Magistra Gertraud Strempfl-Ledl ist Leiterin der Geschäftsstelle des ISG – Internationalen Städteforums Graz; zudem war sie in den letzten sieben Jahren Mitglied und seit 2015 auch erste gewählte Vorsitzende der Grazer ASVK. Mit der neuen Legislaturperiode des Landes Steiermark, allerdings etwas verzögert durch die Corona-Krise, hat sie Ende Mai 2020 nach zwei Perioden ihre Mitarbeit bei der ASVK beendet.
GAT: Vermissen Sie Ihre Tätigkeit bei der ASVK?
Strempfl-Ledl: Jein – ich sage das wirklich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich habe es leidenschaftlich gerne gemacht, merke aber auch, dass viele Interessen – auch privat – in den letzten fünf Jahren zu kurz gekommen sind.
ASVK-Arbeit ist meist eine Wochenend-Arbeit, und als Vorsitzende muss man einfach über alle Projekte einen Überblick haben, d.h. es sind wirklich viele Stunden Studium. Dem Thema bleibe ich als Mitarbeiterin des ISG und der Welterbe-Koordinationsstelle der Baudirektion der Stadt Graz ja erhalten.
GAT: Wann hat Ihre Arbeit bei der ASVK begonnen?
Strempfl-Ledl: Nach dem Rücktritt meiner Vorgängerin Dr. Wiltraud Resch habe ich am 22.10.2012 an meiner ersten ASVK-Sitzung teilgenommen. Der damalige Vorsitzende war Dr. Wolfdieter Dreibholz, und Architekt Michael Szyszkowitz war Vizevorsitzender. Als ich zur Kommission kam, wurde gerade die Umsiedelung in die Landhausgasse 7 in die Kulturabteilung des Landes Steiermark vorbereitet, zuvor war die Arbeitsweise reformiert worden: Bis dahin wurde von jedem Projekt ein Plan aufgehängt, und die ASVK-Mitglieder sind hingegangen und haben den Plan studiert, was dazu geführt hat, dass ein paar was sehen konnten, die anderen nicht, was für die Diskussion sehr unglücklich war. Dr. Dreibholz hat eingeführt, dass die Projekte digitalisiert werden und dann im Sitzungsraum über einen Beamer projiziert werden, und somit alle anwesenden ASVK-Mitglieder wie auch die anwesenden JuristInnen gleichviel vom Projekt sehen.
GAT: Was war für Sie anfangs die größte Herausforderung in der ASVK?
Strempfl-Ledl: Eine große Herausforderung war, als Kunsthistorikerin Wiltraud Resch nachzufolgen, die zehn Jahre lang die Geschichte der Grazer Altstadt architekturhistorisch erforscht hat – in diese Fußstapfen kann man nicht wirklich treten! Da kann man sich nur redlich bemühen, ihrem Wissen nahezukommen. Aber es war für mich eine unglaublich interessante Zeit, weil gerade spannende Themen innerhalb der Kommission debattiert wurden:
Das eine war die aufkommende Diskussion um das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz, das für mich in diesem Moment teilweise die Architekturleistung infragegestellt hat: Alles wurde nur nach der Frage der ökologischen Nachhaltigkeit beurteilt, und das kann auch der Tod von Architektur sein, wenn man sich nicht mehr über Form/Funktion und über ästhetische Qualitäten in die Architektur einbringen kann.
Zweitens gab es die Diskussion um die Dachausbauten, die sich zunehmend zu einem Problem entwickelten, da die schutzwürdigen Dächer nicht respektiert wurden und die Funktionen der Dachböden einfach auf die Dächer der Altstadt verlagert wurden – das widerspricht auch heute dem Altstadtschutz und dem UNESCO-Welterbe.
Und drittens gab es eine Diskussion um die Rollenverteilung von ArchitektInnen und KunsthistorikerInnen innerhalb der Kommission; und diese Diskussion hing auch an problematischen Wettbewerben.
GAT: Wie ist Ihre Stellung zu dieser Frage?
Strempfl-Ledl: Ich kann mich an einen Vorstoß der Geschäftsführung erinnern, wo vorgeschlagen wurde, ob man die Arbeitsteilung nicht so machen solle, dass die KunsthistorikerInnen den Bestand befunden, und die ArchitektInnen dann die eingereichten architektonischen Projekte beurteilen. Das war ein Punkt, wo ich mich massiv dagegen gewehrt habe! Um meine frühere Chefin, Karin Wilhelm von der TU Graz, zu zitieren: „Die ArchitektInnen würden sich gerne die Kritik für ihre Arbeiten selber schreiben. – so geht das aber nicht in der Architekturgeschichte“ und das sehe ich bis heute ganz gleich. Deshalb ist das gemischt fachlich besetzte Gremium so wichtig.
