auch die Stadt Wien fragt die Zufriedenheit mit der Grünraumversorgung ab, in sozialwissenschaftlichen Studien und durchaus ambitionierten Plänen, fachlich kompetenter Personen – dennoch gelingt es nicht, die Ergebnisse politisch durchzubringen.

Woran liegt das?

Eine Kernuntersuchung unserer Studie recherchiert die Entscheidungsprozesse. Ambitionierte Vorschläge verschiedener Stellen gehen in der Struktur unter. Die Politik bewirbt öffentlichkeitswirksam gute Vorsätze zum Thema Klima und Soziales, verschleiert aber, was wirklich passiert.

Wie kann man in den Städten Gerechtigkeit herstellen und Einbeziehung der Bewohner*innen?

Beteiligungsprozesse der Stadt Wien suggerieren, dass Vorschläge von Initiativen, die aus zivilgesellschaftlichem Engagement bottom-up entstehen, berücksichtigt werden. In Wahrheit wird top-down entschieden. Über erfolgreiche Initiativen wie „Platz für Wien“ vom Institut für Verkehrsplanung der TU Wien, deren Unterschriftensammlung für die Transformation des öffentlichen Raums durch neue Mobilitätsangebote etwa 70.000 Unterschriften erhalten hat, setzt man sich hinweg. Die Petition wurde eingereicht. Passiert ist nichts. Das Netzwerk-Projekt „Wir machen Wien“, setzt sich in ganz Wien für eine klimagerechte Stadt ein und tauft die städtischen Beteiligungsprozesse „Particitainment“. Die Gemeinschaft darf höchstens sagen, an welcher Stelle ihr ein Baum oder Blumen besser gefallen. Das ist ein Verschieben wahrer Entscheidungsnotwendigkeiten.

Das Garagengesetz von 2008 sieht pro 100 m² Wohnnutzfläche einen Parkplatz mit 12,5  vor.

Jeder Parkplatz braucht fast so viel Fläche wie ein Kinderzimmer. Mit diesem kostbaren Außenraum könnte man Besseres anfangen – Parks, Spielareale oder Grünzonen.

Ein gehöriges Ungleichgewicht – und Wien wächst.

Die Zahlen, die sich berechnen je nachdem in welcher Distanz und in welcher Größenordnung Grünflächen bestehen, könnten immer ambitionierter sein. Aber 3,5 m² Grünraum pro Person als unterste Kategorie innerhalb von 250 m Entfernung vom Wohnraum, wie im Fachkonzept der MA18 Grün- und Freiraum angeführt, sollte machbar sein. 3 m² pro Einwohner etwa im 15. Bezirk sind eine klare Unterversorgung.

Was könnte eine Lösung sein?

Eine neue Kategorie: der Straßenpark. Internationale Beispiele wie Barcelona oder Oslo zeigen, dass es machbar ist. Die Grünfläche würde von Fassade zu Fassade reichen und alle notwendigen Erschließungen würden in diese Grünfläche hineingearbeitet. Jetzt wird das Grün halbherzig in die Straße gesetzt.

Wer entscheidet, welche Maßnahmen ausgeführt werden?

Darüber entscheidet im Wesentlichen die Stadtplanung bis zu rechtlich bindenden Verordnungen, wie dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, den die Stadt festlegt. Die Klimafrage hat eine große Beschleunigung erfahren und die Entscheidung, wo verdichtet und wo Freiraum zugelassen wird, ist immer dringlicher.

Wie kann man gewährleisten, dass rasch reagiert wird?

Es ist eine Frage von Mut, wie radikal ich bin – Politiker müssen für die gute Sache auch riskieren, nicht wiedergewählt zu werden. Eine andere Frage ist, wie flexibel die Stadtplanung überhaupt reagieren kann.

Hierfür ist Ihr Projekt Westbahnpark ein gutes Beispiel, für das Sie sich bereits seit 2019 einsetzen.

Wir haben viel unserer Freizeit eingebracht, bei unentgeltlicher Arbeit und Eigenfinanzierung. Mittlerweile gibt es auch Spenden. Es ist eine Jahrhundertchance, eine so riesengroße zusammenhängende Fläche nicht zu bebauen. Angesichts der hohen Dichte der Bestandsstadt sollte es selbstverständlich sein, noch unbebaute Gründe möglichst unbebaut zu erhalten und als große zusammenhängende Parkfläche zu gestalten.

