Schon ab 14. September setzt der in Wien lebende japanische Künstler Yoshinori Niwa seine installative Performance oder performative Installation Cleaning a Poster During the Election an. Auf dem Kapistran-Pieller-Platz, am Ende der Kleinen Neutorgasse in Graz, affichiert Niwa ein Poster, das einen fiktiven Politiker aus dem „patriotischen Spektrum“ im Umfeld der wirklichen Wahlplakate zur Nationalratswahl zeigt. Das Plakat wird im Lauf des Festivals schrittweise abgewaschen und verschwindet am Tag der Wahl, am 29. September, ganz.
[Anmrk. d. Red.: Uns haben die Ereignisse eingeholt. Am 18.9. war das Plakat von Yoshinori Niwa aufgrund einer Anzeige im Sinne des Verbotsgesetztes durch die Polizei verhüllt, da nicht „abtransportierbar“. Mit 19.9. ist das kritisch-künstleriche Projekt wieder zugänglich. Erlebt Graz einen kleinen Documenta-Moment? Kunst kann also schon mal was, im heurigen steirischen herbst.]
Unter dem Motto HORROR PATRIAE setzt sich der steirische herbst in seiner 57. Auflage im „Superwahljahr“ in seinen Schwerpunkten mit den Begriffen „Vaterland“ und/oder „Heimat“ aus künstlerischer Perspektive auseinander. „Wir beschäftigen uns“, schreibt Intendantin Ekaterina Degot in ihrer Einleitung zum Programmbuch, „mit nationalen Identitäten, die wie Kunstwerke und in Kunstwerken erschaffen wurden, beginnend mit dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, an dessen Grenze Graz lag“.
Eröffnet wird am 19. September im Lesliehof des Joanneumviertels mit der Performance A.E.I.O.U. In Solo- und Chorgesängen unter Leitung von Natalia Pschenitschnikova interpretiert ein Ensemble die Lautfolge des Habsburger Wahlspruchs nach möglichem Sinn und Bezügen zu Macht und Autorität. Gleichfalls eröffnet wird an diesem Tag die zentrale Ausstellung HORROR PATRIAE in der Neuen Galerie. Ein fiktives Heimatmuseum wird hier simuliert. Neben Arbeiten historischer und zeitgenössischer Kunst aus der Sammlung wurden etliche neue Werke in Auftrag gegeben wie etwa ein parodistischer Tourismusfilm von Alina Kleytman, eine Installation von Helene Thümmel, die von immer wiederkehrenden Phrasen um territoriale Ambitionen handelt oder Jakub Jansas Film, in dem sich das „Kulturgut“ Sellerie gegen aufkommende Avocados in Stellung bringt.
Abends dann, in der Helmut List Halle, die Performance The Phantom of the Operetta des Kollektivs La Fleur, eine ironisch kritische Hommage an den Komponisten Emmerich Kálmán, der, nach großen Erfolgen, vor den Nazis in die USA flüchten musste.
Aus der Vielzahl von Veranstaltungen im Lauf des Festivals seien hier einige hervorgehoben:
Nachdem 2024 ein Jahr der politischen Debatten ist, richtet der steirische herbst das Format der Deathmatches ein. Zu vier Streitgesprächen soll das Publikum jeweils über das bessere Argument abstimmen, beispielsweise wenn Thorsten Mense und Hans-Peter Weigand sich darüber unterhalten, ob „das Lokale immer reaktionär“ ist.
In Knittelfeld sucht das Theater im Bahnhof unter dem Titel Spiel mir das Lied von Knittelfeld oder die Pubertät der FPÖnach Spuren und Folgen nach dem „Putsch“, der zur Spaltung der Partei führte. Nach einem Konzept von Ari Benjamin Meyers werden Schüler:Innen der VS St. Peter versuchen, das Publikum im Racket Sport Center Graz in den Schlaf zu singen. In der Reihe herbstkabarett wird beispielsweise Bernadette Laimbauer von ihrem Vater erzählen, der das Familienhaus verkaufte, seine Stellung bei einer Versicherung kündigte und auf Reisen ging.
Im Foyer der Neuen Galerie – und im Kontext der Ausstellung HORROR PATRIAE – finden zudem Gespräche mit Expert:Innen statt, unter anderem mit Ulrich Becker zur Frage Was Darstellungen darstellen oder mit David Kranzelbinder zum Grenzbereich zwischen der Steiermark und Slowenien.
Ein Programmteil ist dem 2016 verstorbenen Grazer Kunsthistoriker Werner Fenz gewidmet. Erstmals haben der steirische herbst und die Stadt Graz das Werner-Fenz-Stipendium für Kunst im öffentlichen Raum vergeben. Preisträgerin ist die brasilianische Künstlerin Clara Ianni mit einer Performance unter dem Titel Resurrection. Mit Beginn am Grazer Mausoleum findet die Aufführung am 21. September statt, inklusive Prozession und Finale im Stadtpark. Während seiner langjährigen Tätigkeit als Kurator für den steirischen herbst hat Werner Fenz mit Paolo Bianchi 1992 bis 1994 das Projekt Kunst Heimat Kunst entwickelt, das in einer Reihe von Interventionen weltweit stattfand. Damit befasst sich eine Ausstellung im Forum Stadtpark, die anlässlich der ersten Präsentation des Fenz-Archivs als Kunst Heimat Kunst Revisited präsentiert wird.