GAT: Im Juli 2015 wurden Sie zur Vorsitzenden der ASVK gewählt. Was sind eigentlich die besonderen Verantwortlichkeiten eines Vorsitzenden/einer Vorsitzenden der Grazer ASVK?
Strempfl-Ledl: Laut Gesetz kommuniziert der oder die Vorsitzende/r über die Themen der ASVK mit der Öffentlichkeit, das ist auch wichtig so, weil 16 unterschiedliche Stimmen eines Gremiums in der Öffentlichkeit wohl wenig zur Klärung schwieriger Sachverhalte und strittiger Bauvorhaben beitragen würden. Allerdings ist der oder die Vorsitzende immer Stimme des Gremiums. Das heißt, man geht erst dann mit einem Meinungsbild nach außen, wenn die Kommission darüber diskutiert und abgestimmt hat. Für mich war die Rolle der Vorsitzenden auch eine Vermittlerrolle. Das heißt, ich habe von vornherein betont, ich würde als Vorsitzende in keine Wettbewerbsjury gehen, weil ich der Meinung bin, wenn das Stück dann im Bauverfahren in der ASVK landet, wo es landen muss, wenn es in einer Schutzzone stattfindet, dann muss es eine Person geben, die sozusagen ein bisschen Distanz hat zu diesem Wettbewerbsverfahren, und die, falls es zu heftigeren Divergenzen kommt, noch soviel Abstand dazu hat, dass man offene Fragen auch wieder lösen kann. Das hat sich gut bewährt.
In den letzten fünf Jahren haben wir eine jener Personen als stimmberechtigte Mitglieder in die Wettbewerbsjurien geschickt, die auch die jeweiligen Befunde für den Wettbewerb mit erarbeitet haben. Übrigens hat die ASVK in ihrer Geschäftsordnung festgelegt, dass sich die Kommission nur dann in einem Wettbewerb als stimmberechtigtes Mitglied engagiert, wenn zuvor das Bauvorhaben im Ensemble mit einem Befund – der Teil der Wettbewerbsunterlagen ist – vorbearbeitet wurde, also die Arbeit des ASVK Jurymitgliedes auch durch einen Beschluss der Kommission gedeckt ist.
Auch die Sitzungsleitung, die Abhaltung der Sprechstunden, Gespräche mit Stadtplanung, Baubehörde, Denkmalamt etc. stehen auf der Tagesordnung. Zuletzt auch die fachliche Überprüfung aller Schriftstücke, die nach außen gehen.
GAT: Ihr Vorgänger, Dr. Dreibholz, hatte begonnen, auch bei ASVK-Projekten über eine Art Wettbewerb zu Qualitätssteigerungen zu kommen. Sie haben diese Idee nicht weiterverfolgt?
Strempfl-Ledl: Dr. Dreibholz konnte bei LR Buchmann, der den Altstadtschutz für weitgehend obsolet erachtet hat, ein Budget für solche Verfahren lukrieren. Wettbewerbe sehe ich als wichtiges Qualitätssicherungsinstrument, aber sie sind nicht frei von Manipulationsmöglichkeiten; es hängt also immer von den involvierten Personen ab, ob Objektivität waltet oder doch „Ungereimtheiten/Protektion etc.“ Platz greifen können.
Ihre Frage impliziert außerdem, dass die ASVK Projekte lanciert! Die ASVK beurteilt Projekte, die an sie über den Weg der Voranfrage (zwischen Projektwerber und ASVK) oder über das Bauverfahren herangetragen, weil beurteilt werden müssen. Eine meiner ersten Handlungen in den Sprechstunden mit den KollegInnen war die, zu verhindern, dass die GutachterInnen der ASVK den ProjektwerberInnen Entwurfslehre erteilen! Der Entwurf kommt vom Projektwerber/der Projektwerberin, seiner ArchitektIn, nicht von der ASVK als Gutachterin. Das ist für mich die einzig richtige Auffassung der Tätigkeit eines unabhängigen Gutachtergremiums. Die Kritik am vorgelegten Entwurf, der dem GAEG also in der Einfügung und/oder der architektonischen Anforderung widerspricht, ist von der ASVK schriftlich zu erbringen… und das in so vielen Begutachtungsrunden, bis die Anforderungen des GAEG erfüllt sind und eine Mehrheit in der ASVK für ein Projekt stimmt.