Grünraum hat neben seiner Bedeutung als sozialer Raum auch wichtige klimatechnische Auswirkungen.

Auch die Frage der Biodiversität muss uns wichtig sein, wie Tiere und Pflanzen in der Stadt überhaupt überleben. Das geht nur, wenn es eine gewisse Konnektivität gibt – eine Verbindung von Grünräumen untereinander. Natürlich hat jeder Baum, der eine Grundfläche oder Fassade beschattet, Auswirkungen, aber wirklich großräumig wirken nur zusammenhängende Grünräume mit über einem Hektar.

Wie könnte eine rasche Umsetzung passieren?

Man muss sich dafür einsetzen. In dem bestehenden Grünraumplan sind diese linearen Grünräume bereits eingetragen, das ist der Stadt seit Jahrzehnten bekannt. Im 19. Jahrhundert hat schon Camillo Sitte vom sogenannten sanitären Grün gesprochen, davon, die Stadt so zu strukturieren, um sie ausreichend mit Frischluft zu versorgen. Das ist alles ein alter Hut.

Den sich anscheinend niemand aufsetzen möchte. Woran liegt das?

Es ist ärgerlich, dass aus diesen vergangenen Erkenntnissen nicht gelernt wird. Es muss wohl immer etwas Neues sein, wie Nebelduschen als sinnlose Kosmetik.

Eine weitere Möglichkeit ist das Schwammstadtsystem.

Diese Idee kommt aus einer Überlegung, die Stadt als Ganzes so zu gestalten, dass Wasser nicht einfach in den Kanal abfließt. Auf dem Mini-Niveau der sogenannten Schwammbäume ist das sehr aufwendig, kostspielig und nur erforderlich, weil Flächen befahrbar bleiben müssen. Wenn man aus diesen Straßen Parks machen würde, könnten man Bereiche punktuell befahren, alles andere wäre Grünraum.

Ist also, was jetzt umgesetzt wird, falsch?

Das geht schon in die richtige Richtung. Die Entscheidungen sind aber nicht einschneidend genug. Nur wenn wir radikaler und großflächiger agieren, können wir die Klimaproblematik in den Griff bekommen. Es gibt auch den Denkmalschutz und die Frage, wo muss ich auf Begrünung verzichten. Etwa auf dem Michaelerplatz. Ihn wie jeden Grätzlpark zu gestalten, zeigt Unverständnis. Den nahen Heldenplatz könnte man hingegen hektarweise entsiegeln. Er ist ein als chaotischer Parkplatz genutztes Gartendenkmal.

Sind die vorliegenden EU-Vorgaben zur Umsetzung der klimagerechten Stadt bis 2040, überhaupt zu schaffen?

Nur, wenn wir rasch einschneidend agieren. Eine Gesamtbetrachtung ist immer schwierig, aber genau das müsste rasch passieren. Es gibt Gebiete mit sehr schlechten sozialen Voraussetzungen und hoher Unterversorgung. Wenn man die klimatischen und sozialen Bedingungen überlagert, sind wir bei der Grünraumgerechtigkeit, dann erschließen sich auch die dringendsten Handlungspunkte.

Haben Sie noch Hoffnung, auf eine Realisierung des Westbahnparks?

Ja.  Wir steuern jetzt die 10.000 Unterstützungsunterschriften an und waren erst unlängst mit fast 200 Personen auf dem Areal, viele halten es für die richtige Lösung. Nun hat die Stadt Wien einen Partizipationsprozess für das Areal von der Märzstraße bis zur Mariahilferstraße gestartet und diesen in ein Stadtteilentwicklungskonzept gepackt. Bei der Bevölkerung werden zwar Gestaltungsideen abgefragt, die Grundsatzentscheidung über die Widmung dieser großen Fläche, steht dabei nicht zur Disposition.

Das wäre aber eine große Chance.

Allein schon die Länge von 1,2 km spiegelt die Qualität des Westbahnparks wider. Und eine Untersuchung der Universität Wien zur Biodiversität zeigt, dass auf dieser grünen Böschung aktuell 114 Pflanzenarten existieren, wovon einige streng geschützt sind, und fast 100 Wildbienenarten. Das alles entsteht, sobald es einen großen zusammenhängenden Grünraum gibt.

Also hoffen wir auf Umsetzung.

Ich bin überzeugt, es geht nur mit Druck von unten, und den versuchen wir gehörig zu erzeugen.

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Dieses Interview erscheint im Rahmen von GAT+ 

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