17/05/2019

An der Mutterbrust des Individualverkehrs

Emil Gruber zur Ausstellung Mythos Tankstelle im Volkskundemuseum, Paulustorgasse 11-13a,
8010 Graz

1924 eröffnete die erste Tankstelle Österreichs am Grazer Jakominiplatz.

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Mythos Tankstelle
bis 06. Jänner 2020
Mi-So, Feiertag
14:00 – 18:00 Uhr

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17/05/2019

Ausstellung 'Mythos Tankstelle', bis 06.01.2020, Volkskundemuseum, Graz; Ausstellungsansicht

©: UMJ / N. Lackner

Tableau Sechsundzwanzig Grazer Tankstellen bei Nacht des Fotografen Philip Schütz

©: Emil Gruber

Tankstelle Helios Gas-Station Los Angeles

©: Eric Staudenmaier

Modell einer Hinterhof-Tankstelle aus den 1950er Jahren

©: Emil Gruber

Werbeplatte Esso mit zeitgenössischem portablen Plattenspieler

©: Emil Gruber

Ausschnitt aus einem Fischerkoesen Werbefilm für Aral

©: Emil Gruber

Veranstaltung am Jakominiplatz anlässlich der Ausstellung 'Mythos Tankstelle'. Termin steht noch nicht fest.

Der ursprüngliche Plan war, sie in der Hamerlinggasse zu errichten. Doch die mangelnde Infrastruktur und die engen Zufahrtsmöglichkeiten zwangen die Österreichisch-Amerikanische Petroleum-Gesellschaft auf den Jakominiplatz auszuweichen. Im Herbst 1924 eröffnete dann die erste Tankstelle Österreichs in Graz. Kurze Zeit später wurden auch am Lend- und Griesplatz „Benzinzapfstellen“ gebaut.
Zwei Jahre später schon wollten die Betreiber die Anlage am Jakominiplatz vergrößern. Das führte umgehend zu heftigen Diskussionen in der Bevölkerung. „Ist in Graz der Autoverkehr so groß, daß die bestehenden sechs öffentlichen und ungezählten privaten Zapfstellen durch die Umwandlung der öffentlichen Zapfstelle am Jakominiplatz auf eine Kapazität mehrerer Waggons vergrößert werden müssen?....Wer trägt die Folgen einer bei dem eminenten Verkehr am Jakominiplatz durch einen geringfügigen Umstand möglichen Katastrophe, die sich bei den großen, eingelagerten Benzinmengen in enormer Weise auswirken muß?“ war als ein von vielen unterzeichneter „Protest“-Leserbrief im September 1926 in einer Grazer Zeitung zu lesen.
38 Jahre vorher hatte Bertha Benz ganz andere Probleme. Sie gilt als Erfinderin der Überlandfahrt. Mit dem Motorwagen ihres Gatten Carl traute sie sich erstmals auf die unfassbare Strecke von Mannheim nach Pforzheim. 100 Kilometer Abenteuer lagen vor ihr. Mit Strumpfband und Hutnadel wurden Reparaturen am Wagen unterwegs auf sehr stylische Art ausgeführt. Nach dem Verbrauch allen Treibstoffs blieb nur der Weg in die Apotheke. Ligroin, eine Leichtbenzinart, war zwar als Fleckenentfernmittel gedacht, erfüllte aber auch, einmal in den Tank gekippt, die Wünsche nach Weiterfahrt. Seither gilt eine Apotheke im schillernden Wiesloch als erste Tankstelle der Welt.
Diese und andere unterhaltsame Anekdoten sind der Auftakt zur aktuellen Ausstellung des Volkskundemuseums Mythos Tankstelle.
Helmut Eberhardt und Eva Kreissl, assistiert von Johannes Maier, gehen dem Phänomen Tankstelle auf mehren Achsen nach. Da ist einmal der Bedeutungswandel – sieht man von wenigen automatischen Tankstellen ab – vom kurzfristigen Zweckaufenthaltsort hin zum Kommunikationszentrum an der Peripherie einer Stadt oder am Land. Mit dem Beginn des Wirtshaussterbens Ende der 1970er verlagerten sich Begegnungsorte mehr und mehr zu Tankstellen. Mittlerweile sorgen die Umsätze in der Gastronomie und bei Lebensmittelverkäufen, auch durch Dienstleistungen als Postamt oder Lottoannahmestelle für einen erheblichen Anteil am Gesamtgeschäft. Viele ursprüngliche Dienstleistungen wie Ölwechsel, Lampenersatz, Radumstecken können einerseits wegen der Komplexität neuer Autos aber auch aus Haftungsgründen nicht mehr durchgeführt werden. 
The gas station, besides being an architectural wonder, is the Mother Nipple to the outside world. Twentysix Gasoline Stations, Ed Ruschas Künstlerbuch mit Fotografien von solchen mit Kohlenwasserstoffgemischen gefüllten Mutterbrüsten, die er auf einer Fahrt von seinem Wohnort Los Angeles zu seinem Elternhaus in Oklahoma City dokumentierte, gilt als Ursprung aller Kunst an der Tankstelle. Leider ist das Original nicht in der Ausstellung zu sehen. Dafür hat Philip Schütz als Hommage an Ruscha Sechsundzwanzig Grazer Tankstellen bei Nacht fotografiert. (Die Aufnahmen sind auch in Buchform in kleiner Auflage im Museumshop erhältlich).
Weltweite Tankstellenarchitektur pur gibt es unter anderem vom deutschen Fotografen Andreas Lindlahr zu sehen. Das 1936 von Arne Jacobsen entworfene Objekt bei Kopenhagen könnte ein Ufo sein. Spektakulär auskragend stellt sich der Überbau einer 1957 von Walter Hämer geplanten, mittlerweile aufgelassenen Tankstelle in Hannover dar.
Großes Vergnügen bereiten in einem kleinen Extraraum mehrere animierte Werbefilme für Esso oder Aral-Tankstellen aus den 1950er und 1960ern. Der Tiger in den Tank, ja richtig. Für einige der Filme zeichnete Hans Fischerkoesen verantwortlich. Sein Trickfilm-Studio sollte auf Wunsch von Hermann Goebbels im NS-Regime eine deutsche Variante zu Walt Disney werden. Durch den Krieg und damit verbundenen Einsparungsmaßnahmen wurden nur drei – recht unpolitische – Filme produziert. Nach 1945 war Fischerkoesen umso erfolgreicher in der Werbebranche tätig.

Und die Zukunft der Tankstelle? Geht es nach Harald Pfleger, Obmann der Fachgruppe Garagen-, Tankstellen- und Serviceunternehmen, bleibt das Fossile das Maß aller Dinge, der Motor der individuellen Fortbewegung: „Es gab noch nie so viele Autos in Graz“. (Harald Pfleger)

Mythos und Zukunft nähren sich von unterschiedlichen Kraftstoffen.

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Mythos Tankstelle, bis 06. Jänner 2020, Volkskundemuseum, Graz.
Kuratiert von: Helmut Eberhart mit Eva Kreissl und Johannes Maier.

GestaltungMasterstudienlehrgang Ausstellungsdesign, FH JOANNEUM, Graz

 

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