18/02/2015

Technische und wissenschaftliche Innovationen der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte eröffnen der Architektur ein großes Spektrum an Bauweisen, Technologien und ästhetisch neuen Möglichkeiten. Ist Architektur noch selbsterklärend oder wird für sie heute eine Gebrauchsanweisung benötigt?

18/02/2015

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Schwerpunkts 'Im Fokus: Architektur- und Baukulturvermittlung'.

©: Alexander Krischner

„Vom Gebrauch der Dinge“ lautet der Titel einer Fernsehsendung, welche auf durchaus seriöse und dennoch unterhaltsame Art und Weise versucht, dem Zuseher die wohl vermeintlichen Absurditäten von Gebrauchsanweisungen technischer Geräte näher zu bringen. Diese hochtechnologischen, von Wissenschaftlern und Technikern ausgeklügelten Instruktionen sollen dem Konsumenten beim vermeintlich korrekten Gebrauch unterstützen und die Handhabung erleichtern. Außer Frage steht, dass technische Geräte einen Zweck erfüllen und somit einer Anweisung, deren Sinnhaftigkeit durchaus angezweifelt werden darf, bedingen. Die essenzielle Frage, die sich hier allerdings vielmehr stellt, ist, benötigt Architektur ebenfalls eine Gebrauchsanweisung, welche den korrekten Gebrauch unterstützt und die Nutzung erleichtert?

Jenseits des primären Zweckes, nämlich Schutz und Obdach zu bieten, liegt die gegenwärtige Architektur. Vielmehr ermöglichten die im Laufe der Jahrhunderte entwickelten neuen technischen als auch wissenschaftlichen Errungenschaften dem Menschen, eine noch nie zuvor erlangte Freiheit, die eigene Umwelt aktiv zu gestalten und zu transformieren, sogleich durch diese Gegebenheit ein Zeugnis für die nachfolgende Generation abgelegt wird. Einhergehend mit diesen Innovationen resultierte daraus eine immens komplex erscheinende Technologie und Bauweise, welche die Nutzung durchaus als anspruchsvoll erachten lässt und ohne Einweisung offensichtlich nicht mehr verständlich scheint. 
Konfrontiert mit dieser prekären Konstellation an Gegebenheiten, erweist sich der Gebrauch für den Nutzer als kein beiläufiges Kinderspiel, zudem es blasiert wäre, für die korrekte Handhabung im Zusammenwirken mit einer offenen Interpretationsmöglichkeit, ein Verständnis dafür einzufordern. 

Die Annahme, Architektur sei selbsterklärend, hat keinerlei Bestand. Es wird eine grundlegende Architektur- und Baukulturvermittlung benötigt, um Interessierte für den Gebrauch und den Umgang hinsichtlich dieser Thematik zu sensibilisieren und ein Verständnis dafür zu erzeugen sowie zu fördern.
Architekturvermittlung sollte allgegenwärtig sein, weil auch Architektur allgegenwärtig ist. Die Vielfältigkeit von Baukultur ermöglicht dadurch ein großes Spektrum hinsichtlich Betrachtung, Wahrnehmung und Interpretationsmöglichkeiten, letztendlich ist und bleibt die gestaltete Umwelt, wie bereits erwähnt, für jedes Individuum interpretationsoffen. Die Verarbeitung dieser gewaltigen Flut an Impressionen macht es für Interessierte nicht unbedingt einfacher, all die erfahrenen und wahrgenommenen Informationen zu verstehen, zu nutzen, zu interpretieren und anzuwenden. Es ist daher naheliegend, dass Verständnis für Architektur erst dann entsteht, wenn diese dementsprechend genutzt und unmittelbar wahrgenommen wird.

Strebsam, wie der Mensch sein sollte, kann auch ein immanentes Verlangen nach einem Verständnis für innovative Bauweisen angenommen werden. Und genau an diesem Punkt sollte unterstützend und begleitend Baukultur vermittelt werden. Denn darauf gründet die Basis für viele Möglichkeiten, die zwischen, aber auch unter allen Beteiligten sowie Akteuren notwendig scheint. So dass die Banalität von Architektur aufgelöst, der einhergehende Wissensdurst gestillt und der Wunsch für das Verständnis für den Gebrauch, ganz gleich ob im Sinne der Betroffenen, der Betrachter oder des Nutzers, erfüllt wird.
Diese Aufgabe richtet sich an alle Beteiligten, aber insbesondere an VermittlerInnen, welche über die fachliche Kompetenz verfügen. Beginnend bei der Vermittlung im Schulunterricht für Kinder und Jugendliche durch die Verantwortlichen, bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, so dass letzten Endes Baukultur sprichwörtlich in aller Munde zu schmecken ist. 

Schlussfolgerung daraus ist, dass eine Gebrauchsanweisung zur Nutzung im Zusammenhang mit einem Verständnis von und für Architektur de facto als minimal bezeichnet werden kann. 