GAT: Was war die größte Herausforderung in Ihrer Zeit als Vorsitzende?
Strempfl-Ledl: Da kann ich einige Punkte auflisten: Was mir von Anfang an aufgefallen ist, war ein gewisses Gegeneinander zwischen Land Steiermark und Stadt Graz. Ich habe versucht, das aufzubrechen, und ich denke, ein Stück weit ist es dieser letzten Kommission auch gelungen. Es war mir ein großes Anliegen, dieses Miteinander-Reden und sich Abzustimmen zu etablieren, dass man nicht schaut, wo kommt diese Lösung her oder von wem, sondern suchen wir die beste Lösung!
Der zweite mir wichtige Punkt war die Auffassung, dass das Gesetz, das die Basis unserer Arbeit in der ASVK ist, ein Altstadterhaltungsgesetz ist, das mittlerweile auch für die Erhaltung des Grazer UNESCO Weltkulturerbes verantwortlich ist, damit auch im internationalen Fokus steht und nicht nur eine Angelegenheit des Landes Steiermark oder der Stadt Graz ist. Das GAEG ist kein Altstadtentwicklungsgesetz, auch das war nicht so selbstverständlich für alle Kommissionsmitglieder. Die Aufgabe der ASVK lautet, die Altstadt zu schützen. Der Faktor der Entwicklung liegt nicht bei der ASVK.
In diesem Zusammenhang möchte ich aber betonen, dass Graz dafür bekannt ist, dass Alt und Neu, Historisches und Zeitgenössisches gut miteinander vereinbar sind. Es ist die dezidierte Haltung der ASVK, dass man nicht historisierend bauen soll, sondern sich eine kräftige zeitgenössische Position dort schaffen soll, wo „nicht schutzwürdiges“ verbessert wird, das sich aber wieder in den historischen Kontext einfügt.
Diese Einfügung eines Bauwerkes wird bestimmt über die Kubatur, die an einer gewissen Stelle des Stadtbildes untergebracht wird, über dessen Höhe, und dann auch über ihren zeitgenössischen Beitrag zur Geschichtsbildung: Was trägt dieses Bauwerk heute zur zukünftigen Grazer Architekturgeschichte bei?
Auch das öffentliche und interne Bewusstsein für diese Haltung zur Architektur in der ASVK war mir immer wichtig, das habe ich auch bei all meinen Vorträgen so vertreten und mit Beispielen untermauert.
Und der dritte relevante Punkt, den ich mit der Kommission schaffen wollte, und das hat die Kommissionsmitglieder wirklich viel Arbeit gekostet, war, dass wir endlich die Schutzzonen erweitern wollten. Damit ist uns nach fast 30 Jahren ein großer Meilenstein gelungen, dafür bin ich den Kommissionsmitgliedern und auch LR Drexler und Bürgermeister Nagl wirklich dankbar. Die Politik hat mittlerweile selber die Dringlichkeit erkannt, wie sehr diese historischen Gebäude, die nicht denkmalgeschützt sind, gefährdet sind.
Bei Bauprojekten lagen große Herausforderungen im Umbau der Universitätsbibliothek, die heute einen beeindruckenden zeitgenössischen Akzent setzt; die Erweiterung des Barmherzigenspitals ist auch so ein Stadtteil-Projekt, und ganz besonders das Haus Kaiser-Franz-Josef-Kai 36, wo kaum noch jemand die Hoffnung hatte, dieses Baudenkmal in eine gute Zukunft zu bringen. Heute ist es ein echtes Schmuckstück, das denkmalgeschützten Altbau und innovativen zeitgenössischen Neubau wunderbar und einfügend aufeinander abgestimmt hat. Als letzten Punkt möchte ich die Gestaltung und Funktion des öffentlichen Raumes nennen, der der Kommission in den letzten 5 Jahren ein besonders großes Anliegen war. Wir konnten v.a. auch auf Initiative meines Vizevorsitzenden DI Siegfried Frank mit der Stadt Graz die Vereinbarung treffen, dass in der Schutzzone I – der Welterbezone - nur mehr Natursteinpflasterungen im öffentlichen Raum umgesetzt werden.
GAT: Was zeichnet die beiden neuen Schutzzonen aus?
