03/05/2019

Im Revier des Grubenhunts

Der Grazer Schloßberg von innen gesehen.

Emil Gruber begab sich in einer Geologie-Expertenrunde im April 2019 in das einzigartige Montan- und Werksbahn-Museum Graz, dem umfangreichsten unterirdischen Eisenbahnmuseum Europas.

Das Museum ist aufgrund feuerpolizeilicher Auflagen und damit fehlender Betriebsstätten-Genehmigung nicht öffentlich zugänglich. Einzelpersonen und kleine Gruppen können sich zwecks Besichtigung an info@montanmuseum.at wenden.

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GrazerInnen erinnern sich sicher noch an 1984 und 2003:
1984 waren die Luftschutzstollen im Rahmen des Festivals steirischer herbst Ort temporärer Architektur-Installationen (s. Link arch-kada.allsite.com).
2003 war in den Stollen die Ausstellung Berg der Erinnerungen unter Beteiligung zahlreicher BürgerInnen zu sehen (siehe Link graz03).

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03/05/2019

Im Montan- und Werksbahn-Museum Graz – im Schloßberginneren. Der größte Teil des Stollensystems ist über ein Schienensystem erreichbar

©: Emil Gruber

Im weitverzweigte Stollennetz bestehen für Ortsunkundige gute Chancen zum Verirren.

©: Emil Gruber

Schienen- und Weichendetail

©: Emil Gruber

Detail einer mit Pressluft betriebenen Lokomotive

©: Emil Gruber

klassische Gruben-Hunte

©: Emil Gruber

Bleibatterien-Satz einer Lokomotive (Es wurden in Bergwerken immer nur Bleibatterien verwendet, weil bei allen anderen Batterienarten Entzündungsgefahren bestehen)

