07/08/2020

Kolumne
Filmpalast – 17

UNDINE

Regie & Drehbuch
Christian Petzold, 2020

Aktuell in den Kinos

Filmkritik von Wilhelm Hengstler

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07/08/2020

UNDINE von Christian Petzold

©: Wilhelm Hengstler

Architektur und Märchen
Was kann einem Architekten das romantische Märchen Undine von Friedrich Freiherr von Motte-Fouques (1811) noch sagen? Der oft bearbeitete Mythos um die Nymphe ist eine der männlichen Obsessionen vor allem des 19. Jahrhunderts, in denen die Anziehungskraft des Weiblichen mit Wasser verbunden und die verbotene Sexualität mit dem Tod bestraft wird. Aber Christian Petzold stellt in seiner zeitgenössischen, in Berlin spielenden Verfilmung des Märchens eine – ja doch – geniale Verbindung zu städtebaulichen und damit politischen Themen her. Berlin, ursprünglich auf Sumpfland errichtet, ist ganz ähnlich wie die Halbinsel, auf der Undine des Märchens aufwächst, von Überschwemmungen, sprich Wassergeistern, bedroht. Wie im Märchen, weiß auch Petzolds Undine, mittlerweile Historikerin und Single, immer viel mehr, als die Gesellschaft, durch die sie sich bewegt, und schildert ihren Besuchern an Hand der im Humboldt Forum ausgestellten Modelle die Entstehung Berlins. Ob es nun um das Problem des Nachbaus des Berliner Schlosses geht, um Bodenspekulation und Städtebau oder um Gentrifizierung, selten sind im Film Architekturthemen mit so leichter Hand und gleichzeitig präzise behandelt worden.

Taghelle Sachlichkeit
Christian Petzolds Undine-Verfilmung wirkt wie ein deutsches Handwerksstück, funktional aber niemals bloß geschickt. Er hat aus der Märchenvorlage viele familiäre und gesellschaftliche Aspekte mitsamt den dazugehörigen Personen gestrichen, dafür aber Huldbrand, den durchaus zwiespältigen Ritter und Gemahl von Undine, in zwei Liebhaber Johannes und Max, den Industrietaucher, aufgespalten. Schon in der ersten Sequenz sagt Undine dem Liebhaber, der sie verlassen will, dass er dann sterben müsse, aber der mythenresistente Johannes registriert das nicht einmal. Wenn Undine wenig später von Max angesprochen wird, geht das Aquarium daneben zu Bruch. Der Szene fehlt die gewohnte Geläufigkeit des Unterhaltungskinos, dafür verweist der seltsame Zwischenfall darauf, dass alle unentrinnbar Gefangene des Wassers und seines Mythos sind. Verkörpert wird der Mythos einfach durch einen großen, alten Wels, ähnlich einfach wie die Taucherstatuette am Grund des Aquariums das magische alter Ego von Max repräsentiert. Der Statuette bricht zweimal das Bein ab, das ihr Undine jedes Mal wieder anklebt, ähnlich wie sie Max nach seinem Tauchunfall aus dem Koma zurückholt. Danach wird er auf Krücken die verschwundene Geliebte suchen.

Neue Sensibilität
Franz Rogowski, der schon in Petzolds Transit die männliche Hauptrolle spielte, trägt seinen Taucheranzug wie eine Ritterrüstung und stattet seine massive Erscheinung mit einer unschuldigen Zartheit aus. Dass ein Mann seiner Geliebten lieber beim Üben ihres Vortrags lauscht, statt ihrer Einladung ins Bett zu folgen, zeigt eine geradezu neue Sensibilität.  Atemberaubend ist der gewissermaßen „verzögerte Schnitt“ als das Liebespaar an Johannes und seiner neuen Freundin vorbeigehen und nur Undine den beiden nachsieht. Max kennt die beiden nicht, aber viel später, bei einem Telefonat, wird er Undine vorwerfen, dass er damals gespürt habe, wie ihr Herz stehen blieb. „Ja, aber dann hat es weitergeschlagen“ wird sie antworten. Bald darauf verunglückt Max bei einem Tauchgang und Undine muss den Mythos erfüllen und ihren ersten Freund Johannes töten, um Max aus dem Koma zurückzuholen, bevor sie für immer in ihr Element, das Wasser, zurückzukehrt. Petzold inszeniert den romantischen Mythos mit tagheller Einfachheit. Indem er dem Paar einen Handlungsraum gegenüber dem Mythos einräumt, verwandelt er das fatalistische Märchen in eine Liebesgeschichte, in der nicht nur Undine selbstlos handelt. Als Max ihr später ins Wasser folgt, entlässt ihn Undine zurück ins Leben.
Paula Beer hat in Petzolds Transit bereits die weibliche Hauptrolle gespielt. In Undine schafft sie den Spagat zwischen einer vereinzelten Vertragsbediensteten und einer mythischen Figur müheloser, als die ungenauere Rolle einer Frau, die auf der Flucht vor den Nazis in Marseille auf ihren Mann wartet. Der sexuelle Appetit eines modernen Singles entspricht dem unschuldig-sinnlichen Wasserwesen. Aber gerade bei Undine fällt es schwer, sich nicht an Nina Hoss zu erinnern, die nicht zuletzt durch die jahrelange Zusammenarbeit mit Christian Petzold zu einer Ikone deutscher Geschichte und Mentalität geworden ist.

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