02/11/2023

Die neue Ausstellung „Wohnen mit Zukunft“ zeigt erstmals die Funktionsweise des gemeinnützigen Wohnbaus für ganz Österreich. Sachlich, zugänglich und in überschaubarem Rahmen wird das Wesentliche zum gemeinnützigen Wohnbau dargestellt, mit 20 Projekten der letzten 50 Jahre.

02/11/2023

Ausstellungsansicht, Wohnen mit Zukunft, Wien, 2023

©: Ernst Gruber

Ausstellungsansicht, Wohnen mit Zukunft, Wien, 2023

©: Ernst Gruber

"Wie Wohnen wir in Österreich?" aus der  Ausstellung Wohnen mit Zukunft, Wien, 2023

©: Ernst Gruber

Ausstellungsansicht, Wohnen mit Zukunft, Wien, 2023

©: Ernst Gruber

Ausstellungsansicht, Wohnen mit Zukunft, Wien, 2023

©: Ernst Gruber

Der gemeinnützige Wohnbau ist ein über die Grenzen Österreichs hinaus bekanntes Vorzeigemodell. Aus der ganzen Welt kommen Menschen hierher, um sich ein Bild davon zu machen, wie dieser Gegenentwurf zum freien Markt funktioniert. Die internationale Relevanz für die langfristige Sicherstellung leistbaren Wohnraums hat unter anderem auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erkannt. Sie sieht in der Wohnungsgemeinnützigkeit einen Beitrag zu geeigneten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von Wohnungsmärkten. Nicht zuletzt die IBA_Wien widmete sich 2016-22 vorrangig den Qualitäten des gemeinnützigen Wohnbausektors, aber eben mit einem Fokus auf Wien. Daran knüpft nun der Verein für Wohnbauförderung (VWBF) mit einer als Wanderausstellung konzipierten Schau an: In Kooperation zwischen dem Grazer Kollektiv wohnlabor (inhaltliche Gestaltung und Kuratierung) und art:phalanx bzw. der ap media (Grafik und Umsetzung) werden Funktion und Qualitäten der Wohnungsgemeinnützigkeit dargestellt, und zwar – und das ist neu – für ganz Österreich. Die Ausstellung ist seit Oktober erstmals zu sehen, im Foyer des ÖGB in Wien.

Wissenschaftsvermittlung
Das österreichische System „Gemeinnütziger Wohnbau“ ist in eine Wissenschaft für sich, die von rechtlichen, finanziellen bis hin zu organisatorischen Aspekten reicht. Dieser Komplexität begegnet die Ausstellung mit entsprechender Vermittlungsarbeit:  Mit diversen Grafiken aufbereitete Thementafeln bilden einen einleitenden Überblick von den Ursprüngen, über die Herausforderungen, Aufgaben und Werte, auf denen der gemeinnützige Wohnbau beruht bis hin zu den beteiligten Akteuren. Als Fragen formulierte Überschriften („Wer sind "die Gemeinnützigen“ in Österreich?“, „Welche Aufgabe hat der gemeinnützige Wohnbau für die Gesellschaft?") bieten Menschen, die dem Thema neu sind, die Möglichkeit eines einfachen inhaltlichen Einstiegs. So wird erläutert, wer Zugang zu gefördertem Wohnraum hat, was der gemeinnützige Wohnbau kostet und was mit der Miete passiert. Beispielhafte Veranschaulichungen, wie eine angenommene 3-Zimmer-Wohnung für die Zusammensetzung der einzelnen Posten der Wohnkosten, machen Komplexitäten einfach greifbar.
Auch für Personen, denen das Thema schon geläufig ist, ergibt sich durch Auswahl und Darstellung der gezeigten Aspekte ein Erkenntnisgewinn. Grafische Darstellungen machen Zusammenhänge erkennbar, wie das Verhältnis zwischen Zinsentwicklung und dem Anteil der Wohnbauförderung am BIP, das mit Ausnahme der Zeit zwischen 2006-07 relativ ähnlich ist. Demnach könnte man hoffen, dass der Anteil der Wohnbauförderung mit höheren Zinsen nun auch wieder steigen müsste. Die Erläuterungen zur Ökonomie des gemeinnützigen Wohnbaus werden mit einer Übersicht über die Unterschiede der einzelnen Bundesländer ergänzt. Dieser (bundes)länderübergreifende Ansatz ist insgesamt eine der größten Leistungen der Ausstellung, womit sie auch gut zum „wandern“ durch Österreich ausgestattet ist.

