19/10/2018

Filmpalast – 02

Filmkritik

Bad Times at the El Royale
von Drew Goddard, 141 min.,
in Grazer Kinos > Link uncut.at

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19/10/2018

Bad Times at the El Royale. Jon Hamm (Laramie Seymour Sullivan), Jeff Bridges (Father Daniel Flynn), Cynthia Erivo (Darlene Sweet). Foto: Twentieth Century Fox

Filmplakat zu 'Bad Times at the El Royale'. Foto: Twentieth Century Fox

Pulp und Zeitgeschichte

Achtung! B-Movie! Bad Times at the El Royale ist ein leicht zu übersehendes Glanzstück von Drew Goddard, das es verdient, entdeckt zu werden. Der sogenannte „Retro-Thriller“, spielt in einem dahindämmernden Casinohotel, zeitlich angesiedelt in den Sechzigern, geografisch genau an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada. Und „Retro“ bedeutet den seltenen Verzicht auf elektronische Überwältigungssounds, auf endlose Gewalt- und Blechorgien und die Abwesenheit einer politischen Agenda oder eines nervigen Kunstanspruchs. Der Umgang des Regisseurs mit Stimmungen des klassischen Gangsterfilms und sein Verzicht auf schnelle Originalität ergeben einen fast altmeisterlichen Film.
Durch die weite Lobby des „El Royale“ zieht sich die rote Grenzlinie zwischen den Staaten, die häufig bediente Musikbox ist hervorragend bestückt und die verstaubt funkelnden Kristalleuchter und niedrigen Podeste bieten eine atmosphärische Bühne.
Es treten auf: Jeff Bidges, der als Pater Daniel Flynn verkleidete Ex-Knacki Donald „Doc“ O´Kelly auf der Suche nach seiner Beute von vor zehn Jahren; Cynthia Erivo als Soulsängerin Darlene Sweet während eines Zwischenstopps ihrer sich steil abwärts bewegenden Karriere und Jon Hamm, ein FBI-Agent mit direktem Draht zu J. Edgar Hoover und getarnt als geschwätziger Staubsaugervertreter. Leicht verzögert taucht dann noch Lewis Pullmann als einziger Hotelangestellte Miles Miller auf, der, wie jeder weiß, nur scheinbar harmlos ist. Und außerdem die sarkastische Emily Summerspring (Dakota Johnson), die sich mit „Fuck You“ einträgt. Das Hippiemädchen ist auf der Flucht vor dem durchgeknallten Billy Lee (Chris Hemsworth) und im Kofferraum hat sie ihre kleine Schwester Rosie (Carlee Spaeny) mitgebracht, die sie gegen deren Willen dem Einfluss des Hippie-Sektenführers entziehen will. Pulp und Zeitgeschichte
Das „El Royale“ ist dem realen, auf derselben Staatsgrenze liegenden Casinohotel „Cal-Neva“ nachgebaut, das in den 60ern Frank Sinatra und Dean Martin gehörte, die dort mit ihrem „Rat Pack“ berühmt-berüchtigte Feste feierten. Angeblich waren auch Mafiabosse dabei, die durch Geheimgänge kamen und gingen. Gerüchten zufolge war sogar John F. Kennedy Gast im „Cal-Neva“ und Marylin Monroe soll dort vielleicht ermordet worden sein.
Natürlich verfügt auch das „El Royal“ über Geheimgänge, Einwegspiegel und Abhöranlagen. Sein schablonenhaftes Personal, das zur Gänze aus dem altbekannten Fundus stammt, dient Drew Goddard, die Mythen der 60er zu beschwören. Er verstärkt die intelligente Verknüpfung von Pulp und Zeitgeschichte mit originalen Fernsehbildern etwa von „Tricky Dick“ Nixon, der über Moral in der Politik redet, mit dem Bericht über einen schrecklichen Doppelmord oder durch Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg.
Mit Billy Lee ist natürlich Charles Manson`s Auftritt im Hause Polanski gemeint, der gestörte Hotelclerk Miles Miller hat den Vietnamkrieg nicht verdaut und der FBI-Agent macht sich in der Hochzeitssuite so genremäßig wie erfolglos auf die Suche nach Material, das einen Politiker „ganz oben“ belasten würde. Er wird bei dem Versuch, die böse kleine Rosie zu befreien, von deren großen Schwester Emily (!) mit einer Schrotflinte umgelegt. Bei dieser Gelegenheit bekommt auch Beobachter Miles Miller auf der anderen Seite des Einwegspiegels ein paar Schrotkugeln ins Gesicht.
Aber Drew Goddard nervt nicht mit historischen Reverenzen, sein „El Royale“ steckt dafür voll unzähliger cineastischer Anspielungen. Man ahnt das „Overlook Hotel“ aus „Shining“, spürt Norman Bates aus „Psycho“, fühlt die Paranoia aus Pakulas „All the President´s Man“ oder Coppolas „Der Dialog“, (ganz zu Schweigen von „Apocalypse Now“). 
Und natürlich viel Tarantino: Goddard  springt manchmal Jahrzehnte, dann wieder nur Minuten vor oder zurück, und verleiht damit dem Zuseher das Gefühl, ein allwissender Erzähler zu sein. Gleichzeitig düpiert er ihn durch überlappende Zeitabschnitte, die im Nachhinein Leerstellen aufklären und sorgt damit für verblüffende Wendungen. Die Strukturierung durch Zeitinserts und das virtuose Turnen entlang der Zeitgeraden erinnern an Tarantinos „Pulp Fiction“. Und was ist das „El Royale“ anderes als die in den Schnee gesetzte Herberge in Tarantinos Western „The Hateful Eight“? Wo Tarantino allerdings manchmal eine etwas geschwätzige Virtuosität ausstellt, ist Goddard in seinen Rückblenden visuell eindrucksvoll  und überraschend atmosphärisch. Eine Ausnahme bilden leider die Sequenzen mit der Sekte und Chris Hemsworth als deren Führer Billy Lee, der seinen muskulösen Prachtkörper peinlich ausstellt. Insgesamt sind die Schauspieler, allen voran Cynthia Erivo und Jeff Brides, jedoch exzellent und die trickreiche Story lässt die 141 Minuten wie die 75 eines B-Movie wirken. Man fühlt sich im Bad Times at the El Royale mit seinem anheimelnden Sound der 60erjahre aufgehoben wie in dem bequemen Fauteuil einer Hotellobby; die ideale Atmosphäre für alle, die Musikboxen, freie Liebe vor Aids, selbstbewusste Frauen und lapidare Dialoge schätzen.

Zu sehen noch kommende Woche im Cineplex oder im Annenhof Kino (s. Link uncut.at). Sehr empfehlenswert.

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