Strempfl-Ledl: Schutzzone VI, Teil 1 ist das Villenviertel am Ruckerlberg, quasi die grüne Hintergrundfolie für die Herz-Jesu-Kirche, ein geplant angelegtes Villenviertel, das sukzessive erweitert wurde, und der Teil 2 betrifft die Gartenstadt St. Peter, die nach dem Gartenstadtkonzept der Jahrhundertwende angelegt worden war. Beide Villenviertel sind durch freistehende, allseitig architektonisch qualitätsvoll gestaltete Villen, die in einer Gartenlandschaft liegen, charakterisiert. Die Gebäude nehmen über Terrassen, Veranden, Erker Bezug zur umgebenden Landschaft auf und setzen v.a. am Ruckerlberg durch charakteristische Turmmotive entscheidende Akzente für den Stadtteil und darüber hinaus. In beiden Vierteln stehen nur wenige Gebäude unter Denkmalschutz, es war bis jetzt nur der gute Wille des Besitzers/der Besitzerin ausschlaggebend, um diese Gebäude auch zu erhalten und nicht an den meistbietenden Investor zu verkaufen, weil dann konnte man sich in der Regel den Abbruch schon ausmalen.
GAT Außerhalb der Altstadt ist der Fachbeirat für Baukultur zuständig, gibt es an den Grenzzonen eine Zusammenarbeit?
Strempfl-Ledl: In der Regel eine, die auf wenige Berührungspunkte zurückgeht. Wir hatten einige Projekte, vor allem auch in der Schutzzone Strassgang, wo die Grundstücke, die bebaut wurden, zum Teil noch in der Schutzzone nach dem GAEG lagen, zum Teil aber außerhalb, also Thema für den Fachbeirat waren. Hier haben wir uns v.a. mit der Geschäftsführung des Fachbeirates abgestimmt und das hat auch sehr gut funktioniert.
GAT: Was würden sie am derzeit geltenden GAEG gerne ändern?
Strempfl-Ledl: Meiner Meinung nach gibt es ganz dringenden Handlungsbedarf im § 5 Abs 3 GAEG betreffend die wirtschaftliche Unzumutbarkeit trotz Einbeziehung von zugesagten Förderungen.
Diese Klausel der Unzumutbarkeit der wirtschaftlichen Wiederherstellung eines Bauwerkes müsste aus dem Gesetz gestrichen werden, sie öffnet der Preisgabe von historischen Bauwerken Tür und Tor, indem einfach die Instandhaltung vernachlässigt wird. Tatsächlich beruhen die meisten Abbrüche in der Grazer Altstadt in den letzten fünf Jahren auf dieser Argumentation, und ich denke, dieser Passus wird dazu benützt, à la longue die Biedermeierarchitektur in Graz zu opfern, wenn das nicht verändert wird. In der Frage der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit der Wiederherstellung spricht sich auch das Landesverwaltungsgericht gegen das Gesetz aus; die ASVK konnte die Nichteinhaltung der Instandhaltungspflicht z.B. beim Doppelhaus in der Zwerggasse – wie sie im Gesetz formuliert ist – nachweisen, somit hätte das Gericht meiner Meinung nach dem Abbruch nicht zustimmen dürfen.
Was als gesetzliche Grundlage noch dringend notwendig wäre, ist, die Verordnungen aus dem Jahr 1986 zu erneuern, das Gesetz ist mittlerweile einige Male novelliert worden, aber nicht die Verordnungen. Sie sind aber das präzisere Werk hinsichtlich der Dachlandschaft, der Fenster und der Werbung, und sie sollten technische Neuerungen berücksichtigen, das ist derzeit nicht der Fall.
GAT: Wie sehen Sie das Problem der für die Öffentlichkeit fehlende Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsgutachten der ASVK?
Strempfl-Ledl: Nachdem die ASVK Begutachtung im Rahmen des Baugesetzes stattfindet und dort „Öffentlichkeit“ bzw. „Nachbarschaftsrechte“ sehr stark eingeschränkt sind, ist echte „Transparenz“ nach derzeitiger Gesetzeslage nicht möglich; ich wünsche mir jedoch sehr ein neues Transparenzgesetz! Mir war es jedoch ein enorm wichtiger Punkt, alle ProjektwerberInnen und ArchitektInnen gleich zu behandeln und niemanden zu bevorzugen, bzw. nicht als Vorsitzende ohne das Mandat der Kommission in ein Gremium zu gehen.
GAT: Welche Strukturen innerhalb der Verwaltung oder Administration sollten reformiert werden, um die Effizienz der ASVK zu steigern?