Viele kleine Welten
Wie es daraus in der Praxis gelingen kann, „eine kleine Welt zu schaffen, die Teil der großen Welt ist“, wie es Architekt Christoph Lechner in einem der in der Ausstellung gezeigten Videointerviews formuliert, dem widmet sich der zweite und überwiegende Teil der Ausstellung: 20 Projekte der letzten 50 Jahre versammeln sich zu vier Bereichen „Miteinander“, „Mobilität und Städtebau“, „Organisation“ und „Klimaresilienz“ und geben einen Überblick darüber, was der gemeinnützige Wohnbau imstande ist zu leisten. Hier wird das Versprechen eines österreichweiten Überblicks eingelöst, die Projekte liefern Antworten auf Fragen wie „Wie bildet man mit neuen Nachbar*innen eine starke Hausgemeinschaft?“ oder „Wie kann ein Wohnhaus als Kraftwerk funktionieren?“. Den Abschluss bildet ein Film mit Interviews mit Vertreter*innen gemeinnütziger Bauvereinigungen, Baugruppen-Bewohner*innen, Architekten sowie Vertreterinnen von sozialen Trägern. Dabei werden vor allem Themen wie Stabilität in Krisenzeiten, Nachbarschaft und Leistbarkeit ins Zentrum gestellt sowie die Bedeutung des gemeinnützigen Wohnbaus im Gegensatz zu einer neoliberalen Interpretation von Wohnungsmärkten.

Eine gute Basis zum Weiterdenken
Die Gegenüberstellung plakativ formulierter Fragen mit Zahlen, Erläuterungen und Grafiken unterschiedlichen Tiefgangs vermittelt insgesamt eine unaufgeregte und selbstbewusste Grundhaltung. Dazu fügt sich auch angenehm, dass der umgangssprachliche Begriff der Genossenschaft trennscharf verwendet wird, also nur dann, wenn es sich tatsächlich um diese Rechtsform handelt und nicht Pars pro Toto für alle gemeinnützigen Bauvereinigungen. 

Einige der erwähnten Themen regen zu einer intensiveren Auseinandersetzung an, wie die mehrfach erwähnte preisdämpfende Wirkung des gemeinnützigen Wohnbaus (wie und in welchem Ausmaß kann sie ihre Wirkung auf den freifinanzierten Wohnbau entfalten?), die Verdoppelung der durchschnittlichen Wohnnutzfläche in Österreich seit 1971 von 23 auf 46m² (welchen Einfluss hat der gemeinnützige Wohnbau darauf?) oder dass das Wohnen in einem Gebäude nach abbezahltem Darlehen günstiger ist als das Wohnen in einem Gebäude mit laufendem Darlehen (welche Konsequenzen hat das für die Wohnmobilität von älteren Personen in älteren Gebäuden).

Die Ausstellung zeigt insgesamt sehr anschaulich die Funktionsweise des gemeinnützigen Wohnbaus aus Sicht des gemeinnützigen Wohnbaus und der Personen, die mit ihm zu tun haben. Es gelingt, sachlich, zugänglich und in überschaubarem Rahmen das Wesentliche zum gemeinnützigen Wohnbau in Österreich zu vermitteln. Der Ausblick auf die Zukunft im gemeinnützigen Wohnbau bleibt den Besucher:innen überlassen. Ihnen bietet die Ausstellung einen guten Anlass und Rahmen zum Diskutieren und Weiterdenken.
 

___Info:
Wohnen mit Zukunft
 – Eine Ausstellung zum gemeinnützigen Wohnbau des VWBF
4. Oktober bis Ende November 2023
Jeweils von Montag – Freitag, 07:00 – 17:00 Uhr

Im Foyer des ÖGB, Johann-Böhm-Platz, 1020 Wien
Anschließend wandert die Ausstellung durch weitere Bundesländer.
 

Artikelempfehlungen der Redaktion

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+