Die Erkenntnis kann als gegeben hingenommen werden, wobei bei kritischer Hinterfragung  hier bereits erkannt wurde, dass die Tücke im Detail liegt und letzten Endes eine außergewöhnliche Bereicherung für alle Beteiligten und Akteure verloren oder gar nie ermöglicht wird.
Die Architekturvermittlung beginnt bereits bei der täglichen Kommunikation der praktisch tätigen Architekten und soll die damit verbundenen Tätigkeiten und Betätigungsfelder für Interessenten und zuletzt den zukünftigen Bauherren verdeutlichen.
Präziser formuliert bedeutet dies, Architekten leisten einen wesentlichen Beitrag an der gebauten Umwelt des Menschen, aber paradoxerweise haben die wenigsten Endnutzer, sofern diese nicht die Position des  Bauherren einnehmen, persönlichen Kontakt zu diesen.  Architekten müssen für ihre Umwelt, welche sie so wesentlich beeinflussen und gestalten, greifbarer werden.

Einhergehend mit dieser Feststellung kann durchaus ein reizvolles, ergänzendes sowie spannendes Zusammenspiel zwischen Architekten und Bauherren innerhalb des Planungsprozesses entstehen. Das Resultat eines Verständnisses von und für Baukultur lässt den vermeintlichen Monolog des Architekten zu einem Dialog mit den betroffenen Akteuren werden, welcher sich nicht nur auf Oberflächlichkeiten beschränken lässt. 
Vielmehr führen hier die Erkenntnisse von Zusammenhängen unterschiedlicher Funktionen und das Bewusstsein sowie die Bedeutung des Entstehungsprozesses dazu, dass Interessenten aktiv teilhaben, mitreden und in der Lage sind, ihre raumbezogenen Bedürfnisse formulieren zu können. Letzteres kann spannende Diskussionen als auch lehrreiche Gespräche zwischen allen Beteiligten initiieren, wovon jeder einzelne Akteur profitiert. 
Dieser Prozess des Verstehens hat mit Gebrauchsanweisungen im herkömmlichen Sinne von technischen Geräten nichts gemein. Die Baubranche hingegen bietet eine umfangreiche Vielfalt an Gebrauchsanweisungen, die auch als Normen verstanden werden können, welche die qualitative, hochwertige Ausführung und Sicherheit seitens des Gebrauchs sicherstellen soll. 

Normen, deren Wesen grundsätzlich als reine Empfehlung zu erachten sind und deren Anwendung auf unfreiwilliger Basis beruht, sind nicht als Gebrauchsanweisung für den Bauherren oder Nutzer gedacht, da deren Inhalt hochkomplex formuliert und deren Interpretation eine eigene Wissenschaft für sich darstellt. Wie anfangs erläutert und auf die Quintessenz reduziert, korreliert deren Inhalt wiederum mit denen einer Gebrauchsanweisung für technische Geräte. Die Begrifflichkeit von Normen definiert sich demnach laut Österreichischen Normungsinstitut (Austrian Standards Institute) wie folgt:

„Normen sind Regeln, die im Dialog und im Konsens aller Betroffenen und Interessierten entwickelt werden. Sie legen die Anforderungen an Produkte, Dienstleistungen, Systeme und Qualifikationen fest und definieren, wie die Einhaltung dieser Anforderungen überprüft wird.“

Die Veröffentlichung des Letztstandes im Dezember 2014 in Österreich beläuft sich auf rund 1.113 gültige Normen, die sich rein auf das Bauwesen konzentrieren. Im internationalen Vergleich belegt Österreich damit den zweiten Rang, gefolgt von unserem westlichen Nachbarn, der Schweizer Normen-Vereinigung, die es in Summe auf 664 Normen, welche das Bauwesen betreffen, bringt. An die Spitze des Normierungsstrebens, deren Inhalt sich gleichfalls alleinig auf das Bauwesen beschränkt, schafft es Deutschland mit seinen 12.017 aktuellen Normen. 
Was diese Zahlen allerdings ungeschönt verdeutlichen, ist, dass es beinahe unmöglich erscheint bei derart vielen Gebrauchsanweisungen den Überblick zu behalten. Ganz abgesehen davon ist es fraglich, inwieweit das Bauen an sich dadurch leichter und diese reine Empfehlung nicht zur zwingenden, starren Anleitung wird. 
An der ursprünglichen Idee von Normen, dass deren Aufgabe darin liegt den Stand der Technik im Sinne von Qualitäts-, Sicherheits- und Prüfkriterien zu dokumentieren, wäre grundsätzlich nichts Verwerfliches anzumerken. Bei genauerer Betrachtung und eingehender Hinterfragung birgt dieser Sachverhalt ein bedenkliches Restrisiko, welches die kreative sowie aktive Gestaltungsfreiheit völlig eliminiert und die Kernaufgabe im Grunde darauf basiert, dass Räumlichkeiten nur noch normiert arrangiert und strukturiert werden können. 

Die Schlussfolgerung aus all dem wäre: was hinsichtlich der Normierung zu detailliert ausformuliert ist, hat andererseits im Bezug auf Nutzung und Verständnis für Bauwesen Aufholbedarf. Architektur mit Gebrauchsanweisung für den Menschen sollte allerdings nicht in Form von Normen passieren, sondern vielmehr in Aufklärung und Erzeugen von Verständnis für Baukultur durch Kommunikation aller Akteure.

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