Strempfl-Ledl: Die Arbeitsstruktur ist ein schwieriges Feld, weil sie in verschiedenen Instanzen angesiedelt ist.
Die ASVK-Mitglieder tagen ja 14tägig, und brauchen für schwierigere, größere Bauvorhaben auch einige Zeit, um die Pläne zu studieren, um für die Befundung zu recherchieren, vor Ort zu gehen, zu fotografieren, zu dokumentieren, dann die Präsentation für das Gremium vorzubereiten und nach Diskussion und Beschluss das Schriftstück zu verfassen, dass nach außen bzw. zur Behörde geht.
Meiner Meinung nach müsste die Geschäftsstelle der ASVK personell aufgewertet werden, das haben wir auch schon mit Landesrat Drexler besprochen, dort könnte jemand arbeiten, der vom Fach ist, ArchitektIn oder KunsthistorikerIn, und der den GutachterInnen einen Teil der Schreib- und Recherche-Arbeit abnehmen könnte.
Kein ASVK-Mitglied macht sein Amt ja hauptberuflich, es bedeutet aber immensen Aufwand.
Das wäre für mich ein wichtiger Punkt, der verbessert werden sollte.
GAT: Wieviele Projekte sind in den letzten fünf Jahren ungefähr über den Tisch der ASVK gegangen?
Strempfl-Ledl: Im Jahr 2015 waren es über 700, mittlerweile liegen wir bei 800 - 900 Projektanträgen pro Jahr. Das ist eine unglaubliche Fülle von Bauvorhaben, die die Kommission abzuarbeiten hat. Daher habe ich auch als Vorsitzende immer weiter begutachtet, ich habe mich nicht zurückgezogen aus der alltäglichen Arbeit der ASVK, und habe große Gutachten gemacht, unter anderem zum Beispiel das Barmherzigen-Spital oder auch die Befundung für die Erweiterung der Karl-Franzens-Bibliothek, beide zusammen mit Architektin Andrea Redi oder den Kaiser-Franz-Josef-Kai 36 mit Architektin Marlies Binder und DI Siegfried Frank. Ich denke, ich habe etwa 400 Gutachten verfasst. Die Tätigkeit für die ASVK bedeutet einen enormen Arbeitsaufwand, das sollte man wirklich nicht unterschätzen.
GAT: Gab es für Sie Projekte, die Ihnen persönlich besonders wichtig waren?
Strempfl-Ledl: Da gibt es viele! Ein Herzensprojekt ist für mich der Umgang mit dem öffentlichen Raum und seine Funktionszuweisungen, das ist für mich eine Schlüsselfunktion für den Begriff Altstadt.
Ich habe mich bei jedem Gebäude, das vom Abriss bedroht war, persönlich involviert, vor allem bei denen, die mit dem Argument der „Wirtschaftlichen Unzumutbarkeit“ gefallen sind, egal, ob das die Zwerggasse oder die Schiffgasse ist. Leider werden noch einige dazukommen, wo das Landesverwaltungsgericht gegen unsere Gutachten entschieden hat.
GAT: Was würden Sie der jetzigen Altstadt-Sachverständigen-Kommission gerne mitgeben?
Strempfl-Ledl: Ich wünsche ihnen zwei Dinge: Ausdauer und Engagement für die Erhaltungsarbeit, denn diese Altstadt haben sich die GrazerInnen mühevoll erkämpft. Und ich hoffe auch, dass mein Nachfolger ein Treffen mit den RichterInnen des Landesverwaltungsgerichts schafft, um sie hinsichtlich des Wertes und des großen Verlustes von historischer Bausubstanz zu sensibilisieren. Denn leider wird historische Bausubstanz ja nicht immer durch hochwertige Architektur, sondern oftmals durch Mittelmaß ersetzt.
Dankeschön
liebe Gertraud, für Dein Engagement, die offenen Worte in diesem Interview und das klare Aufzeigen der Probleme des Altstadtschutzes. Es ist schade, dass die österreichische Bundesverfassung noch immer verlangt, dass die Arbeit einer so wichtigen Institution meist im Dunkeln bleiben muss. Dadurch wird bei den Bürgern oft ein falscher Eindruck erweckt und eine Identifikation mit dem Sinn des Altstadtschutzes erschwert. Ich hoffe wie Du sehr auf einen bald transparenteren Staat.
Viel Erfolg mit den neuen Aufgaben, auch hier ist Dein Wissen sehr gefragt.