©: Emil Gruber

eine anthropomorphe Lokomotivenversion

©: Emil Gruber

Sehr spät, erst im August 1943, begannen die Nationalsozialisten einen Stollen durch den Schloßberg zu treiben. Der Beginn des Bombardements auf die „Ostmark“ durch die Alliierten verlangte nach Schutz der Bevölkerung aber auch von beweglichen Kulturgütern. Von den ursprünglich neun geplanten Kilometern Gängen und Aufenthaltsräumen wurden am Ende sieben umgesetzt. Die enorme Menge des Aushubmaterials, rund 100.000 Kubikmeter, wurden anfangs auf LKWs geladen und zum Straßenbau abtransportiert. Ab 1944 – als Benzin und Diesel knapp wurden – wurde das Gestein aber vorwiegend mittels Dampflok an die Mur transportiert und in den Fluss gekippt. Mit einem anderen Teil wurde der Hügel des heutigen Landessportzentrums in der Jahngasse aufgeschüttet – für Tennisplätze (nunmehr Beachvolleyballplätze).
Ein spannendes Detail ist, dass bis heute nicht restlos geklärt ist, wieviel Tunnelsysteme es tatsächlich im Berginneren gibt. Neben dem „offiziellen“ Schutzstollenbereich sind noch zwei weitere Stollen, die keine Verbindung zueinander aufweisen, bekannt. Bestätigt ist der sogenannte „Kulturstollen“ hinter dem GrazMuseum, der für Einlagerung von Kunstschätzen genutzt wurde. Ein älteres, höher gelagertes System stammt noch aus der Festungszeit. Immer wieder tauchen auch Vermutungen auf, es gäbe noch ein viertes System aus der NS-Zeit. Unter dem Codenamen „Felshütte“ sollen die Nationalsozialisten eine geheime Waffenfabrik in einem gesonderten Stollen, der zu Kriegsende versiegelt worden wäre, betrieben haben. Zeitzeugen, die bei Fliegerangriffen im Stollen Schutz suchten, berichteten von einer bewachten Wendeltreppe in tiefere Lagen zu einer Stollenanlage zehn Meter unter den Luftschutzräumen. Andere Gerüchte sprechen wieder von einem Verbindungsgang unter der Mur durch zum Kalvarienberg. Wie auch immer, vor einigen Jahren wurden im Keller der Polizei am Paulustor plötzlich rätselhafte Gasemissionen festgestellt, die aus dem Boden drangen. Für manche ein Hinweis, dass sich im geheimen Stollen organische Materialien, die zum Bau von Giftgaswaffen benötigt wurden, sich nun langsam zersetzen. 
Der Schloßberg besteht aus sprödem, brüchigen Dolomitgestein. Damit ließen sich rasch Gänge in den Berg treiben. Für die Bohrungen wurden neben einheimischen Bauarbeitern und Soldaten auch viele britische und sowjetische Zwangsarbeiter eingesetzt. Rund eine Million Arbeitsstunden wurden für die Untertunnelung verwendet. Auf 4,6 Millionen Reichsmark beliefen sich die Kosten. Am 10. März 1945 wurden die Grabungen wegen kaum mehr vorhandenen Arbeitskräften eingestellt.
Insgesamt gab es zwanzig Öffnungen des Tunnelsystems auf verschiedenen Seiten des Schloßbergs nach draußen. Siebzehn davon konnten von der Zivilbevölkerung bei Gefahr benutzt werden. Bis zu 40.000 Menschen fanden immer wieder hier Schutz. Die NS-Bürokratie sorgte sogar für exakt im Vorhinein zugewiesene Plätze. Die Standardtemperatur beträgt rund neun Grad, was nach warmer Kleidung verlangte. Entwarnung erfolgte immer erst nach Sonnenuntergang. Aus Angst vor einem Giftgasangriff fehlten künstliche Ent- und Belüftung. Der Sanitätsdienst war in den überfüllten Räumen regelmäßig mit Schwäche- und Ohnmachtsanfällen der Schutzsuchenden konfrontiert. Insgesamt 65 Mal wurde der Stollen in der Kriegszeit aufgesucht. Da die wehrfähigen Männer im Krieg waren, setzte sich die Belegung in erster Linie aus Frauen, Kindern und alten Männern zusammen.
Nach Kriegsende blieben die Stollen lange ungenützt. 1966 wurde beim Eingang Wickenburggasse die erste Märchengrottenbahn errichtet und zwei Jahre später eröffnet. Mit Wegfall der damaligen Allee, der breiten Trottoirs und der Straßenbahn-Linie 2 und dem damit verbundenen Umbau der Wickenburgasse zur vierspurigen Fahrbahn brachen die Umsätze ein und die Märchenbahn musste 1978 schließen. Wieder sechs Jahre später wurde die Bahn wieder reaktiviert, die bisherige Fahrstrecke wurde verlängert und am Schloßbergplatz ein neuer Zugang geschaffen.
Seit 1983 sorgt das als Verein geführte Montan- und Werksbahnmuseum Graz für die Instandhaltung der Märchenbahn-Gleisanlage.
Die Hauptattraktion im Schloßberg-Inneren ist jedoch nur wenigen zugänglich. In der für die Öffentlichkeit aus verschiedensten Gründen (sowohl rechtlicher, sicherheitstechnischer wie auch wohl politischer Natur) nicht sichtbaren Stollenanlage bauen Enthusiasten seit nunmehr über 30 Jahren an einer einzigartigen, unterirdischen Eisenbahnanlage. Die ursprünglichen schmäleren und damit nicht so tragfähigen Schienen wurden nach und nach durch massiveres, breiteres Material aus ehemaligen DDR-Beständen ausgetauscht. Rund zwei Kilometer Gleisanlage – alle Schienen wurden handgebogen – sind mittlerweile ersetzt. 60 funktionierende Lokomotiven, teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert, wurden aus verschiedenen Bergbaugebieten Europas zusammengetragen. So bunt wie ihre Herkunft sind auch die Antriebsarten: Diesel, Benzol, Akku oder Pressluft in monströsen Behältern bringen Motoren zum Laufen, Dröhnen, Stampfen. Für elektrische Lokomotiven wurde eine eigene Gleichstrom-Oberleitung durch das Tunnelnetz gelegt. Rund 200 Untertage-Waggons ergänzen diese einzigartige Unterwelt mitten in Graz.
Besonders beeindruckend: Der Verein finanziert alles selbst. Jedes Mitglied arbeitet seit langen Jahren ehrenamtlich. Eine Förderung, von welcher Stelle auch immer, gibt es nicht. Obwohl die Stadt auf Wissen und die Fertigkeiten des Vereins zurückgriff, um auch mit der „Märchenbahn Neu“ bessere, härtere Schienen befahren zu können, gab es lange von der Stadt keinen Bestandsvertrag für den Stollenanteil, in dem der Verein arbeitet. Ganz im Gegenteil wurde von der Politik immer wieder ein Ende der Tätigkeit im Stollen gefordert. Erst als der Verein klarmachte, dann auch die nach wie vor dem Verein gehörenden Schienen der Märchenbahn zu demontieren und mitzunehmen, gab es eine einstweilige Einigung. Oder wie der Obmann es launig nennt: „Seit 2013 sind wir zumindest keine Hausbesetzer mehr.“

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